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Deutschland †84

Wie Ernst Albrecht die Republik mitprägte

Ursula von der Leyen und ihr Vater Ernst Albrecht (1930–2014) im Juni 2010 Ursula von der Leyen und ihr Vater Ernst Albrecht (1930–2014) im Juni 2010
Ursula von der Leyen und ihr Vater Ernst Albrecht (1930–2014) im Juni 2010
Quelle: picture alliance / dpa
Die politischen Verdienste von Niedersachsens Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht (1930–2014) werden heute oft unterschätzt. Seine Vita war geprägt von Prinzipienfestigkeit – und Brüchen.

Er hat politische Weichen gestellt, die Deutschland bis in die Gegenwart prägen; sein Anteil daran ist aber beinahe vergessen.

Es war Ernst Albrecht, der als niedersächsischer Ministerpräsident ab 1976 die FDP wieder an die Union heranzog und Hans-Dietrich Genscher die Gelegenheit gab, aus der scheinbar auf Jahrzehnte angelegten sozialliberalen Koalition mit Helmut Schmidt heraus eine schwarz-gelbe Zusammenarbeit zu erproben.

Es war Ernst Albrecht, der, kaum im Amt, die Zustimmung der unionsregierten Länder im Bundesrat zu den Ostverträgen besonders mit Polen orchestrierte und so die Union davor bewahrte, als außenpolitische Traumtänzer wahrgenommen zu werden.

Es war Ernst Albrecht, der einen neuen NDR-Staatsvertrag durchfocht und so den Weg zu privaten Fernsehsendern und zum Ende der faktischen Staatshoheit über die modernen Massenmedien öffnete.

Albrecht, 1930 als Sohn eines Arztes geboren und im Großraum Bremen aufgewachsen, wirkte so geschliffen, so unnahbar, so prinzipienverankert großbürgerlich. Und doch war er, wie fast jeder Politiker, ein Mensch mit Brüchen, Facetten, vielfältigen Sensibilitäten – wäre es anders, ein solcher Mensch wäre nicht mehrheitsfähig.

Eine konservative Alternative zu Kohl und Strauß

Als neuer Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag gelang es ihm Anfang 1976, nach dem Rücktritt des SPD-Ministerpräsidenten trotz einer sozialliberalen Mehrheit Landesvater zu werden. Die Abstimmungsniederlage zweier SPD-Kandidaten gegen den Neuling elektrisierte die ganze CDU.

Ernst Albrecht, langjähriger Mitarbeiter der EU-Kommission und danach Finanzvorstand beim Kekshersteller Bahlsen, schien eine konservative Alternative zu Helmut Kohl, Franz Josef Strauß und Alfred Dregger zu sein – jemand mit Weltgewandtheit und Prinzipien, jemand mit modernem Auftreten und im persönlichen Leben doch der Gegenentwurf zu den 68ern, die damals den Marsch in die Institutionen angetreten hatten. Im Bundestagswahlkampf 1976 jubelten ihm die Unionswähler zu.

Er hatte in einer glücklichen Ehe sieben Kinder; die Familie überwand den Schicksalsschlag des frühen Krebstodes einer der Töchter. Er hatte Philosophie und Theologie studiert. Er war in Niedersachsen der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt.

Niedersachsen, das Kunstland der britischen Besatzung, diese seltsam moorig funkelnde Mischung aus Bauernscholle und monarchischer Verbindung zum britischen Empire, aus Widerborstigkeit gegen restauratives Denken in der Universität Göttingen und zweideutigem Humor eines Wilhelm Busch, aus der von der Nazi-Aufrüstung am meisten begünstigten deutschen Industrielandschaft und den Emsland-KZs, aus Zonenrandgebiet und den Mythen des Harzes – dieses Land begrüßte einen Politiker wie Ernst Albrecht, der den Volkswagen-Bundesstaat nun auch politisch auf Augenhöhe mit den rheinisch-süddeutschen Kraftzentren der Bundesrepublik brachte.

