Röhm-Affäre 1934: So missbrauchte Hitler Schwule für Machtspiele - WELT
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Zweiter Weltkrieg Röhm-Affäre 1934

So missbrauchte Hitler Schwule für Machtspiele

Am 30. Juni 1934 ließ Hitler die SA-Führung sowie zahlreiche andere Konkurrenten um die Macht verhaften und umbringen. Die Propaganda begründete die Morde mit „Ekel“ gegen „Lustknaben“.
Freier Autor Geschichte

Am 28. Juni 1934 erhielt Ernst Röhm, Minister ohne Geschäftsbereich und Führer der SA, an seinem Urlaubsort Bad Wiessee von Hitler den Befehl, sich mit seinen engsten Mitarbeitern am 30. Juni, einem Sonntag, zu einer Besprechung mit ihm zur Verfügung zu halten. Zeugen berichten, dass Röhm geradezu erfreut gewesen sein soll, dass sein „Führer“ ihn mit einem Besuch beehre. Der aber verlief anders als erwartet.

Kurz vor sieben Uhr morgens erreichte Hitlers Kolonne den Gasthof „Hanselbauer“, wo Röhm und die übrigen SA-Führer abgestiegen waren. Mit zwei bewaffneten Kriminalbeamten betrat Hitler das Zimmer seines Duzfreundes und brüllte: „Röhm, du bist verhaftet!“ Daran änderte auch dessen Gruß „Heil, mein Führer!“ nichts. Zusammen mit ebenfalls verhafteten SA-Männern wurde Röhm nach München geschafft. Am Abend des 1. Juli wurde er dort von dem SS-Mann Theodor Eicke erschossen, der im Dezember mit dem Posten eines „Inspekteurs der Konzentrationslager“ belohnt wurde.

So soll sich nach Darstellung von Joseph Goebbels die Szene während der Säuberungen zugetragen haben, die von den Nationalsozialisten als „Röhm-Putsch“ verzerrt wurden. Die angeblichen Aufstandspläne der Sturmabteilungen (SA) waren konstruiert worden, um die schwelende Machtfrage im NS-Regime endgültig zu klären.

Die Schlägerbanden der braunen Massenbewegung hatten zwar das ihrige dazu beigetragen, für Hitler die Macht zu gewinnen. Aber ihr Eigenleben, das sie dank dieser Vorgeschichte und ihrer Größe führten, war die NS-Führung immer weniger hinzunehmen bereit. Schließlich wurde eine regelrechte „Todesliste“ aufgestellt, deren Erledigung Heinrich Himmlers SS übertragen wurde. Rund 200 potenzielle Widersacher Hitlers wurden am 30. Juni 1934 gefangen genommen und umgehend liquidiert, darunter auch Hitlers Vorgänger im Kanzleramt, Kurt von Schleicher, sowie die gesamte SA-Führung.

Ernst Röhm: Der „Oberste SA-Führer“ im Strichermilieu

Die homosexuelle Orientierung mehrerer hoher SA-Führer lieferte Hitler dabei einen willkommenen Vorwand. Die Spielanleitung erinnert an den Sturz des NPD-Vorsitzenden Holger Apfel Ende 2013, der parteiintern mit Spekulationen über sein Privatleben begleitet wurde. Darin wurde auch „ein Vorfall“ kolportiert, bei dem sich ein 20-jähriger NPD-Helfer von Apfel belästigt gefühlt habe.

Röhm hatte seinerzeit kein Geheimnis daraus gemacht, schwul zu sein. Er verkehrte offen im Berliner Strichermilieu und zeigte sich mit seinen Favoriten. Nach seiner Rückkehr aus Bolivien, wo er 1928 bis 1930 als Militärberater gearbeitet hatte, machte ihn Hitler zum „Obersten SA-Führer“. In dieser Funktion baute er die Braunhemden zu einer „revolutionären Volksmiliz“ mit zeitweise rund vier Millionen Mitgliedern aus. In seinem Führungsstab brachte er zahlreiche Homosexuelle unter.

Einer von ihnen war Edmund Heines, der es zum Obergruppenführer und Polizeipräsidenten von Breslau brachte. Wenige Tage nach seiner Ermordung am 30. Juni 1934 beschrieb Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg die Umstände seiner Verhaftung im Gasthof „Hanselbauer“: „Im Nebenzimmer war Heines in homosexueller Betätigung. ,Das alles wollen Führer in Deutschland sein‘, sagte der Führer (Hitler; d. Red) gequält. Heines führte eine Heulszene auf: ,Mein Führer, ich habe dem Jungen nichts getan.‘ Und der Lustknabe küsst vor Angst und Wehe seinen Liebling auf die Backe.“

Rosenberg zitiert den langjährigen Gefolgsmann Hitlers, Max Amann, der Zeuge der Aktion war: Nie habe der Führer sich an einem Menschen vergriffen, jetzt aber hätte er den Lustknaben gepackt und „voller Ekel an die Wand geschmissen. Im Korridor kommt dem Führer eine hagere Gestalt entgegen mit rot geschminkten Wangen. ,Wer sind Sie?‘ – ,Der Zivildiener des Stabchefs‘. Da packt den Führer eine Wut ohnegleichen, auf solche Weise seine SA beschmutzt zu sehen, er befiehlt die Lustknaben und sonders in den Keller zu packen und zu erschießen.“

