Erik Satie - Ein Komponist der Widerspr�che: Satie brach mit allen Konventionen
ArchivDeutsches �rzteblatt34-35/2000Erik Satie - Ein Komponist der Widerspr�che: Satie brach mit allen Konventionen

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Erik Satie - Ein Komponist der Widerspr�che: Satie brach mit allen Konventionen

Ludwig, Timm

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LNSLNS Er stammte aus Honfleur, einem kleinen Ort an der Kanalk�ste. Die Saties nannten ihr erstes Kind, das am 17. Mai 1866 geboren wurde, Eric-Alfred-Leslie. Sp�ter schrieb er sich mit K, seiner nordischnormannischen Abstammung halber, die ihm wichtig war. Von der Mutter, Jane Leslie Anton, ist nur bekannt, dass sie aus Schottland stammte und als junge Frau von ihren Eltern �ber den Kanal geschickt wurde, um Franz�sisch zu lernen. Der Vater, Alfred Satie, war Normanne, Inhaber einer Schiffsmaklerfirma in Honfleur.
Nach dem Deutsch-Franz�sischen Krieg 1870/71 zog die ganze Familie nach Paris.
Eriks Mutter gebar noch drei weitere Kinder, dann starb sie 1872 in Paris. Der sechsj�hrige Erik und sein Bruder Conrad werden von ihrem Vater zu den Gro�eltern nach Honfleur gebracht.
1878 endet das Leben der Gro�mutter mit einem Bad im Kanal. Der Vater nimmt seinen Jungen wieder zu sich nach Paris. Auch mit 13 Jahren braucht Erik noch nicht zur Schule zu gehen, da der Vater nichts davon h�lt. Als Inhaber einer Buchhandlung und eines Musikverlages kann der es sich leisten, Privatlehrer zu engagieren. Und � wieder zu heiraten: die Klavierlehrerin Eug�nie Barnetsche. Sie unterrichtet Erik im Klavierspiel.
Qu�lereien
Der besteht am 4. November 1879 die Aufnahmepr�fung f�r das Conservatoire; und er tritt in die Klaviervorbereitungsklasse von Emile Decombes ein. Nach drei Jahren aber, 1882, wird Erik entlassen, weil seine Leistungen f�r sein Alter als zu gering beurteilt werden. 1883 wird er dann aber doch wieder am Konservatorium aufgenommen, als �Gasth�rer�. Er schreibt seine ersten Kompositionen: �Valse-Ballet�, �Fantaisie-Valse�.
Sp�ter, im Krisenjahr 1893, komponiert er �Vexations� (Qu�lereien), eine sarkastische Abrechnung mit dem Kompositionsunterricht am Conservatoire. Vexations sind vier kurze Zeilen, die genau 840-mal wiederholt werden m�ssen, �tr�s lent�. F�r eine tats�chliche Auff�hrung war das St�ck sicher nicht gedacht. In voller L�nge erklang es erst Jahrzehnte sp�ter, 1965 in New York. John Cage lie� zehn Pianisten mitwirken bei der Urauff�hrung von �Vexations�, von denen jeweils einer die B�hne betrat, spielte, dann Platz machte f�r den Nachfolger und als Z�hler fungierte, bevor er die B�hne wieder verlie�. 18 Stunden dauerte die Performance.
Einerseits war es Erik ganz lieb, als Sch�ler des Conservatoire vom Milit�rdienst befreit zu sein; wie schrecklich andererseits die �Qu�lereien� des Conservatoire ihm waren, l�sst sich daraus ermessen, dass er sich, um ihnen zu entkommen, schlie�lich freiwillig zum Milit�r meldet. Jedoch, vom Regen in die Traufe: Der Drill in Arras wird ihm so hart, dass er auf heroische Weise sich entzieht: Er bleibt im Winter unbekleidet eine Nacht lang im Freien stehen: Pneumonie, Krankschreibung, Untauglichkeit, Entlassung. 1887 verl�sst der 20-j�hrige Erik sein Elternhaus, ausgestattet mit einer h�bschen Summe (1 600 Francs), und er zieht, zusammen mit Contamine de Latour, nach Montmartre, rue Cortot 6. Dies war schon die zweite Wohnung. Die erste, eine Etage, hatte er nur kurze Zeit; und er hatte alle angeschafften sch�nen M�bel wieder ver�u�ern m�ssen. So unfachm�nnisch war er mit seinem Geld umgegangen, dass er schon bald auf dem Montmartre bekannt war als �Monsieur le Pauvre�.
