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Meinung Israel

Die Linke trägt ihren Antirassismus vor sich her, um von ihrem Antisemitismus abzulenken

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WELT-Autor Alan Posener WELT-Autor Alan Posener
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Quelle: Claudius Pflug
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Susan Neiman fühlt sich in Deutschland nicht wohl. „Ich wollte das jüdische intellektuelle Leben in Deutschland wiederbeleben“, erklärte die aus den USA stammende Philosophin der Zeitung „Irish Times“. Doch nun glaube sie: „Die wollen das gar nicht.“ Bitte?

Seit dem 7. Oktober habe sich das intellektuelle Klima hierzulande verschlechtert. Auch jüdische Kritiker der „extremistischen“ Regierung in Israel würden als Antisemiten hingestellt. Die 70-Jährige, seit 20 Jahren Leiterin des Einstein-Forums in Potsdam, denkt daran, sich in ihr Häuschen in Südwestirland zurückzuziehen.

Nun tritt man Susan Neiman nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass das „jüdische intellektuelle Leben“ in Deutschland nicht gerade auf Erleuchtung aus den USA gewartet hat. Wir reden nicht von den Größen der Nachkriegszeit wie Theodor Adorno, Ilse Aichinger, Jean Améry, Ernst Bloch, Paul Celan, Ernst Fraenkel, Erich Fried, Richard Friedenthal, Max Horkheimer, Wolfgang Hildesheimer, Nelly Sachs, Peter Szondi, Peter Weiss oder Arnold Zweig.

Nein, reden wir von den Nachgeborenen: Wolf Biermann, Maxim Biller, Michael Brenner, Henryk Broder, Micha Brumlik, Max Czollek, Mirna Funk, Lena Gorelik, Raphael Groß, Josef Joffe, Wladimir Kaminer, Dmitri Kapitelman, Meron Mendel, Katja Petrowskaja, Rafael Seligmann, Julius Schoeps, Michael Wolffsohn und viele andere.

Kritik interessiert nur, weil sie von einer Jüdin kommt

Man tritt Neiman auch nicht zu nahe, wenn man darauf hinweist, dass einige Diskussionen, die viele jüdische Intellektuelle bewegten, die Leiterin des Einstein-Forums nicht besonders interessiert haben: etwa die Entstehung von Organisationen des liberalen Judentums, einschließlich der Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner und Rabbinerinnen in Potsdam, der immer noch schwelende Konflikt zwischen liberalen und orthodoxen Juden, die von der Kantorin Avitall Gerstetter losgetretene Kontroverse um deutsche Konvertiten zum Judentum oder die Diskussionen um das Programm, die Funktion und die Leitung des Jüdischen Museums in Berlin.

Neiman ist eine durch und durch säkulare und universalistisch denkende Amerikanerin, und es ist ihr gutes Recht, sich um solche lokalen Streitereien – die wiederum eine andere hier lebende Amerikanerin, Deborah Feldman, stark echauffieren – nicht zu kümmern. Nur: Neiman und Feldman müssen sich klar sein, dass sie in Deutschland nicht zuletzt – bei Feldman vor allem – deshalb reüssieren, weil sie Jüdinnen sind. Und jetzt gerade, weil sie israelkritische Jüdinnen sind.

Neiman mag ihre Kritik an Israels angeblicher „Apartheid“-Politik gegenüber den Arabern im Westjordanland aus allgemeinen Prinzipien der Aufklärung ableiten; ihre Kritik ist für deutsche Medienleute nur deshalb interessant, weil sie von einer Jüdin kommt. Sie mag ihre Kritik an der Kriegführung Israels in Gaza als Humanistin vortragen; interessant ist sie hierzulande, weil sie von einer Jüdin kommt. Ist das krank? Ja, es ist krank.

Es mögen 99 Prozent der deutschen Juden und Jüdinnen der Ansicht sein, dass Israel zu Unrecht kritisiert wird, dass Israel sich zu Recht wehrt; zu Wort kommen die jüdischen Kritiker. Seit Veröffentlichung der – gefälschten – „Protokolle der Weisen von Zion“, die angebliche jüdische Pläne zur Weltherrschaft dokumentierten, zählt vor allem der Jude, der „seine eigenen Leute“ kritisiert. „Seht ihr! Sie sagen es selber!“ heißt es dann. Und wenn es nicht ausgesprochen wird, so ist es doch so gemeint.

