"Lukaschenka ist ein äußerst schwieriger, aber wichtiger Partner" – DW – 27.11.2002
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"Lukaschenka ist ein äußerst schwieriger, aber wichtiger Partner"

27. November 2002

- Was steckt hinter dem plötzlichen Besuch des weißrussischen Präsidenten in Moskau?

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Moskau, 27.11.2002, STRANA.RU, russ., Dmitrij Gornostajew

Die wichtigste Aufgabe, die vor Moskau und Minsk seit langem steht, ist die Gründung eines Unionsstaates. Diese Aufgabe ist immer noch nicht gelöst. Das ist ein ernstes Problem, an das man nur in äußersten Fällen erinnert werden möchte. Es kann gut sein, dass auf diese Weise auch diesmal beim Putin-Lukaschenka-Gipfel am Mittwoch (27.11.) in Moskau vorgegangen wird. Dass versucht wird, die Akzente auf andere, natürlich wichtige, jedoch nicht so konzeptabhängige Themen zu lenken, die jedoch mehr Sensation versprechen: in Erinnerung aller ist noch der Streit um die Gaslieferungen und der Visa-Skandal des weißrussischen Präsidenten.

Der ein wenig überraschende Arbeitsbesuch von Lukaschenka in Moskau steht auf den ersten Blick ausschließlich in Verbindung mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, da die zugespitzte Situation in der Gesellschaft "Slawneft" und die Streitigkeiten wegen der russischen Gaslieferungen heute wahrscheinlich die akutesten Themen der russisch-weißrussischen Beziehungen sind. Klar ist jedoch, dass es beim Besuch eines Staatsoberhauptes, der von vielen nicht im Kontext der internationalen, sondern der Innenpolitik betrachtet wird, nicht ausschließlich um wirtschaftliche Probleme gehen kann.

Ein Präsident stattet einem anderen Staat keinen Besuch ab, um den Preis für einen Kubikmeter Gas abzustimmen, das ist eine Angelegenheit von Experten, von Ministern, vielleicht noch Premierministern. Der Präsident ist eine politische Figur, was Weißrussland angeht, stimmt das erst recht. Deshalb muss nach den Gründen für einen so plötzlichen Besuch im politischen Bereich gesucht werden. Besonders vor dem Hintergrund der Ereignisse internationalen Charakters um Weißrussland und Aleksandr Grigorjewitsch persönlich. Der Visa-Skandal, der das Verhalten gegenüber Lukaschenka in Europa und noch mehr in Amerika demonstriert hat, gehört zur Reihe der akuten Probleme, die eine sofortige Antwort verlangen. Für Russland ist es hier wichtig zu verstehen, wie der Dialog zu diesem Problem mit Lukaschenka geführt werden soll und auf welche Weise der Dialog über das Problem Lukaschenka mit dem Westen geführt werden soll. Was die konzeptionellen Probleme angeht, die das Wesen und nicht die Form der Beziehungen zu Weißrussland bestimmen, so gehört natürlich das Warten auf eine Antwort von Minsk auf die Frage Moskaus über die Wege des Aufbaus des Unionsstaates dazu.

Die Isolierung von Lukaschenka

Der jetzige weißrussische Präsident war in dem einen oder anderen Maße praktisch ständig international isoliert. Natürlich hat die Kritik seitens der europäischen Staaten und der USA nach den bekannten Ereignissen mit der Auflösung des Parlaments und der Festlegung einer neuen Amtszeit des Präsidenten zugenommen. (...)

Wie dem auch sei, es ist eine Tatsache, dass Lukaschenka in allen Staaten der Europäischen Union, außer Portugal, zur Persona non grata erklärt wurde. Damit muss sich jetzt der nächste und wahrscheinlich einzige Verbündete Weißrusslands - die Russische Föderation - beschäftigen. (...) Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieses Thema beim Treffen von Putin und Lukaschenka erörtert werden, (...) zu viele beschäftigt diese Frage. Wahrscheinlich wird sich Moskau mit Minsk solidarisch zeigen und gleichzeitig versuchen, die weißrussische Seite zu beeinflussen, damit sich die Situation dort in Richtung mehr Demokratie oder zumindest einem Anschein von Demokratie ändert.

