Den Monolog hat sich ein Drehbuchschreiber ausgedacht, aber seine Absurdität hat einen Ort in der historischen Wirklichkeit: „Ich habe Vorsorge getroffen, dass in Kürze 1000 der modernen Strahljäger zur Verfügung stehen“, sagt Bruno Ganz alias Adolf Hitler in dem Film „Der Untergang“ zu einem hochrangigen Militär. Und fährt fort: „Damit können Sie die Luftwaffe wieder schlagkräftig machen.“ Oliver Hirschbiegels Werk über die letzten Tage im Führerbunker illustriert damit das Maß an Realitätsverlust, an dem der Mann litt, den nicht wenige Deutsche selbst im April 1945 noch immer für ihren Führer hielten.
Denn die Wahrheit sah so aus: Ja, es gab ein Flugzeug, das den alliierten Luftstreitkräften bei richtiger Nutzung überlegen war. Nein, es waren bei Weitem nicht 1000 Stück davon in Kürze einsatzbereit – und noch dazu hatte Hitler persönlich dafür gesorgt, dass der Jet seine vorgesehene Aufgabe gar nicht übernehmen konnte. Und deshalb ist die Geschichte der Messerschmitt 262 vor allem ein Lehrstück über eine verpasste militärische Chance.
Bereits im April 1941 war das erste Versuchsflugzeug des Typs fertiggestellt worden, das die Kraft von zwei Düsentriebwerken antrieb – und das deshalb mit einer Spitzengeschwindigkeit von 870 km/h rund 200 km/h schneller unterwegs war als die bekannten Propellermaschinen. Am 18. Juli 1942 gelang Messerschmitt-Chefpilot Fritz Wendel vom Flugplatz Leipheim aus mit der Me 262 V3 der erste Flug mit Strahltriebwerken vom Typ Jumo 004 der Junkerswerke, die für die Serienmodelle vorgesehen waren.
Hitler bekam die Wunderwaffe im August 1943 präsentiert: „Das ist die Maschine, mit der ich den britischen Luftterror brechen werde“, soll er laut den Erinnerungen des Konstrukteurs Willy Messerschmitt ausgerufen haben, als er den Jet mit dem ausfahrbaren Klapprad vorn auf dem Luftwaffenstützpunkt Insterburg vorbeifliegen sah. Das Flieger-As Adolf Galland, der als General der Jagdflieger für die technische Ausstattung und die Ausbildung der Luftverteidigung verantwortlich war, schöpfte in diesem Moment große Hoffnung. Allerdings nicht lang.
Scheinbar harmlos fragte Hitler kurz nach der Vorführung den Konstrukteur Messerschmitt, ob die Me 262 auch Bomben tragen könne. Der antwortete kurz und falsch: Ja. Es gibt gute Argumente dafür, diesen Moment als denjenigen zu sehen, in dem Deutschland den Luftkrieg endgültig verlor. Hitler hatte nie eine bessere Verteidigung des deutschen Luftraums durch einen neuen Jäger im Sinn gehabt, sondern fantasierte von Vergeltungsschlägen gegen England, die den Gegner zwingen würden, die eigenen Angriffe einzustellen. Und dafür brauchte er einen Bomber.
Die Vorstellung, dass die Me 262 dazu taugen könne, war aus vielen Gründen unsinnig. Der Jet war hervorragend geeignet für Luftkämpfe, in denen er die Vorteile seiner Geschwindigkeit ausspielen konnte. Zu seinen Nachteilen gehörte, dass er eine befestigte und mindestens 1300 Meter lange Rollbahn brauchte, um abzuheben – während Start und Landung gab er deshalb für feindliche Tiefflieger ein leichtes Ziel ab. Ein weiteres Manko war die relativ geringe Reichweite von wenig mehr als 1000 Kilometern. Außerdem war die Leistung bei niedrigen Geschwindigkeiten, bedingt durch die dann weniger schnell in die Turbinen einströmende Luft, unverhältnismäßig niedriger: Die Me 262 wollte rasant geflogen werden.
Das alles wäre zu verkraften gewesen – doch entscheidend sprach gegen Hitlers Pläne, dass das Flugzeug mangels eines Bombenschachts unter dem Rumpf höchstens eine Tonne Last tragen konnte. Der erhöhte Luftwiderstand senkte in diesem Fall ihre Einsatzgeschwindigkeit auf das Niveau alliierter konventioneller Jäger wie der Spitfire, der Mustang oder der Thunderbolt. Zudem war die Me 262 mit einer großen Außenlast nicht mehr ausbalanciert; ein gezielter Abwurf von Bomben war unmöglich. Weil die Maschine nach dem schlagartigen Auslösen zudem oft in schwer kontrollierbare Vibrationen geriet, konnte der Einsatz als Bomber für die Piloten auch dann lebensgefährlich werden, wenn keine Gegner in der Nähe waren.