Aufsatz zur möglichen Legitimation von Folter

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Und doch, er war ein sensibler Mann mit Widersprüchen. Albrecht hatte Angst vor dem Terrorismus der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Sein damaliger Finanzminister Walther Leisler Kiep vertraute im Oktober 1977 nach der Entführung Hanns Martin Schleyers dem Tagebuch an, Albrecht sei wegen des Terrors „am Ende seiner Nervenkraft“. Ein Jahr später inszenierte der Verfassungsschutz mit Wissen der Landesregierung in Celle einen Sprengstoffanschlag auf die Haftanstalt des RAF-Terroristen Sigurd Debus, angeblich um Agenten glaubhaft in die Terrorgruppe einschleusen zu können – ein unfasslicher Rechtsbruch.

Das Angstthema trieb Albrecht so sehr um, dass er Anfang 1976 in einer Schrift mit dem für damalige CDU-Verhältnisse so typischen Titel „Der Staat – Idee und Wirklichkeit“ den Einsatz von Folter in Erwägung zog. Für den Fall, dass Terroristen eine Atombombe besäßen und ihr Aufenthaltsort nicht anders ermittelt werden könne, sei Folter womöglich legitim; freilich (und dieser Zusatz wird heute meist weggelassen) müssten die Verantwortlichen dann auch vor Gericht dafür einstehen.

Es sprach für Albrechts persönliche Überzeugungskraft, dass er trotzdem die damals sehr auf die Verteidigung der Bürgerrechte eingeschworene FDP nur wenige Wochen später als Koalitionspartner gewann. Derselbe Politiker holte vier Jahre später umstandslos tausend vietnamesische Flüchtlinge ins Land und spendierte Niedersachsen ein flächendeckendes Netz von Sozialstationen. Albrecht unterstützte den Plan eines gewaltigen Atomenergie-Zentrums rund um Gorleben – Endlager, nationale Wiederaufbereitungsanlage, Atomkraftwerk –, nur um bereits 1979 skeptisch zu werden.

Die Mischung aus kühler, ja kalter staatsbezogener Prinzipienhaltung und menschlicher Anteilnahme war keineswegs berechenbar. Das „Ideologische“ breche bei Albrecht durch und verdränge das „Praktisch-Pragmatische“, urteilte Kiep, dessen erster Eindruck von Albrecht sehr treffend war: „Ruhig, bestimmt, freundlich, fast etwas wissenschaftlich-professoral.“

Sein Land wurde die Keimzelle von Rot-Grün

Nur neun Jahre nach seinem Einzug in den Landtag und drei Jahre nach dem Senkrechtstart in die Bundespolitik schlug Helmut Kohl Albrecht im Juni 1979 als Kanzlerkandidaten vor, um Franz Josef Strauß zu verhindern. Die Bundestagsfraktion stimmte für Strauß. 1984 wollte Kohl Albrecht als Bundespräsidenten-Kandidat durchdrücken, um Richard von Weizsäcker zu verhindern. Auch das misslang. Der Niedergang der Ära Albrecht nahm ihren Lauf. 1990 endete seine Regentschaft auf ähnliche Weise, wie sie begonnen hatte.

1976 hatte die eher links gewirkte SPD aus Verzweiflung den großbürgerlich erscheinenden Bundesbauminister Karl Ravens in den dritten Landtags-Wahlgang geschickt, um den jungen Ernst Albrecht zu verhindern. 1990 drückte Albrecht, um den jungen Gerhard Schröder zu verhindern, Rita Süssmuth als Spitzenkandidatin durch – und scheiterte. Ernst Albrechts Musterland wurde die Keimzelle der ersten rot-grünen Bundesregierung.

Aus seiner Schutz- und Trutzfamilie aber kommt nun eine der Anwärterinnen für Angela Merkels Nachfolge, seine Tochter Ursula von der Leyen. Am Samstag ist Ernst Albrecht nach langer Krankheit im Alter von 84 Jahren gestorben.

Von der Leyens bewegende Worte an die Soldaten

Eigentlich war sie gekommen, um Fotos mit sich machen zu lassen und ein wenig Zeit mit den Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan zu verbringen. Doch nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters kam alles anders.

Quelle: N24

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