Erich Honecker: Wie seine eigene Karikatur - WELT
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Kopf des Tages Erich Honecker

Ein SED-Chef, der wie eine Karikatur seiner selbst redete

Er applaudierte sich selbst: Am 19. Juni 1971 bestätigte der VIII. SED-Parteitag den Aufstieg Erich Honeckers zum Herrscher über die DDR. Es war der Höhepunkt im bisherigen Leben des stalinistischen Funktionärs und Ulbricht-Schützlings.
Leitender Redakteur Geschichte
1-H941-F1971-1 (6040) Honecker auf VIII.Parteitag 1971 Honecker, Erich Generalsekretär des ZK der SED, Staats- ratsvorsitzender der DDR, geb. 25.8.1912 Wiebelskirchen/Saar. - VIII. Parteitag der SED, Berlin, Wer- ner Seelenbinder-Halle, 15. Juni 1971: Honecker erstatten den Bericht des ZK der SED. - Foto. 1-H941-F1971-1 (6040) Honecker auf VIII.Parteitag 1971 Honecker, Erich Generalsekretär des ZK der SED, Staats- ratsvorsitzender der DDR, geb. 25.8.1912 Wiebelskirchen/Saar. - VIII. Parteitag der SED, Berlin, Wer- ner Seelenbinder-Halle, 15. Juni 1971: Honecker erstatten den Bericht des ZK der SED. - Foto.
19. Juni 1971: Erich Honecker (1912 bis 1994) wird als SED-Chef bestätigt
Quelle: picture alliance / akg-images

Als das Ergebnis der Wahl verkündet wurde, sprangen die 2057 Wähler wie Marionetten am selben Faden auf und riefen „Hoch! Hoch!“ oder „Hurra! Hurra!“. Und was tat derjenige, dem dieser Jubel galt? Erich Honecker applaudierte. Doch wem? Etwa der „Weisheit“ der Delegierten beim VIII. Parteitag der SED? Oder sich selbst? Immerhin war der 58-Jährige gerade, natürlich einstimmig, als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bestätigt worden.

Der mächtigste Mann der DDR und Herrscher über 17 Millionen Deutsche war er schon seit Ende April 1971, als er mit bewaffneten Leibwächtern zu seinem Mentor Walter Ulbricht nach Groß Dölln gefahren war und ihn zum Rückzug gezwungen hatte. Anschließend wählte das Zentralkomitee ihn bis auf Weiteres zum Nachfolger. Nun erfolgte die offizielle Erhebung: Der Parteitag segnete die Entscheidung ab.

Erich Honecker, Generalsekretär des ZK der SED und Staatsratsvorsitzender der DDR. Aufnahme von 1971.
Offizielles Honecker-Porträt von 1971
Quelle: picture-alliance / dpa

Der Hamburger Journalist Peter Boenisch beschrieb den Triumphator spitz: „ein Männchen, blass, Quarkgesicht mit Brille“. Böse schilderte er Honeckers Geste beim Jubeln nach seinem Applaus für die Entscheidung der Parteitagsteilnehmer: „Es sieht aus, als ob Jerry Lewis ein Lasso wirft und genau weiß, dass er eine Whisky-Flasche, eine Frau oder sich selbst umreißen wird, aber bestimmt kein Pferd.“

Es war der bis dahin schönste Moment im Leben Erich Honeckers. Rund 13 Jahre hatte er darauf gewartet, präzise, seit er 1958 den damaligen Kronprinzen der sowjetdeutschen Diktatur, Karl Schirdewan, im SED-Politbüro gestürzt hatte. Doch Ulbricht wollte lange von der Macht nicht lassen. So hatte sich Honecker mit dem Moskauer Machthaber Leonid Breschnew verbündet, um den Altstalinisten von der SED-Spitze zu verdrängen. Gut anderthalb Jahre hatte das gedauert, und zeitweise schien es, als würde sich Ulbricht trotz seiner 77 Jahre durchsetzen können. Am Ende siegte Honecker.

„Ulbricht war ein unsympathischer kommunistischer Führer“, befand Boenisch: „Der neue Mann ist ein blutleerer sozialistischer Briefmarkenkleber – verkrampft bis in die Zungenspitze.“ Er rede „wie seine eigene Karikatur“. Der Journalist frage sich fassungslos: „Wie wird so etwas Erster Sekretär? Wer lässt so wenig Persönlichkeit aufs Podium? Und wie gefährlich ist so viel Mittelmaß an den Schalthebeln der Macht?“

VIII.Parteitag der SED 1971 Ost-Berlin, 15./16. Juni 1971: VIII. Parteitag der SED in der Werner- Seelenbinder-Halle. - Berichterstattung des ZK der SED durch seien Ersten Sekretaer, Erich Honecker. - Foto, 15. Juni 1971.
VIII. Parteitag der SED in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin
Quelle: picture-alliance / akg-images

Wohl nur in einem System der Unfreiheit wie der DDR konnte ein Erich Honecker bis an die Spitze der Macht aufsteigen. Geboren 1912 im saarländischen Wiebelskirchen, stammte aus einer vergleichsweise wohlhabenden Arbeiterfamilie: Sein Vater besaß ein Häuschen und etwas Grund sowie eine Gartenparzelle. Zu seinem Elternhaus gehörten Stallungen für eine Kuh und Ziegen. Die Honeckers hielten Kaninchen und konnten zeitweise ein bis zwei Schweine mästen. Seinem Vater blieben im Weltkrieg Fronteinsätze weitgehend erspart – er war Matrose bei der Hochseeflotte.

