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Weltraum Raumstation

Ein Tag im Leben des Astronauten Alexander Gerst

Chefkorrespondent Wissenschaft
Seit Ende Mai lebt der deutsche Astronaut Alexander Gerst an Bord der Internationalen Raumstation. Was macht er dort die ganze Zeit? Das Protokoll eines ganz normalen Tages in der Schwerelosigkeit.

Morgens 7:00 Uhr: Für Frühaufsteher an Bord der Internationalen Raumstation beginnt ein neuer Tag. Wer indes noch bis 7:30 Uhr schlummern möchte, darf dies gern tun. Jeder Astronaut entscheidet selber, wann er sich von seiner Armbanduhr wecken lassen möchte.

Hauptsache, er erscheint frisch und munter zur allmorgendlichen Planungskonferenz um 8:45 Uhr. Sie ist für alle Astronauten an Bord ein Muss. Die individuelle Wahl des Weckrufs hängt mithin davon ab, wie viel Zeit man für seine Morgentoilette und das anschließende Frühstück zur Verfügung haben möchte.

Der deutsche Wissenschaftsastronaut Alexander Gerst lebt nun seit mehr als einem Monat im Rhythmus der Internationalen Raumstation. Ein Tag in dieser Welt ohne oben und unten ist eine einzigartige Mischung aus Routine, Unerwartetem und Außergewöhnlichem.

Was bedeutet eigentlich 8:45 Uhr auf einer Raumstation, die in rund 90 Minuten einmal die Erde umkreist? Während dort ein Tag vergeht, erleben die Astronauten 16-mal einen Auf- und Untergang der Sonne.

Auf der ISS zeigen die Uhren Londoner Zeit

Die Uhrzeit auf der ISS ist mithin eine Konvention. Sie wurde festgelegt auf die Greenwich-Time. An Bord der ISS gehen die Uhren also wie in London. Und wenn sich die Astronauten morgens zur Konferenz versammeln, ist es nach Mitteleuropäischer Sommerzeit bereits 10:45 Uhr.

Die Zeit zwischen Weckruf und Konferenz wird als Post-Sleeping-Phase bezeichnet. Dazu gehört auch die Morgentoilette. Selbst so simple Dinge wie Zähneputzen erfordern in der Schwerelosigkeit spezielle Techniken.

Fließendes Wasser gibt es auf der ISS nicht. Es würde in Gestalt viele Tröpfchen unkontrollierbar durch den ganzen Raum fliegen und möglicherweise irgendwo in empfindlichen elektronischen Geräten hängen bleiben. Außerdem ist Wasser ohnehin sehr knapp auf der Raumstation. Man kann es ja nicht tonnenweise ins Weltall transportieren.

So putzt man die Zähe im All

Wenn Alexander Gerst sich die Zähne putzen will, drückt er aus einem trinkbeutelartigen Wasserspender über einen darin steckenden Strohhalm vorsichtig einen kleinen Wassertropfen heraus. Der schwebt dann als kleines Kügelchen frei im Raum. Das Wasser lässt sich mit einer ganz gewöhnlichen Zahnbürste einfangen. Es haftet gut an den Borsten.

Wenn man jetzt die Zahnbürste ganz behutsam zu den Lippen führt, kann man das Wasser in den Mund bringen. Im nächsten Schritt wird aus einer Zahncremetube ein bisschen Gel auf der Bürste platziert. Auch sie bleibt dort haften. Das Zähneputzen erfolgt dann im Prinzip wie auf der Erde, nur muss der Mund fest verschlossen bleiben, damit die weißliche Flüssigkeit nicht in den Raum entkommen kann.

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Der wichtigste Unterschied zum irdischen Zähneputzen kommt am Ende der Prozedur. Das wässrige Zahnputzmittel im Mund wird einfach heruntergeschluckt. Im All kommt es also besonders darauf an, dass einem die Zahncreme schmeckt. Nachspülen mit einem weiteren Tropfen Wasser aus dem silbrigen Vorratsbeutel ist erlaubt.

Der Kaffee ist maximal 40 Grad heiß

Die Frage „Was ziehe ich heute an?“, stellt sich auf der ISS nicht. Die Zeit, die Erdlinge vor dem Kleiderschrank grübeln, spart man im Weltall. Der passende Overall liegt stets bereit. Gerst nutzt den Morgen auch für private Dinge – ein Blick durch das große Fenster auf den Blauen Planeten oder schnell noch ein Tweet für die Fangemeinde unten.