Satie nimmt 1888, aus purer Geldnot, eine Anstellung im Kabarett �Chat Noir� an, �berwirft sich aber mit dem Inhaber nach einigen Monaten und findet eine neue Stelle in der Auberge du Clou. Er tritt der Sekte der �Rosenkreuzer� bei und liefert eine Komposition: �Premi�re pens�e Rose + Croix�; ferner schreibt er seine ersten �Trois Gnossiennes�.
Die Auberge du Clou wird zu einem Ort der Begegnung. Hier beginnt 1891 die legend�re Freundschaft mit Claude Debussy, die bis zu Debussys Tod 1918 anhielt. Die beiden grundverschiedenen M�nner haben sich intensiv ausgetauscht, und verdanken einander viel.
Bausteintechnik
Satie hat schon w�hrend der ersten f�nf Jahre seines Komponierens eine vorher nie da gewesene Methode daf�r entwickelt: Bausteintechnik. Die Musik ist nicht dynamisch, sie ist statisch, ein Klangband entsteht, ohne Anfang und ohne Ende, das ein akustisches Ambiente ergibt. Zu Saties unkonventioneller Schreibweise geh�ren Verzicht auf Takt und Metrum sowie auf die traditionellen italienischen Vortragsanweisungen, daf�r aber das Einf�gen kurioser Kurztexte zwischen die Notenzeilen. !
1893 wird zum Krisenjahr. Satie sp�rt deutlich die Unzul�nglichkeit seiner musikalischen Ausbildung. Im Januar 1893 zieht eine junge Frau mit einem neunj�hrigen Jungen in das Atelier in der Rue Cortot ein, gleich neben
Erik Satie. Die Malerin Suzanne Valadon wird seine Freundin. In diesen Tagen komponiert Satie die �Danses gothiques�, in seinem neogregorianischen Stil. Am 20. Juni ging Satie zur Polizei. Er hatte die einzige gro�e Liebe seines Lebens, Suzanne Valadon, von Eifersucht und Schwermut umnebelt, aus dem Fenster geworfen. Sie hat ihr Mitleid nicht an einen Trinkenden verschwendet, und so ist sie am Leben geblieben und hat sp�ter eines ihrer sch�nsten Bilder malen k�nnen, das Portr�t ihres Sohnes Maurice Utrillo.
Hatte Satie sein irdisches Gl�ck nun vorerst vertrunken und vertan, so war ihm am himmlischen umso mehr gelegen � so sehr, dass er eine eigene Kirche gr�ndete: Die �Eglise M�tropolitaine d�Art de J�sus Conducteur�, mit ihm selbst als Vorsitzenden. Zentrum des Ordens war seine Kammer in der Rue Cortot. Den Veranstaltungen seiner Sekte wohnte er ganz allein bei; ja er lud sich selbst postalisch dazu ein, oder er sagte ab. Er schreibt in der Baukastentechnik eine
�Messe des pauvres� f�r die Zeremonien seiner Kirche, kommt aber nicht recht damit voran und l�sst diese Armenmesse 1895 als Fragment liegen.
Sieben Cordanz�ge
1896 wirft Satie seine Priesterroben auf einen Haufen und verbrennt sie. Dann kauft er sich sieben gleiche schlichte Cordanz�ge: die er die n�chsten neun Jahre ausschlie�lich tragen wird. 1908 wird er dem Comit� Radical-Socialiste in Arcueil angeh�ren, 1914 der Sozialistischen und 1920 der Kommunistischen Partei. 1898 hatte Satie im Arbeitervorort Arcueil, im grauen �Maison des quatre Chemin�es, rue Cauchy 22, eine Kammer bezogen, die sein blieb bis zum Lebensende; niemandem, nicht einmal dem Concierge, gew�hrte er Zutritt. Er hat nicht nur gehungert, er hat auch gefroren. Sein Freund, der Montmartre-Chansonnier Vincent Hyspa, engagiert ihn als Lohnklimperer.