Obwohl Adolf Galland versuchte, Hitler seine Ideen auszureden, blieb es dabei: Luftwaffenchef Hermann Göring ordnete am 6. Dezember 1943 ausdrücklich die weitere Entwicklung als „Blitzbomber“ an – ein Rekurs auf die deutschen Attacken auf London, die die Briten „The Blitz“ nannten. Insgeheim taten Galland und Görings zweiter Mann, Generalfeldmarschall Erhard Milch, danach alles, um die Me 262 als Abfangjäger zur Serienreife zu bringen. Als Hitler im Mai 1944 davon erfuhr, bekam er einen Wutanfall und verlangte, alle Kräfte auf die Bomberversion zu konzentrieren.
Das hielt Erhard Milch nicht davon ab, bei einer Besprechung mit dem Diktator auf dem Berghof festzustellen: „Mein Führer, das sieht doch jedes kleine Kind, dass die Me 262 kein Bomber, sondern ein Jäger ist.“ Erstaunlicherweise blieb das zunächst ohne Folgen – erst im August 1944 enthob Hitler den Luftkriegsexperten seines Postens. Und erst im November 1944 schwenkte der Diktator darauf um, das Flugzeug als Jäger einzusetzen.
Dass der Jet das Potenzial besessen hätte, in dieser Funktion den Kriegsverlauf zu beeinflussen, erwies sich am 18. März 1945: Am Morgen ging an den Standorten Brandenburg-Briest und Oranienburg die Meldung ein, dass ein Großangriff alliierter Bomber bevorstünde. Es gelang, einen geschlossenen Gefechtsverband zu sammeln und an die großen Pulks der Amerikaner heranzuführen. Im Raum Nauen/Rathenow und Brandenburg/Potsdam stießen die Messerschmitts auf die einfliegenden Bomberverbände.
Die amerikanischen B-17-Besatzungen waren völlig überrascht. In nur acht Minuten schossen die deutschen Piloten sechs der „Fliegenden Festungen“ ab. Insgesamt verlor die 8. US-Luftflotte zwölf B-17 und eine B-24 Liberator. Aber auch die Deutschen verzeichnete an diesem Tag Verluste. Bei Kaltenkirchen stießen zwei Me 262 zusammen. Drei weitere Jets gingen durch Feindeinwirkung verloren.
1433 Flugzeuge des Typs wurden gebaut. Wirklich zum Fronteinsatz taugten aber allerhöchstens 200 davon. Nach dem Kriegsende sorgte eine Legende, die der Oberfähnrich Hans Guido Mutke in die Welt setzte, für Aufsehen: Er behauptete, am 9. April 1945 mit der Me 262 die Schallmauer durchbrochen zu haben. Alliierte Flugzeuge hätten einen Kameraden angegriffen, dem er mit einem Sturzflug haben beistehen wollen. Dabei habe die Zeigernadel des Geschwindigkeitsmessers hinter der roten Warnlinie an der Höchstmarke von 1100 km/h geklebt. Da die Maschine auf Bewegungen des Steuerknüppels nicht mehr reagierte, habe er mit dem Trimmrad den Anstellwinkel des Höhenleitwerks verstellt. Die Geschwindigkeit habe abgenommen, und er habe das Flugzeug wieder unter Kontrolle bekommen.
Gegen Mutkes Geschichte spricht, dass die Me 262 eigentlich weder aerodynamisch noch strukturell dazu in der Lage war, die Überschallgeschwindigkeit zu erreichen. Flugversuche ergaben, dass bereits weit unter der dafür nötigen Beschleunigung Flatterschwingungen einsetzten, die das verhinderten. Aber das ist wohl gar nicht so wichtig. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die Deutschen über ein einzigartiges Kriegsgerät verfügten, das dem Wahn des Mannes zum Opfer fiel, den sie für ihren Führer hielten.
Aber auch das stellte sich im Nachhinein als Segen heraus: Ein sachgerechter Gebrauch der Me 262 hätte den Krieg wohl verlängert. Damit hätte sich für Deutschland die Wahrscheinlichkeit erhöht, von den Alliierten mit Atombomben eingedeckt zu werden.
Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.