Vergleiche mit der DDR kennt man sonst nur von rechts

Gerade mal sechs Wochen waren seit dem Massaker vom 7. Oktober vergangen, da kritisierte Neiman in der „Berliner Zeitung“ den angeblich von der Regierung in Deutschland „verordneten Philosemitismus“, der „zur Staatsdoktrin erstarrt“ sei und schlimmere Folgen haben werde als der verordnete Antifaschismus der DDR-Regierung.

Den Vergleich der Bundesrepublik mit der DDR kennt man sonst eigentlich nur von ganz rechts. Neiman weiter: Das Problem sei die Idee „Weil wir das Tätervolk sind, sind Juden immer das Opfervolk, und wir müssen die Opfer beschützen“. Eine Formulierung, die den Umkehrschluss nahelegt, Juden könnten doch ein „Tätervolk“ sein.

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Dabei hat niemand, am allerwenigsten die Juden oder der jüdische Staat, den Deutschen vorgeworfen, ein „Tätervolk“ zu sein.

Freilich, wäre es deutsche Staatsräson gewesen, die Juden – komme, was da mag – zu schützen, hätte die Einwanderungs- und Asylpolitik der letzten 25 Jahre anders ausgesehen. Wäre es deutsche Staatsräson gewesen, den israelbezogenen Antisemitismus zu unterbinden, wäre es kaum zur Einladung des Israelhassers Achille Mbembe gekommen, die Ruhrtriennale zu eröffnen, oder zur Einladung an die Antisemiten von Ruangrupa, die Documenta 15 zu kuratieren, oder zum Skandal um den Film „No Other Land“ bei der letzten Berlinale.

Gegenüber dem Kunstmagazin „Monopol“ legte Neiman nach: „Es gibt jetzt schon Wissenschaftler und Künstler, die Angst haben, nach Deutschland zu reisen, weil hier ein philosemitischer McCarthyismus grassiert“, behauptete sie, ohne rot zu werden. Während jüdische Kinder hierzulande nur unter Polizeischutz zur Schule gehen können, während ganze Stadtviertel als No-Go-Area für Kippa-Träger gelten, ist es vielleicht nicht ganz so schlimm, wenn Israelhasser befürchten müssen, hier in den Medien kritisiert zu werden oder mal keinen Preis zu bekommen.

Was hier passiert, ist nämlich, dass sich endlich diejenigen zu Wort melden, die jahre- und jahrzehntelang zum Antisemitismus der Linken geschwiegen haben; ein Antisemitismus, den Neiman leugnet. In ihrem neuen, übrigens lesenswerten Buch „Links ist nicht woke“ unterstellt Neiman nämlich, die postkoloniale Israel-Kritik sei nicht links.

Das ist ungefähr so überzeugend wie die Behauptung, der Sozialismus der DDR sei kein echter Sozialismus gewesen. So sah aber der „real existierende“ Sozialismus aus, und er war eben antisemitisch und israelfeindlich, wie es auch die kommunistischen Parteien des Westens waren: „Kommunisten und Nazis reichten sich heute die Hand, indem sie die westdeutsche Regierung scharf wegen der Reparationszahlungen an Israel angriffen“, meldete am 3. September 1953 die „Jewish Telegraphic Agency“ (JTA).

In Hamburg, so die JTA, kündigte der KPD-Führer Max Reimann vor 10.000 Teilnehmern an, er werde die Reparationsfrage zu einem Hauptpunkt seiner Bundestagswahlkampagne machen. Derweil prangerte der Nazi-General Otto-Ernst Remer im „Deutschland-Brief“ das „Abschlachten unschuldiger arabischer Frauen und Kinder“ durch die Israelis an und nannte das Reparationsabkommen eine „nationale Schande“.

Die extreme Rechte hat inzwischen dazugelernt. Susan Neiman sagt richtigerweise, dass die AfD ihren Philosemitismus vor sich herträgt, um von ihrem Rassismus abzulenken. Freilich gibt es kaum Juden in Deutschland, die darauf hereinfallen. Die Linke jedoch trägt ihren Antirassismus vor sich her, um von ihrem Antisemitismus abzulenken. Darauf fallen leider immer noch zu viele herein.

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