1903 kommt Satie heraus mit einer Art Retrospektive seiner musikalischen Ideen der letzten zehn Jahre, den �Trois morceaux en forme de poire�. Es ist erstklassige Salonmusik, die zum Repertoire jedes Pianisten geh�rt. Er findet mit diesen St�cken zu einem musikalischen Charakter, der allein f�r ihn typisch ist und der ihn so beliebt und so umstritten gemacht hat, zur Symbiose von Feierlichkeit und Chanson, von Esoterik und Schlager, von E- und U-Musik. Satie vertauscht nun, 1905, seine �Velvet gentleman�-Tracht mit einer �B�rokraten-Uniform�, zu der Bowler-Hut, steifer Kragen und Regenschirm geh�ren. Die Wandlung ist keineswegs nur �u�erlich: fast 40 Jahre alt, schreibt er sich ein an der Schola Cantorum, studiert Kontrapunkt unter Albert Roussel und Orchestration unter Vincent d�Indy. Der Erfolg gibt ihm Recht: 1908 erh�lt er das Abschlusszeugnis der Schola: �Sehr gut�.
In den Jahren 1908 bis 1912 komponiert er �Aper�us D�sagr�ables� (�Unangenehme Einf�lle�). Sie zeigen, wie wenig die Schule seiner Originalit�t Abbruch hat tun k�nnen. In den Jahren 1911 bis 1913 geht es endlich mit Anerkennung und Publizit�t voran, weil andere K�nstler sich f�r Satie einsetzen. Maurice Ravel und Ricardo Vi�es spielen in einem Konzert in Paris Werke von Satie. Junge K�nstler und Schreiber interessieren sich f�r Satie, der beginnt ein literarisches Selbstportr�t zu schreiben und (1912) in Fortsetzungen zu ver�ffentlichen: �M�moires d�un amn�sique�. Er schreibt in den Jahren 1912 bis 1915 mehr als 50 �Fantasie�-St�cke f�r den Vortrag durch Vi�es. H�hepunkt sind �Sports et Divertissements�.
Leberzirrhose
1915 begegnet er Jean Cocteau, der die �Morceaux en forme de poire� in der vierh�ndigen Interpretation von Satie und Vi�es vorgetragen h�rt und begeistert ist. Bereits 1916 schl�gt der blutjunge
Jean Cocteau, von der Front verwundet zur�ckgekehrt, ein gemeinsames �Ballet Parade� vor. Diaghilev mit seinem Russischen Ballett w�rde es auff�hren, Picasso Kost�me und B�hnenbilder liefern. F�r die Musik k�me nur Satie in Betracht. Die Premiere von �Parade� war ein Ereignis. Saties Orchestrierung brach mit allen Konventionen. �Parade� ging �ber die B�hne wie ein musikalischer Urknall, gefolgt von Entr�stung und Skandal. Im kleinen Kreis schon 1918 pr�sentiert, wurde Saties �Socrate�, ein sinfonisches Drama mit Singstimme, 1920 uraufgef�hrt. Im Jahr 1922 ist Satie noch als st�ndiger Mitarbeiter in literarischen und k�nstlerischen Zirkeln in Montparnasse aktiv. Aber zwei Balletts aus seinem letzten Lebensjahr, �Mercure� und �Rel�che�, waren totale Flops.
Die einmalige Originalit�t des Menschen und K�nstlers Erik Satie scheint mit seinem allt�glichen Krankheitsschicksal zu kontrastieren: der Alkoholkrankheit. Nach der Premiere von �Rel�che� wurde Satie schwer krank. Die �rzte stellten eine Leberverh�rtung fest. Freunde besorgten ihm ein Hotelzimmer in Paris. Immer mit Hut und Mantel bekleidet, den Regenschirm in der Hand, sa� er dort und verbrachte seine Tage damit, sich im gegen�berliegenden Spiegel zu betrachten und dabei den Riegel seiner T�r vermittels eines komplizierten Arrangements von Schn�ren zu bedienen. Er war so vom Telefon irritiert, dass die Freunde es vermieden, ihn anzurufen, aber daf�r besuchten sie ihn h�ufig. Brancusi, Wiener, D�sormi�re, Milhaud und Caby, ein junger Komponist, waren st�ndig um ihn. Caby pflegte Satie mit unglaublicher Ergebenheit und nahm die oft ungerechtfertigten Wutausbr�che des Kranken geduldig hin. Sechs Monate geht es so. Dann stirbt Erik Satie am 1. Juli 1925 im H�pital Saint Joseph in Paris. An Leberzirrhose, kompliziert durch Pleuritis, hei�t es. Dr. med. Timm Ludwig

Im Krisenjahr 1893 komponiert Satie �Vexations� (Qu�lereien), eine sarkastische Abrechnung mit dem Kompositionsunterricht am Conservatoire. Vexations sind vier kurze Zeilen, die genau 840-mal wiederholt werden m�ssen, �tr�s lent�.

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