Lukaschenka ist, woraus Moskau keinen Hehl macht, ein äußerst schwieriger Partner. Sogar der Wunsch von Aleksandr Grigorjewitsch, nach Prag zu reisen, ist von ihm persönlich als Herausforderung an Moskau gedeutet worden, als eine Antwort auf die Erhöhung der Gastarife. Es sollte so aussehen, als ob Russland Weißrussland keinen anderen Ausweg gelassen hätte, als nach Prag zur NATO zu reisen. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Doppelspiel in diesem Fall zu primitiv war. Das Ergebnis war, dass er sowohl von der NATO in Gestalt Tschechiens eine Ansage bekam (dazu noch den Status der Persona non grata von der EU) als auch die Beziehungen zu Russland sich nicht verbesserten, sondern im Gegenteil verschlechterten. Hätte Aleksandr Grigorjewitsch ruhig in Minsk gesessen, hätte sich niemand an ihn erinnert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte er anfänglich eben so vorgehen, umso mehr, da Wladimir Putin aus prinzipiellen Überlegungen nicht nach Prag reiste – der Beschluss über die NATO-Erweiterung wird in Moskau als Fehler betrachtet. Lukaschenka wollte nicht reisen, solange die Gaslieferungen nicht gestoppt wurden. Na ja, wenn Ihr uns den Gashahn zudreht, dann begeben wir uns halt zur NATO. Aber auch da wurde etwas zugedreht.

Wann wird Lukaschenka Putin eine Antwort geben?

Aber ungeachtet aller Schwierigkeiten ist es ein Partner, dazu noch ein wichtiger. Bei allem nicht eindeutigen und des Öfteren negativen Verhalten ihm persönlich gegenüber muss man daran denken, dass er der Präsident eines Landes ist, das mit Russland einen Unionsstaat bildet. Das Bestreben, einen Unionsstaat mit Weißrussland zu bilden, ist in der russischen Gesetzgebung verankert, da das Parlament ein Gesetz über die Ratifizierung eines entsprechenden Vertrages angenommen und der Präsident es unterzeichnet hat. Einfacher gesagt ist das Bestreben, mit Weißrussland einen Unionsstaat zu bilden, ein Gesetz, das auf dem Territorium der Russischen Föderation gilt. Das Bestreben ist jedoch noch keine Gründung. Es gibt wesentliche Meinungsverschiedenheiten, was den Mechanismus und die Methoden seiner Gründung angeht. Und diese sind des Öfteren schwerer als der positive Einfluss der Tatsache, dass beide Staaten ein gemeinsames Ziel haben.

Man kann natürlich auch über die tieferen Gründe für das negative Verhalten des Westens gegenüber dem Phänomen Lukaschenka und dem modernen Weißrussland nachdenken. Zu den wichtigsten gehört hier die psychologische Angst des Westens, vor allem der USA, dass Moskau und Minsk tatsächlich etwas wiederherstellen könnten, das, wenigstens was das militär-politische Potential und die geostrategische Lage in Europa betrifft, an die Sowjetunion erinnert. Man hat Angst, Moskau dafür zu kritisieren. Es ist jedoch viel leichter und sicherer, das schwache Glied anzugreifen, um so mehr, da es tatsächlich ein schwaches Glied ist.

Die tieferen Gründe sind nicht zu ändern, es ist jedoch notwendig, täglich Probleme in den Beziehungen zu Weißrussland zu lösen. Und das wichtigste ist die Frage, wie der Unionsstaat aussehen wird.

Bekanntlich hat Wladimir Putin Aleksandr Lukaschenka keine große Wahl gelassen – entweder schließt sich Weißrussland Russland an oder es gibt eine Integration nach dem Muster der Europäischen Union.

Die erste Variante lehnte der weißrussische Präsident ab.

Zur zweiten hat er sich nicht geäußert.

Eine dritte scheint es nicht zu geben.

Es hat jedoch kaum Sinn zu behaupten, dass es eine dritte Variante hundertprozentig nicht gibt. Man kann nicht ausschließen, dass Lukaschenka nach Moskau mit, sagen wir mal, seiner Variante des Unionsstaates kommt.

Oder mit Änderungen an der russischen Variante, die von Putin während des letzten Treffens beider Präsidenten in Moskau erläutert wurde. (...)

Jedenfalls ist die Frage über Wege der Integration, über solche Aspekte wie zum Beispiel die Einführung einer einheitlichen Währung, die Erarbeitung einer Verfassung, die Bildung nicht staatlicher Strukturen für Russland viel wichtiger als die Frage, ob es Sinn hat, Lukaschenka zu unterstützen, wenn er nicht nach Europa einreisen darf. So darf die Frage keinesfalls stehen: Moskau bestimmt seine Politik gegenüber einem x-beliebigen Partner, besonders, wenn es um den nächsten Verbündeten geht, ausgehend von seinen rein politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen und nicht ausgehend davon, wie sich Drittländer gegenüber diesem Partner verhalten. Mit Lukaschenka muss gearbeitet werden, auch um ihn zu ändern, um aus ihm einen voraussagbaren und offenen Partner zu machen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Integration im Rahmen des Unionsstaates ruhen muss, solange er nicht dieser Partner ist. (lr)