Noch bevor der kleine Erich, das vierte Kind der Familie, zehn Jahre alt war, begann seine kommunistische Indoktrination: Er trat dem Kommunistischen Jugendverband bei. Mit 13, nach dem Ende seiner Schulausbildung, fand er zunächst keine Lehrstelle und ging nach Hinterpommern. Dort bekam Honecker die Chance, zum Hofeigentümer zu werden – wenn er die Tochter des Bauern heiratete. Er lehnte ab, kehrte ins Saarland zurück und begann eine Lehre als Dachdecker.

Vor allem aber wurde er Jugendfunktionär der KPD und galt bald als aussichtsreicher Nachwuchs. Ausbildungskurse in Berlin, Moskau und in der stalinistischen Stadtgründung Magnitogorsk im Ural, genau an der Grenze von Europa und Asien, schlossen sich an. Seine Dachdeckerlehre hatte er zuvor abgebrochen.

VIII.Parteitag der SED 1971 Ost-Berlin, 15./16. Juni 1971: VIII. Parteitag der SED in der Werner- Seelenbinder-Halle. - Berichterstattung des ZK der SED durch seinen Ersten Sekretaer, Erich Honecker. - Foto, 15. Juni 1971.
Erich Honecker redete schon 1971 wie "eine Karikatur seiner selbst"
Quelle: picture-alliance / akg-images

In seinem Jahr in der Sowjetunion verinnerlichte Honecker den „Habitus des stalinistischen Parteikaders“, schreibt sein Biograf Martin Sabrow: „Stalin blieb bis zum Ende Honeckers prägendste politische Bezugsfigur.“

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Zurück im Saarland, wurde der gerade 19-Jährige im Sommer 1931 hauptamtlicher KP-Funktionär. Nach Hitlers Machtübernahme – das Saarland stand noch unter französischem Mandat – arbeitete Honecker in der Illegalität im Ruhrgebiet und geriet hier ins Blickfeld der Gestapo. Während einer illegalen Reise nach Berlin wurde Honecker am 4. Dezember 1935 festgenommen und vom Gestapo-Vize Heinrich Müller persönlich vernommen. Es folgten Untersuchungshaft und 1937 die Verurteilung zu zehn Jahren Zuchthaus.

Das ersparte Honecker einerseits die Einweisung in ein KZ, andererseits wurde er auch nicht zum Militärdienst eingezogen. Seit 1943 musste er als angelernter Dachdecker helfen, Bombenschäden an Berliner Häusern zu reparieren. Am 6. März 1945 floh Honecker und tauchte für eine Woche bei einer Bekannten unter, stellte sich dann aber freiwillig der Polizei und wurde zurückgebracht ins Gefängnis. Am 27. April wurde er, inzwischen wieder in seiner Stamm-Haftanstalt Brandenburg-Görden, durch sowjetische Truppen befreit.

Erich Honecker as a prisoner between 1935 and 1945. Honnecker (1912 - 1994), was a German communist politician who, as the General Secretary of the Socialist Unity Party, led East Germany from 1971 until the weeks preceding the fall of the Berlin Wall in 1989 1940
Erich Honecker, fotografiert 1935 von der Gestapo
Quelle: picture alliance / Photo12

Sofort machte sich Honecker auf nach Berlin und diente sich den ersten aus Moskau zurückgekehrten KPD-Funktionären an. Nun lernte er auch Walter Ulbricht kennen. Zuerst aber bekam er wegen seines Verhaltens im nationalsozialistischen Gefängnis eine strenge Rüge der Partei. Trotzdem wurde er Gründungsvorsitzender des kommunistischen Jugendverbandes FDJ und gehörte von Beginn an zur erweiterten Führung der SED.

1950 rückte er als Kandidat, also noch nicht stimmberechtigtes Mitglied, ins Politbüro auf, und damit in den inneren Zirkel der Macht. Als nach dem Volksaufstand in der DDR vom 16. und 17. Juni 1953 Ulbrichts Macht wankte, stellte sich Honecker an seine Seite. Im Februar 1958 stürzte er dessen aus Moskau unterstützten ungeliebten Kronprinzen Karl Schirdewan. Honecker wurde Vollmitglied des Politbüros und ZK-Sekretär für Sicherheit. Er war nun der zweite Mann der Partei.

Ulbricht übertrug ihm die Organisation des Mauerbaus – eine Aufgabe, die Honecker aus SED-Sicht hervorragend bewältigte. Spätestens seit 1968, eigentlich aber wohl schon seit 1963, sah er sich als eigentlichen Spitzenmann der DDR, doch Ulbricht machte nicht freiwillig Platz. So musste Honecker seinen ehemaligen Förder wegbeißen – er tat es so effektiv, dass Ulbricht sich beim VIII. Parteitag wegen „Krankheit entschuldigen“ ließ, um nicht bei der Inthronisation seines Nachfolgers mitklatschen zu müssen.

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