Dann ist es an der Zeit, zu frühstücken. Jeder ISS-Astronaut speist am Morgen für sich allein. Das bedeutet allerdings nicht, dass man nicht doch zufällig im Küchenbereich auf Kollegen trifft, die just zur gleichen Zeit einen maximal 40 Grad heißen Kaffee oder Tee trinken und krümelfreie Bisquits essen möchten. Private Gespräche auf Englisch oder Russisch ergeben sich zwanglos.

Alle Getränke werden grundsätzlich per Strohhalm getrunken. Wie beim Zähneputzen gilt: Es darf keine Flüssigkeit in der Raumstation herumdiffundieren. Das gleiche Flugverbot gilt für Krümel. Deshalb müssen die Astronauten auf normales Brot verzichten. Teigwaren an Bord haben eher die Konsistenz von Tortilla.

Jeden Morgen gibt es eine Konferenz

8:45 Uhr: Die morgendliche Planungskonferenz beginnt. Sie dauert 15 bis 30 Minuten. Das Team der sechs Astronauten wird nacheinander mit den vier betreuenden Bodenstationen verbunden.

Die Reihenfolge ist stets die gleiche: zunächst die Schalte in die USA, dann nach Russland, anschließend Europa und schließlich noch Japan. Besprochen werden die Projekte und Experimente, die im Auftrag der jeweiligen Raumfahrtagentur absolviert werden.

Mal gibt es mehr Gesprächsbedarf mit der amerikanischen Nasa, mal mit der russischen Weltraumagentur Roskosmos, der europäischen Esa oder auch der Jaxa in Japan.

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Natürlich gibt es einen generellen Arbeitsplan, der schon lange vor der Mission feststeht. Doch Änderungen sind bis zur letzten Minute möglich, weil es immer wieder unvorhergesehene Dinge gibt. Außerdem geht es immer darum, die anstehenden Arbeiten zeitnah, ausführlich und im Detail zu besprechen.

Täglich 2,5 Stunden Sport

9:15 Uhr: Der Arbeitstag beginnt. Im Vordergrund stehen die zahlreichen wissenschaftlichen Experimente, die Alexander Gerst im Laufe seines halbjährigen Aufenthalts an Bord der Raumstation zu absolvieren hat.

Von den täglich 2,5 Stunden körperlichem Training wird normalerweise ein Block am Vormittag und ein zweiter am Nachmittag gemacht. Die konkreten Stundenpläne sind dafür zu komplex und unterliegen einer Vielzahl von Randbedingungen – wie beispielsweise der Dauer von bestimmten Experimenten.

So gibt es beispielsweise Experimente, die so empfindlich sind, dass zeitgleich kein anderer Astronaut Sport an Bord der Raumstation treiben darf – wegen der dadurch verursachten Vibrationen.

Manche Versuche erfordern auch einen mehrstündigen, ununterbrochenen Zeitaufwand, was bei der Terminplanung ebenfalls berücksichtigt werden muss. So klappt es nicht immer, dass die Astronauten ihren Lunch gemeinsam genießen.

Regelmäßiger Psycho-Check

Mittags 12 Uhr: Ein Fixpunkt im Alltag der Astronauten ist die einstündige Mittagspause. Abhängig vom aktuellen Tagesplan findet sie individuell irgendwann zwischen 12:00 und 14:00 Uhr statt. Nach dem Mittagessen geht es weiter im eng getaktetem Stundenplan. Experimente, Sport an der Kraftmaschine oder auf dem Fahrrad.

Auch medizinische Sprechstunden mit einem Arzt und Psychologen werden regelmäßig in den Arbeitstag integriert. Einmal wöchentlich gibt es ein medizinisches und alle 14 Tage ein psychologisches Check-up-Gespräch. Dafür sind jeweils 15 Minuten vorgesehen. So muss ein Raumfahrer nicht von sich aus um eine Konsultation bitten.

Gerst hat seinen psychologischen Betreuer, Professor Dietrich Manzey von der Technischen Universität Berlin, schon lange vor seiner Reise ins All kennengelernt. Was die beiden dieser Tage zwischen Himmel und Erde miteinander zu besprechen haben, bleibt selbstverständlich streng vertraulich.

