Ernst Jünger: Was die „Stahlgewitter“ über den Krieg einzigartig macht - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Ernst Jünger: Was die „Stahlgewitter“ über den Krieg einzigartig macht

Geschichte Ernst Jünger

„Was an wirklichem Blut und Samen in uns steckt“

Ein Kriegsheld, der den Kampf zum letzten Hort wahrer Männlichkeit erklärte: Als Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ im September 1920 erschien, hatte die radikale Rechte ihren Helden. Das lag vor allem an einem Umstand.
Textchef ICON / Welt am Sonntag
Geschichte / 1. Weltkrieg: Gaskrieg. Westfront: Deutsche Soldaten während eines Gasangriffs in Flandern. Foto, September 1917; digitale Kolorierung. Geschichte / 1. Weltkrieg: Gaskrieg. Westfront: Deutsche Soldaten während eines Gasangriffs in Flandern. Foto, September 1917; digitale Kolorierung.
13. September 1920: Mit Ernst Jüngers (1895-1998) Buch "In Stahlgewittern" erscheint ein Hauptwerk der Literatur über den Ersten Weltkrieg. Das Foto ist gestellt
Quelle: picture alliance / akg-images
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Für viele von denen, die beim großen Sterben auf den Schlachtfeldern Frankreichs ab 1914 davongekommen waren, fing das Verderben nach dem Kriegsende erst wirklich an. Manche waren zu Krüppeln geschossen worden, manche zitterten den ganzen Tag lang, manch andere hörten die Schreie der Kameraden noch immer so laut, dass für sie kein Weg zurückführte in eine Welt ohne den Rausch des Kampfes. Wer einigermaßen mit dem Erlebten fertig werden wollte, war entweder von Natur aus mit großer Unempfindlichkeit gesegnet, oder er ging mit den Erinnerungen in der Hoffnung auf Konfrontationskurs, nicht dem Wahn zu verfallen.

Dafür war es gut, die Dinge aufzuschreiben. Die beiden wirkmächtigsten Werke stammten von Erich Maria Remarque und Ernst Jünger. Remarque, dem der Dienst in vorderster Front erspart geblieben war, verfasste mit „Im Westen nichts Neues“ ein Manuskript, das möglichst die ganze Monstrosität dessen sichtbar machen sollte, was seiner Generation widerfahren war. Sein Anti-Kriegsklassiker wirkt bis heute nach – und sei es nur, dass Schreibtischmaulhelden ihm die literarische Qualität absprechen.

1-J194-B1939-2 (110162) Ernst Jünger als Offizier/ Foto 1939. Jünger, Ernst Schriftsteller; Heidelberg 29.3.1895 - Riedlingen 17.2.1998. - Ernst Jünger als Offizier in Wehrmachtsuniform (Bad Blankenburg).- Porträtfoto, (Ursula Litzmann), 24. September 1939. E: Ernst Jünger as officer/ Photo 1939. Jünger, Ernst Author; Heidelberg 29.3.1895 - Riedlingen 17.2.1998. - Ernst Jünger as an officer in Wehrmacht uniform (Bad Blankenburg).- Portrait photo, (Ursula Litzmann), 24th September 1939. F: Ernst Jünger officier / Photo 1939 Jünger, Ernst; écrivain allemand; Heidelberg 29.3. 1895 - Riedlingen 17.2.1998. - L'officier Ernst Jünger en uniforme de la Wehrmacht (à Bad Blankenburg). - Portrait (Ursula Litzmann), 24 septembre 1939.
Uniform und Orden passen noch immer zu ihm: Ernst Jünger im Jahr 1939
Quelle: picture alliance / akg-images

Dieses Publikum besteht aus ergebenen Fans Jüngers. Seine autobiografische Schrift „In Stahlgewittern“, die am 13. September 1920 erschien, feierte den Krieg sehr zum Vergnügen rechter Kreise noch einmal als Vater aller Dinge. Nicht abzusprechen war dem Autor, dass er das Inferno inklusive diverser Verwundungen quasi von Anfang bis Ende mitgemacht hatte. Ein Urteil stand ihm damit zu. Doch bleibt der Text ein Rätsel – zumindest für diejenigen, die von dem Grundsatz ausgehen, dass das Überleben der ganzen Spezies von der Fähigkeit abhängt, Frieden zu schließen und sich auch mit Menschen ins Benehmen zu setzen, die man am liebsten aus mindestens 200 Meter Distanz betrachtet.