„Der Führer setzt das Recht“

Diese öffentliche Darstellung dieser Szene wurde von den Mördern umgehend zur Verschleierung ihrer Taten und Motive ins Feld geführt: „Die Durchführung der Verhaftung zeigte moralisch so traurige Bilder, dass jede Spur von Mitleid schwinden musste. Einige SA-Führer hatten sich Lustknaben mitgenommen. Einer wurde in der ekelhaftesten Situation aufgeschreckt und verhaftet.“ Röhms Erschießung wurde mit seiner „bekannten unglücklichen Veranlagung“ begründet. In einer Welt, in der homosexuelle Handlungen noch mit Zuchthaus geahndet wurden, traf das durchaus auf Verständnis.

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Das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 legalisierte im nachhinein die Morde, die als „hoch- und landesverräterische Angriffe“ bezeichnet wurden. Der Staatsrechtler Carl Schmitt lieferte die juristische Grundlage mit seinem Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ in der „Deutschen Juristen-Zeitung“ nach.

Ein Ehrendolch beruhigte Reichswehrminister Werner von Blomberg, der wie viele hohe Reichswehroffiziere wegen der Ermordung des Generals Schleicher beunruhigt war. Dabei war es ausgerechnet die Reichswehr gewesen, deren Mutmaßungen, die SA plane einen Putsch, der „Aktion“ gegen ihre Führung einen einigermaßen plausiblen Grund geliefert hatten.

Nach Röhm verschwanden noch 15.000 Homosexuelle

Tatsächlich war die „Nacht der langen Messer“, wie der Volksmund die Säuberungen bald nannte, eine zweite Machtergreifung Hitlers gewesen. Während Röhms Nachfolger Viktor Lutze die SA zu einer Art Wehrsportgruppe disziplinierte, übernahmen SS und SD die Rolle als entscheidendes Machtinstrument der Diktatur. Während ausländische Beobachter sich über die Gangstermethoden mokierten, entdeckten die Behörden in der Bevölkerung vor allem „rückhaltlose Anerkennung der Energie, der Klugheit und des Mutes des Führers“, sie von einem „stark gefühlten Druck“ befreit zu haben.

Das Schicksal der Homosexuellen interessierte ihre Mitmenschen wenig. Von nun an machte das Regime die Verlautbarungen über Röhm und seine Leute zu Leitlinien der eigenen Politik. Da sie sich dem „Wachstum der Volksgemeinschaft und ihrer Wehrkraft“ verweigerten, wurden schwule Männer als „Volksfeinde“ diffamiert. Um sie kümmerte sich auf Geheiß Himmlers ab Ende 1936 die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“. Bis zu 15.000 homosexuelle Männer verschwanden in den Konzentrationslagern.

Führte Adolf Hitler ein Doppelleben?

Eva Brauns privater Blick auf Adolf Hitler

Ein Fotoalbum mit privaten Fotos führender Nationalsozialisten kommt in England unter den Hammer. Es soll aus Eva Brauns Schlafzimmer stammen. Entdeckt wurde es 1945 in Hitlers Berliner Bunker.

Quelle: N24

In der Regel wird der Umschlag von Hitlers Politik mit den Bedingungen der Säuberungen und ihrer ideologischen Begründung erklärt. Der Bremer Historiker Lothar Machtan und andere sind einen anderen Weg gegangen. In seinem Buch „Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators“ (2001) deutete Machtan die Verfolgungen als Versuch Hitlers, seine eigene Veranlagung zu kaschieren und möglichen Erpressungsversuchen vorzubeugen. Denn bis Mitte 1934 war seine Haltung zur Homosexualität zumindest indifferent. Machtan gelang es, zahlreiche Indizien zusammenzutragen, die auf eine zumindest unausgelebte Homophilie Hitlers hindeuten.

Das würde auch erklären, warum der Meldegänger des Ersten Weltkriegs in der durchaus homosexuell aufgeladenen Atmosphäre der Münchner Männerbünde der Zwischenkriegszeit so schnell Karriere machen konnte. Gut möglich, dass Hitlers eigene Veranlagung sein Charisma begründete, wobei es letztlich unerheblich ist, ob der spätere Diktator nun homosexuelle Affären hatte oder ob es eine unausgelebte Ausstrahlung war, die ihm zahlreiche Herzen offensichtlich öffnete.

Machtans These, dass die „Säuberungsaktion“ ein Befreiungsschlag Hitlers gewesen sei, um mögliche Mitwisser aus jenen Jahren zu beseitigen, fand bei seinen Kollegen aber wenig Zustimmung. Für die Ausschaltung der SA hätte es eines solchen Motivs gar nicht bedurft, sie war machtpolitisch geradezu zwingend notwendig. Und überhaupt: Warum soll Hitler später noch viel Geld an mögliche Mitwisser gezahlt haben, wenn er sie einfach hätte beseitigen können, wie er das ja auch später an Homosexuellen vorexerzierte?

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