Pampige Speisen von Chefköchen

Abends 18:00 Uhr: Zum Abendessen versammeln sich stets alle ISS-Astronauten. Es ist die einzige warme Mahlzeit des Tages, die Hauptmahlzeit. Die Zeiten, da sich Raumfahrer Spezialnahrung aus der Tube direkt in den Mund drücken mussten, sind längst vorbei.

Die Astronauten auf der ISS genießen sehr leckere Speisen, die von renommierten Chefköchen konzipiert wurden – fast wie auf der Erde. Doch einige wichtige Unterschiede gibt es in der Schwerelosigkeit schon. Teller hat man hier nicht. Gegessen wird mit einem Löffel direkt aus Dosen und Tüten, die irgendwo an einer Wand fixiert werden müssen.

Dann kann man Hühnchen mit Reis oder Gulasch mit Püree aus dem Behälter löffeln. Damit die Speisen auf dem Weg zum Mund auch am Löffel kleben bleiben und nicht eigenständig auf Reisen gehen, haben die Köche zu Tricks gegriffen. Die Speisen haben eher eine klebrige und pampige Konsistenz. Diese erreicht man zum Beispiel durch Zugabe von Gelatine.

Ohne Schwerkraft schmeckt das Essen anders

Das Geschmacksempfinden in der Schwerelosigkeit ist deutlich anders als auf der Erde. Was daheim sehr lecker schmeckte, kann im Weltall plötzlich sehr fad sein. Der Grund dafür ist tatsächlich die fehlende Schwerkraft.

Weil die Körperflüssigkeiten nunmehr nicht allesamt nach unten gezogen werden, verteilen sie sich anders im Organismus. Während die Beine dünner werden – die Astronauten nennen das selber „Storchenbeine“ – sammeln sich Flüssigkeiten stärker im Oberkörper und damit auch in den Schleimhäuten in Mund und Nase. Diese ist wie bei einem Schnupfen etwas angeschwollen, was bekanntlich das Geschmacksempfinden verändert.

Den Speisen im All wird also tendenziell eher mehr Salz zugesetzt als auf der Erde. Wein oder Bier gibt es auch zum festlichsten Dinner nicht. Alkohol ist an Bord der ISS grundsätzlich verboten.

Am Abend ist Zeit für private Dinge

Nach dem Abendessen ist der Arbeitstag noch nicht vorüber. Zwischen 19:00 und 19:30 Uhr beginnt die Abendkonferenz mit den vier Bodenstationen – in der gleichen Reihenfolge wie am Vormittag.

Wurden morgens vorwiegend Informationen von der Erde hinauf zur Raumstation übermittelt, so ändert sich am Abend die vorherrschende Kommunikationsrichtung. Jetzt berichten die Astronauten von ihrem Arbeitstag, den Experimenten, Ergebnissen oder aufgetretenen Problemen. Wieder dauert die Konferenz rund eine halbe Stunde.

20 Uhr: Spätestens jetzt ist Feierabend, und die sogenannte Pre-Sleep-Phase beginnt. Bis zum Schlafgehen hat nun Alexander Gerst Zeit für private Dinge. Es gibt an Bord der ISS kleine private Kabinen, die nicht nur Sicht-, sondern auch guten Schallschutz gewähren.

Hier kann Alexander Gerst auch Musik genießen, ohne andere zu stören. Das Laptop mit Internetzugang lässt sich zum Telefonieren mit der Familie und Freunden auf der Erde nutzen.

So wäscht man sich in der Schwerelosigkeit

Für das Lesen von Online-Zeitungen, Schauen von Nachrichtensendungen, Twittern und Aktualisieren von Facebook-Einträgen ist jetzt ebenfalls die richtige Zeit. Besonders beliebt bei den meisten Astronauten ist das Fotografieren des Blauen Planeten.

Nach einem anstrengenden Arbeitstag mit viel Sport haben auch Menschen in der Schwerelosigkeit das Bedürfnis, sich zu duschen oder zumindest zu waschen. Händewaschen ist noch eine leichtere Übung.

Ähnlich wie beim Zähneputzen wird ein Tropfen Wasser – diesmal etwas Seife enthaltend – aus dem Vorratsbeutel gedrückt. Den schwebenden Tropfen greift man sich mit den Händen und reibt sie sich.

Es wird nur so wenig Wasser verwendet, dass die ganze Flüssigkeit auch an der Haut haften bleibt. Mit einem Tuch trocknet man sich die Hände ab. Es kommt dann in eine Kammer, in der es getrocknet und das Wasser wieder recycelt wird.

Weltraumklo mit Vakuumpumpe

Ab und zu ist an Bord auch Duschen erlaubt. Doch das ist im All etwas ganz anderes als daheim, denn es darf ja kein Wasser fließen. Ein Spezialduschkopf wird also direkt auf die Haut gehalten, sodass auf sie etwas Wasser gelangen kann. Das wird dann von dem Duschkopf sofort wieder abgesaugt.

Wasser ist kostbar auf der Raumstation. Deswegen gibt es auf der Toilette auch keine Wasserspülung. Die Fäkalien werden aus dem luftdicht verschlossenen Weltraumklo einfach mit einer Vakuumpumpe weggesaugt.

Damit das Gesäß gut abdichtend auf dem Toilettensitz bleibt, muss sich der Astronaut vor dem großen Geschäft anschnallen. Für das kleine Geschäft gibt es einen Unterdruck-Schlauch mit Trichter. Auch das Wasser auf dem Urin wird wieder aufbereitet und zurückgewonnen.

Der auf der Raumstation anfallende Müll wird in Behältern gesammelt und in einer angedockten Transportkapsel gelagert. Mit diesen unbemannten Transportkapseln, zum Beispiel dem europäischen ATV, wird regelmäßig Nachschub zur ISS transportiert – Lebensmittel, Wasser, Treibstoff, neue Experimente, private Post. Später lässt man sie gefüllt mit Müll gen Erde fliegen, sodass sie in der Erdatmosphäre komplett verglüht. Das ist gleichsam eine kosmische Müllverbrennungsanlage.

Die ISS hat eine „Hausapotheke“

Astronauten sind topgesunde Menschen. Doch auch sie können mal ein Wehwehchen haben. So gibt es an Bord der ISS eine „Hausapotheke“ mit gängigen Standardmitteln – etwa gegen Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden. Auch gegen die sogenannte Weltraumkrankheit gibt es natürlich ein Medikament. Und falls ein Astronaut ernsthafte Schlafprobleme haben sollte, stehen auch Schlaftabletten bereit.

Die Astronauten haben vor ihrer Mission sogar gelernt, kleinere chirurgische Eingriffe notfalls selber vornehmen zu können. Dazu ist es aber bislang auf der ISS noch nie gekommen.

22:15 Uhr: Wer die vorgeschriebenen acht Stunden und 45 Minuten für den nächtlichen Schlummer einhalten will, sollte jetzt allmählich schlafen gehen. Alexander Gerst schlüpft in seinen Schlafsack, der an einer Wand befestigt ist, damit er nicht einfach samt Inhalt hinwegschweben kann.

Da die Weckzeit flexibel ist, darf jeder Raumfahrer eben auch entsprechend selber entscheiden, wann genau er schlafen geht. Die ISS-Astronauten schlafen etwas mehr als der durchschnittliche Erdenbürger, doch die Belastungen im All sind eben auch besonders hoch. Obwohl das Schweben in der Schwerelosigkeit so mühelos und einfach aussieht, erfordert dies doch enorme Anstrengung und Konzentration.

5-Tage-Woche im All

Am Wochenende können sich die Astronauten so richtig ausschlafen. Samstag und Sonntag sind arbeitsfrei. Im Weltall gilt die 5-Tage-Woche. Keine Konferenzen mit der Bodenstation, keine wissenschaftlichen Experimente, kein Zeitplan.

Lediglich drei Stunden je Wochenende sind zum Saubermachen eingeplant. Küche und Toilette müssen schließlich in Schuss gehalten werden. Und das Sportprogramm steht natürlich auch am Samstag und Sonntag an.

Die ISS-Astronauten schlafen an verschiedenen Orten. Die russischen Raumfahrer, also derzeit Alexander Skworzow, Oleg Artjemjew und Maxim Surajew nächtigen im russischen Modul; die Astronauten aller anderen Nationen im großen Verbindungsmodul „Node-1“ – also auch Alexander Gerst.

In der Nacht gibt es niemanden, der Wache an Bord der ISS hält. Die gesamte Crew schläft zugleich. Dafür wachen Menschen in den irdischen Kontrollzentren über das Wohl der schlafenden Weltraumfahrer. Sie werden geweckt, wenn ihnen eine ernste Gefahr drohen sollte – zum Beispiel anfliegender Weltraumschrott.

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