Ernst Jüngers Buch lebt nicht so sehr von dem, was er erzählt, sondern davon, wie er es tut. Zerfetzte Kameraden, rattenverseuchte Unterstände, Hunger, Kälte, Brutalität, überforderte Lazarette – all das findet sich in bald jedem Zeugnis über die Gefechte in Frankreich. Doch die Nonchalance, mit der dieser Schriftsteller selbst über die eigenen Widersprüche hinweggeht, die gibt es ausschließlich bei ihm. Da sind Bomben, die wie weiße Bälle aufsteigen, da ist der Walzer der Kanonen, da sind diese ganzen expressionistischen Metaphern, die das Geschehen überhöhen, ohne nach einer Erklärung zu suchen. Aber da sind vor allem die verwegenen Kerle, die erdschlauen Gesichter und hämmernden Herzen als Ausweis reinstem Kriegertums, an dessen Wesen die Welt dereinst genesen wird.

Auf den Punkt brachte dieser Autor seine Sicht der Dinge ein paar Jahre später in einem Artikel fürs „Tagebuch“: „Weil wir die echten, wahren und unerbittlichen Feinde des Bürgers sind, macht uns seine Verwesung Spaß. Wir sind Söhne von Kriegern und wenn das alles, das Schauspiel der im Leeren kreisenden Kreise, hinweggefegt ist, wird sich das entfalten können, was noch an Natur, an Elementarem, an echter Wildheit, an Fähigkeit zu wirklicher Zeugung mit Blut und Samen in uns steckt.“

Was Männer zu solcherlei Erkenntnissen treibt, wird nie jemand exakt aufschlüsseln können. Fest steht allerdings, dass es bei Ernst Jünger früh mit derlei Gedankengut losging. Als Sohn eines Apothekers in Hannover 1895 geboren, schien ihm die Welt des wilhelminischen Bürgertums schon als Kind eine einzige bleierne Einöde zu sein. Seine Schulkameraden erlebten ihn oft genug als jemanden, der die Arroganz des Dandys ausstrahlte. Doch Jüngers Not war weit größer, als das im Klassenzimmer zu überblicken gewesen wäre – mit schon mit 16 Jahren lief er von zu Hause weg und meldete sich freiwillig zur Fremdenlegion.

Ein Leben als Söldner freiwillig anzustreben: Dafür muss einem schon ziemlich langweilig sein. Doch der Vater befreite den Spross aus den Fängen dieser Truppe, die nicht einmal das Alter ihre Rekruten interessiert hatte. Dass so jemand nicht lange fragt, wenn die Front ruft, dürfte selbst dem reinsten Zivilisten einleuchten. Und wenn dieser Jemand vorher noch ein bisschen Nietzsche und Schopenhauer in sich hineingestopft hatte, ohne dem Pessimismus und dem Gerede vom „Übermenschen“ etwas entgegensetzen zu wollen, konnte das natürlich auch nicht schaden.

Vor diesem Hintergrund hält sich das Erstaunen in Grenzen, dass in den „Stahlgewittern“ der Krieg zwar oft als etwas Bedrohliches dargestellt oder auch verflucht wird – aber immer seine Funktion behält, einem Leben zu dienen, das tatsächlich lebenswert ist. Die Schrift endet mit der Nachricht, dass dem Autor der Orden „Pour le Mérite“ verliehen wird, die höchste Auszeichnung. Nicht, dass Jünger das im Sinne der militärischen Laufbahn wichtig gewesen wäre – aber die Anerkennung, einer der überragendsten Kämpfer auf dem Schlachtfeld gewesen zu sein, die schien eine große Bedeutung für ihn gehabt zu haben. Für seine Anhänger war der Schluss des Manuskripts die reinste Wonne: ein Kriegsheld, der den Krieg pries? Besser ging’s ja nicht.

Deutscher Schriftsteller Ernst Jünger.
Der Waldgänger greift zur Feder: Ernst Jünger in seinen späteren Jahren als Schritsteller
Quelle: picture alliance/United Archives

Die Weimarer Republik bekämpfte Jünger mit allen seinen Mitteln. In den Jahren der ersten deutschen Demokratie heiratete er, las wahllos Bücher, ein Studium brach er ab. Dass er die Republik mit reif für die Übernahme durch die Nationalsozialisten machte, lässt sich wohl behaupten, auch wenn er deren rassistische Lehre nicht teilte. Und dann? 1936 veröffentlichte er „Auf den Marmorklippen“, ein Buch, das die weitere Richtung wies: Der raunende Stil voller Adjektive lässt sich in viele Richtungen interpretieren. Manche Apologeten sahen Passagen, die die braunen Herrscher kritisierten.

Anzeige

Den Zweiten Weltkrieg erlebte der Autor nicht an vorderster Front. Er hatte Aufgaben wie Kontrolle von Feldpost. Nach dem Zusammenbruch betätigte er sich unter anderem als Tagebuchschreiber, Waldgänger, Käferbeobachter und Essayist – die Pose des Weltweisen, der das ewig wogende Meer der Geschichte in seiner Ganzheit betrachtet, statt den Schaumkronen der Ereignisse hinterherzuhetzen, diese Pose also beherrschte er bald in Vollendung; jedenfalls reichte es für das Bundesverdienstkreuz und dafür, dass die konservative Elite Deutschlands sich gern an der Seite des Mannes mit dem nun schneeweißen Schopf zeigte.

Eine Büste, die den Schriftsteller Ernst Jünger zeigt, steht am 09.06.2016 im Jünger-Haus in Wilflingen (Baden-Württemberg). Die Ausstellung "Waldgang in Wilflingen" in der ersten Etage des Jünger-Hauses wird am 10. Juni 2016 eröffnet. Foto: Felix Kästle/dpa
Verkultung: Büste des Schriftstellers im Jünger-Haus in Wilflingen (Baden-Württemberg)
Quelle: picture alliance / dpa

Ernst Jünger starb 1998, sechs Wochen vor seinem 103. Geburtstag. Unter Intellektuellen war es schick geworden, mit ihm zu flirten. Geisteswissenschaftliche Seminare beschäftigten sich ebenfalls häufig mit dem Mann – zumeist in Verbindung mit Carl Schmitt, dem Juristen, dem es 1934 nach dem Röhm-Putsch gelungen war, mit dem Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ bedingungslos vor den Nationalsozialisten zu kapitulieren. Generell erlebte das Buch „Die Konservative Revolution in Deutschland“ von Jüngers Privatsekretär Armin Mohler eine Renaissance. Der Schweizer erfand dort Rechte in der Weimarer Republik, die keine Nazis waren.

Woher diese Faszination rührte und rührt, führt direkt ins Reich der Spekulationen. Sich an ihnen zu beteiligen, hat noch nie konkrete Ergebnisse gebracht. Halten wir fest: Mit irgendetwas hat dieser Mann die Deutschen berührt. Und schlimmer als Ernst Jünger sind wahrscheinlich diejenigen seiner Fans, die sich gemein mit seinem Geraune machen, ohne je einen Konflikt eingegangen zu sein, der nicht am Schreibtisch stattfindet.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema