Zusammenfassung
Die Funktion der Muskulatur scheint eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Rückenschmerzen zu spielen. Eine muskuläre Insuffizienz, wie sie bei Rückenpatienten in vielen Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, belastet die passiven, schmerzauslösenden Anteile der Wirbelsäule. Dabei spielt die funktionelle Instabilität der Wirbelsäule eine große Rolle. In den letzten Jahren konnten diese Veränderungen durch Oberflächen-EMG mittels Spektralanalyse, Untersuchung von Muskelfasertyp und -größe sowie durch Analyse der Körperkoordination nachgewiesen werden. Da viele Patienten mit chronischen Rückenschmerzen neben muskulärer Insuffizienz auch psychosoziale Probleme haben und ein ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten zeigen, sind therapeutisch neben einem muskulären Training auch psychotherapeutische Maßnahmen notwendig.
Abstract
Lumbar muscle function is considered to be an important component of chronic low back pain (CLBP). Many studies have documented compromised muscle function in patients with CLBP. Although the mechanism associating muscle insufficiency to CLBP is not clearly understood, it is commonly held that the passive tissues of the spine are increasingly stressed with increasing functional muscle insuffiency. Functional instability of the spine plays a major role in the development of back pain. During the last few years, objective evaluation of the fatigue of back muscles by surface electromyography (EMG) with quantitative spectral techniques, evaluation of fibre type and size of the back muscles and quantifying of postural control of the lumbar spine during different tasks documented the failure of the spine in CLBP patients by a deficit of motor control more objectively. Besides this deficit, many patients show severe psychosocial problems and fear-avoidance beliefs.
On this basis, treatment of CLBP with active rehabilitation, which includes educational, psychological, and social components along with the therapeutic exercises, has been increasingly advocated during recent years.
Funktion der Rumpfmuskulatur
Die Skelettmuskulatur des Rumpfes erfüllt, wie auch in anderen Bereichen des Bewegungssystems, zusammen mit dem osseoligamentären System (Knochen-Kapsel-Band-System) die beiden Aufgaben des Bewegungsapparats: Bewegung und Schutz. Dabei übt sie aber auch gegensätzliche Funktionen aus, indem sie Bewegung gleichzeitig einleiten und wieder einschränken kann. Die Einschränkung der Bewegung bezeichnet man als Stabilität [22]. Innerhalb dieser Stabilitätsfunktion lassen sich Aufgaben der Muskulatur weiter unterteilen in Gleichgewicht und segmentale Stabilität. Für die hier relevante Fragestellung ist die segmentale Stabilität der Wirbelsäule, die einen aktiven Schutz für die schmerzempfindlichen Strukturen der Gelenke, Bandscheiben und der umliegenden Gewebe bewirkt, die wichtigere Funktion der Muskulatur [21].
Anatomische Funktionen
Globales und lokales System
Nach anatomischen Funktionen differenziert, unterscheidet man im Wesentlichen 2 Systeme der Muskulatur: das globale und das lokale Muskelsystem. Das globale System in Form langer, großer, oberflächlich gelegener, meist mehrgelenkiger Muskeln dient der Bewegung. Die eingelenkigen Muskeln eignen sich dabei am besten zur Stabilisierung des Gleichgewichts [19]. Die lokalen Muskeln sind mit ihren tiefen, kurzen, quer liegenden, gelenknahen Muskelfasern hervorragend zur Sicherung der aktiven, segmentalen Stabilität geeignet. Der Begriff segmentale Stabilität bezieht sich auf die Kontrolle der Bewegung zwischen den Gelenkflächen. Das osseoligamentäre strukturelle System ist selten allein in der Lage, ausreichende segmentale Stabilität zu gewährleisten. Folglich ist der Gelenkschutz auf die Hilfe der aktiven muskulären segmentalen Stabilität angewiesen. Man geht davon aus, dass dieses System ca. 80% der Stabilität der LWS ausmacht. Die mehrgelenkigen globalen Muskeln (M. erector spinae) dagegen sind häufig nicht in der Lage, segmentale Stabilität zu gewährleisten. Die kleinen, tiefen, gelenknahen lokalen Muskeln nehmen gemeinsam mit der Gelenkkapsel die Gelenkbelastung auf und schränken unerwünschte Bewegungen ein. In dieser Rolle funktionieren die Muskeln wie eine aktive Zusatzkapsel, die das Skelett verbindet. Bei unerwünschter Bewegung in einem Bewegungssegment der Wirbelsäule können diese Muskeln aufgrund erhöhter Muskelfedersteifigkeit, die aufgrund der bewegungsunabhängig praktisch permanent vorhandenen geringgradigen Aktivität erreicht wird, sofort Widerstand leisten und somit stabilisieren.
Segmentale Stabilität
Der Vorgang der Muskelsteifheit ist auf 25% der maximalen Muskelkontraktion begrenzt. Danach erhöht sich die Federsteifigkeit nur noch unwesentlich. Ab 25% maximaler Muskelkontraktion ist der Muskel auf die Hilfe weiterer gleichzeitig aktivierter Muskeln angewiesen (Kokontraktion). Die Regulation dieser Muskelsteifheit wird von sensorischen Rückkopplungsimpulsen aus den Gelenken und von den Muskelspindeln stark beeinflusst.
Dies deutet darauf hin, dass die segmentale Stabilität enger mit der Regulierung des Muskeltonus und der Funktion der Typ-1-Muskelfasern (langsame motorische Einheiten, Slow-twitch-Fasern) in Verbindung steht als mit der maximalen Muskelkraft und der Funktion der globalen Muskulatur vom Typ 2 (schnelle motorische Einheiten, Fast-twitch-Fasern):
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Langsame motorische Einheiten besitzen eine langsame Kontraktionsgeschwindigkeit und niedrige Kontraktionskraft und sind resistent gegen Ermüdung.
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Schnelle motorische Einheiten haben eine hohe Kontraktionsgeschwindigkeit sowie hohe Kontraktionskraft und ermüden schnell.
Im Bereich der Lendenwirbelsäule ist der tiefe M. multifidus zusammen mit dem M. tranversus abdominis vorwiegend aus langsamen motorische Einheiten zusammengesetzt und liefert die effektivste segmentale Stabilität. Globale, mehrgelenkige Muskeln sind M. rectus abdominis und M. erector spinae; diese haben eine hohe Kontraktionskraft und vermitteln Bewegung, fungieren aber aufgrund ihres relativ hohen Gehalts an Typ-1-Fasern (slow twitch) ebenfalls auch als haltungsstabilisierendes System, wobei der Anteil dieser Fasern in Rückenmuskeln bei Frauen größer ist als bei Männern [12].
Daneben gibt es noch ein globales Stabilisationssystem [19], dem die Mm. obliqui abdominis, der M. spinalis und M. glutaeus medius zuzurechen sind. Das System dient zur Kontrolle des Bewegungsausschlags.
Stabilität und Dekonditionierung
Verlust an Wirbelsäulenstabilität
Ein bedeutender Einflussfaktor der Entstehung und Chronifizierung von Rückenschmerzen wird heute in einem Verlust an Wirbelsäulenstabilität gesehen [15]. Gegenwärtig gibt es für die Instabilität der Wirbelsäule kein Maß oder Goldstandard. Das von Panjabi entwickelte Modell der Instabilität (Abb. 1) wird heute weitgehend akzeptiert. Ihm liegt die Überzeugung zugrunde, dass die meisten Rückenschmerzen durch eine mechanische Störung der Verhältnisse an der Wirbelsäule verursacht werden. Integraler Bestandteil des Modells von Panjabi sind 3 Subsysteme, die für die spinale Stabilisierung verantwortlich sind: ein passives, ein aktives und ein neurales Kontrollsystem:
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Das passive Subsystem besteht aus ossären, artikulären und ligamentären Strukturen. Es begrenzt und kontrolliert das Bewegungsausmaß innerhalb eines Segments vorwiegend am Ende des physiologischen Bewegungsausmaßes.
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Das aktive Subsystem stellen die Muskeln dar.
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Die Kontrolle dieser Muskeln wird vom neuralen Kontrollsystem übernommen.
Die Aktivierung erfolgt dabei nicht ausschließlich durch efferente, willkürliche Befehle zur Kontraktion, sondern meist durch ein afferentes Feedback der Rezeptoren aus dem passiven und aktiven System (z. B. Rezeptoren der Bänder und Muskelspindeln) zur situationsadäquaten Aktivierung der Muskulatur. Die 3 Subsysteme sind voneinander abhängig mit der Fähigkeit, Mängel in der jeweils anderen Komponente zu kompensieren.
Kreuzschmerzen können als Folge einer mangelhaften Steuerung und Kontrolle des spinalen Systems auftreten, wenn Belastungen der Wirbelsäule zu Kompression und Dehnung neuraler Strukturen, oder abnormer Deformation von anderen Anteilen des Bewegungssegments (Bändern, Bandscheiben, Gelenkkapseln) sowie muskulärer Überforderung (insbesondere bei statischer Belastung) führen.
Neutralzone
Ein weiteres wichtiges Charakteristikum des Stabilitätskonzepts von Panjabi [15] stellt die Kontrolle der intersegmentalen Bewegung innerhalb der sog. Neutralzone dar. Die Neutralzone ist als Bewegungsausmaß innerhalb eines Segments definiert, das ohne begrenzenden aktiv-muskulären oder passiven Widerstand erreicht wird. Ein Segment wird als instabil bezeichnet, wenn es eine relativ große Neutralzone aufweist. Panjabi definiert die klinische Instabilität der lumbalen Wirbelsäule als Rückgang der Fähigkeit des stabilisierenden Systems, die intervertebrale Neutralzone innerhalb physiologischer Grenzen zu halten. Dies ist z. B. bei einer Laxität der Bänder der Fall, aber auch im Rahmen einer Bandscheibendegeneration oder Arthrose der Wirbelgelenke. Auch bei einer Dysfunktion der tief liegenden segmental ansetzenden Muskeln (Mm. multifidi) kann sie vergrößert sein.
Stabilisatoren und Mobilisatoren
Die lokalen Stabilisatoren, wie z. B. der M. transversus abdominis [19] und der tiefe, segmentale lumbale Anteil des M. multifidus [15] spielen bei der Erhaltung der Stabilität eine besondere Rolle. Cholewicki et al. [1] meinen, dass innerhalb der mechanischen Stabilität diese Muskeln mit osseoligamentösen Verbindungen zusammenwirken, um Verbiegungen und Instabilität der Wirbelsäule zu verhindern. Diese Muskeln sind bei Bewegung andauernd und unabhängig von der Bewegungsrichtung aktiv. Dies betrifft auch den M. transversus abdominis [19].
Die globalen Stabilisatoren z. B. der M. obliquus abdominis und M. spinalis arbeiten stärker exzentrisch, d. h. sie verändern ihre Länge. So verlangsamen die Mm. obliqui externi abdominis beispielsweise den Schwung der Rotation zwischen Becken und Rumpf beim Gehen.
Die globalen Mobilisatoren wie M. rectus abdominis, laterale Fasern des M. quadratus lumborum und Teile des M. erector spinae haben die Aufgabe, höhere äußere Lasten und die mit ihnen verbundenen Auslenkungen auszubalancieren. Damit reduzieren sich die Anforderungen an die segmentale Stabilität, und die lokal stabilisierenden Muskeln werden in die Lage versetzt, ihrer Aufgabe ausreichend nachzukommen. Patienten mit Rückenschmerzen sind auch auf einen ausreichenden Funktionszustand des globalen Systems angewiesen, insbesondere, wenn sie in Beruf und Alltag höhere Belastungen (z. B. Heben schwerer Lasten) bewältigen müssen.
Dekonditionierung
Die Hypothese der Dekonditionierung geht davon aus, dass strukturelle Veränderungen in Form von Bandscheibendegeneration, Arthrosen oder Mikrotraumen der Wirbelsäule zu anhaltenden Rückenschmerzen führen und diese im Laufe der Chronifizierung zu funktionellen Defiziten in Form von Kraft-, Ausdauer-, Mobilitäts- und Koordinations-Verlust der Muskulatur (Abb. 2). Dadurch kommt es zum verminderten Schutz für Gelenke, zu Stabilitätsdefizit und Reaktionsverzögerung der Muskulatur und infolgedessen zu Überlastung von Gewebe. Inaktivität und Fehlhaltung begünstigen diesen Prozess, was schließlich zu Alterationen in Struktur und Form im Bereich der Wirbelsäule führen kann.
Kraft und Größe (Atrophie) der Rückenmuskulatur
Wir haben gesehen, dass theoretisch sowohl degenerative Veränderungen des passiven Systems (Wirbelsäule), als auch die Dekonditionierung des aktiven Systems (Muskulatur) zu Destabilität und Rückenschmerzen führen können. Die Frage ist, ob Patienten mit Rückenschmerzen tatsächlich dekonditionierte Rumpfmuskeln haben.
Kraft der Rückenstrecker
Bei der isometrischen und isokinetischen Messung der Muskelkraft wurde in vielen Untersuchungen parallel zum Ausmaß der Chronifizierung eine Abschwächung der Rückenstrecker gefunden (Abb. 3). Qualitativ ähnliche Ergebnisse wie Hultman et al. [5] hatten viele andere Autoren (z. B. [3, 7, 13, 20]). In einer neuen Untersuchung fanden Häkkinen et al. [4], dass Patienten nach operativer Behandlung von Bandscheibenvorfällen im Vergleich zu Normalpersonen eine um 44 bzw. 36% schlechtere isometrische Maximalkraft bei Flexion bzw. Extension hatten und eine ähnlich schlechte Kraftausdauer der Muskulatur. Die Untersuchungen von Joon-Hee et al. [7] zeigen zudem, dass Patienten mit chronischen Rückenschmerzen auch eine abgeschwächte Beinmuskulatur haben und dass ein Ungleichgewicht der Rumpfmuskulatur (Abschwächung der Rückenstrecker gegenüber Rumpfbeugern) das Risiko zukünftiger Rückenschmerzepisoden erhöht.
Grundsätzlich ist in allen Untersuchungen die Kraft von Männern größer als die der Frauen.
Atrophie der Rückenmuskeln
Bei den Studien zu dieser Fragestellung, die durch Messungen mittels CT und MRT beantwortet wurden, ergibt sich ein unterschiedliches Bild: Hultman et al. [5] fanden keinen Unterschied zwischen Patienten und Normalpersonen hinsichtlich des Muskelquerschnitts (gemessen in Höhe L3), aber eine signifikant geringere Dichte der Rückenmuskulatur bei den Patienten. In der Arbeit von Kaser et al. [9] bestand eine enge Beziehung zwischen Querschnitt der paravertebralen Muskulatur und isometrisch gemessener Extensionskraft der Rückenmuskeln, die bei den Patienten abgeschwächt war. Daneels et al. [2] fanden bei CT-Messungen in unterschiedlichen Höhen der LWS nur eine Atrophie des M. multifidus (untere Endplatte von L4), nicht aber der übrigen paraspinalen Muskulatur. Der Querschnitt der gesamten paraspinalen Muskulatur (im Sinne einer Atrophie des M. erector spinae) scheint eher von geringerer Bedeutung zu sein, während die Befunde im M. multifidus einheitlicher im Sinne einer Atrophie sind.
Ermüdung der Rückenmuskulatur
Die Ermüdung der Muskulatur (und damit die Ausdauer) ist ein wichtiger klinischer Faktor, da sowohl die Messung isometrischer oder isokinetischer Maximalkraftwerte als auch der Muskelquerschnitte nur unzureichend die reale Situation abbilden, der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen im täglichen Leben ausgesetzt sind. Deshalb ist es wichtig, die Frage zu beantworten, ob die Muskulatur von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen schneller ermüdet als die von Vergleichspersonen ohne Rückenschmerzen. Dabei wird Ermüdung als „Unfähigkeit, die erforderliche oder erwartete Kraft/Stärke aufrecht zu erhalten“ definiert (Ciba Foundation Symposion on Muscle Fatigue 1980). Die Ausdauerleistung der Muskulatur ist aber neben der Ermüdbarkeit auch von Schmerztoleranz und Motivation abhängig. Die Ermüdung der Muskeln ist reversibel. Die Ermüdbarkeit der Muskulatur wird mittels EMG (Spektralanalyse) gemessen, wobei die Frequenzabnahme während der Belastung ein valides Messinstrument für die Ermüdung ist: sie korreliert gut mit der Ausdauerzeit bei gut motivierten Probanden, zeigt höhere Werte bei andauernder starker Kontraktion, steht in Beziehung zum vorhandenen Muskeltyp und offensichtlich auch zu den Schlüsselmetaboliten während der Ermüdung.
Messung der Amplitude
Daneben wird als weiterer wichtiger Parameter üblicherweise die Amplitude als Ausdruck der Beanspruchung der Muskulatur gemessen. Gemessen wird (meist) bei statischer, seltener bei dynamischer Belastung (z. B. beim Gerätetraining in der Extension). Gemessen wurde fast immer die dorsale Kette (Rückenstrecker, Glutealmuskulatur, ischiokrurale Muskeln). Zum Teil wurde bei der Rückenmuskulatur zwischen M. multifidus und M. erector spinae unterschieden. Vermutlich ist diese Abgrenzung nicht immer einfach.
Praktisch alle Autoren, die diese Untersuchungen durchgeführt haben, geben an, dass die Ermüdbarkeit der Rückenmuskulatur bei Patienten mit chronischem Rückenschmerz im Vergleich zu Normalpersonen signifikant größer ist [2, 6, 8, 11]. Dabei ermüden Männer anscheinend schneller als Frauen. Einige Autoren [6, 8] stellten fest, dass nicht nur die Rückenstrecker bei Patienten schneller ermüden, sondern auch die Gesäßmuskulatur und die ischiokruralen Muskeln, also die gesamte dorsale Kette.
Untersuchung der dorsalen Muskelkette
In einer Untersuchung der dorsalen Muskelkette in unterschiedlichen Funktionsbelastungen, die bei uns in Kooperation mit dem Fachbereich Motorik der Universität Jena [6] durchgeführt wurde, ergaben sich u. a. folgende wichtige Ergebnisse:
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Versuchspersonen weisen höhere Frequenzen (d. h. eine höhere Aktivierung) im Bereich des M. erector spinae auf,
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Rückenpatienten weisen während des Sörensen-Tests (Kraft-/Ausdauertest der Rückenmuskulatur) niedrigere Amplituden der Rückenstreckmuskulatur auf,
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das Amplitudenverhältnis zwischen Rückenstreckern und ischiokruraler Muskulatur ist bei Rückenpatienten zugunsten der ischiokruralen Muskulatur verschoben,
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beide Gruppen zeigen deutliche Ermüdungszeichen.
Die Ermüdung ist aber zwischen beiden Gruppen völlig unterschiedlich:
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Versuchspersonen zeigen eine starke Amplitudenzunahme und geringe Frequenzabnahme,
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Rückenpatienten zeigen eine geringe Amplitudenzunahme und starke Frequenzabnahme,
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Rückenschmerzpatienten ermüden v. a. im Bereich des lumbalen M. erector spinae deutlich stärker.
Auch diese Untersuchungen zeigen, dass die Rückenmuskulatur bei Patienten mit chronischen Schmerzen schneller ermüdet und dass als Kompensation die ischiokrurale Muskulatur eingesetzt wird. Mannion et al., die ähnliche Untersuchungen mit vergleichbaren Ergebnisse im Sörensen-Test durchführten, untersuchten mehrfach die Mikroanatomie der Rückenmuskeln [9, 11, 13]. Dabei fand sich, dass bei Patienten mit Rückenschmerzen im Vergleich zu Normalpersonen in der Rückenstreckmuskulatur signifikant mehr Muskelfasern vom Typ 2 (fast twitch) zu finden waren. Dies wäre eine Erklärung der Frage, warum Patienten mit Rückenschmerzen bei statischer Belastung schneller ermüden als Normalpersonen.
Koordination/Stereotyp der Rückenmuskulatur
Die Koordinationsfähigkeit der Rumpfmuskulatur scheint ein weiterer wichtiger Faktor bei der Entstehung, bzw. Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen zu sein. Es gibt hierzu zahlreiche Untersuchungen, die hier nur auszugsweise angesprochen werden. So fanden Richardson et al. [20], dass die erwartete Voraktivierung des M. transversus vor willkürlichen Armbewegungen bei Patienten mit lumbalen Rückenschmerzen verspätet einsetzt. Cholewicki et al. [1] zeigten bei Patienten mit Rückenschmerzen eine schlechtere Haltungskontrolle und verzögerte Muskelantwort beim unstabilen Sitzen bzw. unerwarteter Belastung/Entlastung der Wirbelsäule. Newcomer et al. [15] wiesen zunehmende Probleme der Körperpositionierung im Sinne propriozeptiver Defizite bei der Beugung des Rumpfes bei Patienten mit Rückenschmerzen nach.
Rückenschmerz als komplexes Syndrom
Beim Phänomen Rückenschmerz und Muskulatur haben wir es jedoch mit einem wesentlich komplexeren Problem zu tun: in vielen Studien korrelieren die existierenden Defizite hinsichtlich Kraft, Ausdauer, Koordination und Propriozeption nur mäßig mit dem Ausmaß der Schmerzen oder der subjektiven Behinderung (disability). Dies gilt auch für die Untersuchungen von Kaser et al. [9], wobei hier ein 3-monatiges Training bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen zwar erfolgreich bzgl. Reduktion von Schmerz und disability war, andererseits aber diese Effekte nicht von der Zunahme von Kraft/Ausdauer der Rückenmuskulatur abhingen. Dagegen war die Reduktion des Angst-/Vermeidungsverhaltens ein besserer Prädiktor des Behandlungserfolgs: je größer die Reduktion der Angst und Vermeidung war, desto besser war das Ergebnis (Abb. 4). Diese guten Ergebnisse waren zudem bei einer Patientengruppe, die Aerobic als Training gemacht hatte, vergleichbar mit einer anderen, die ein Training mit Rumpfkraftmaschinen durchführte.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch wir in mehreren Untersuchungen [16, 17]. Bei der Untersuchung von Pfingsten et al. [17] zeigten Patienten mit stark chronifizierten Rückenschmerzen und langen Arbeitsausfallzeiten nach einem 4-wöchigen multimodalen, verhaltensgesteuertem Trainingsprogramm einschließlich psychologischer Verhaltenstherapie im Mittel erhebliche Verbesserungen mit deutlicher Reduktion der Schmerzen, disability, Depression und Schon-/Vermeidungseinstellungen. Gleichzeitig hatten die Patienten einen erheblichen Zugewinn an Rumpfkraft (in Flexion, Extension, Rotation, Seitbeugung). Zur Identifikation der Variablen, deren Veränderungen mit dem Behandlungserfolg in Zusammenhang stehen, wurden bei verschiedenen Zielkriterien (Verringerung der Arbeitsunfähigkeitstage, Bewertung des Behandlungserfolgs, Reduktion der Schmerzintensität, Reduktion der disability) regressionsanalytisch abgesehen von der Steigerung der Extensionskraft bei der Bewertung des Behandlungserfolgs nur subjektive „psychologische“ Parameter als Prädiktoren des Erfolgs gefunden. Hierbei kann die Erklärung des Behandlungserfolgs durch die Steigerung der Extensionskraft auch als Phänomen reduzierten Angst-/Vermeidungsverhaltens gesehen werden, da gerade diese Belastung bei Rückenpatienten sehr angstbesetzt ist.
Fazit für die Praxis
Zur Wiederherstellung der neuromuskulären Funktion ist ein Kraft- und Koordinationstraining gleichermaßen wichtig. Dies beinhaltet auch ein dynamisches intensives Training zur Verbesserung der „Kernstabilität“, bei dem es durch Kokontraktion aller Muskeln des betreffenden Bereichs (lokale sowie globale Stabilisatoren und globale Mobilisatoren) und Rekrutierung sowohl langsamer als auch schneller motorischer Einheiten zu einer Effektivitätssteigerung kommt. Dabei spielt auch ein gezieltes Training der lokalen Stabilisatoren eine Rolle [19].
Die klinischen Vorteile eines derartigen Trainings sind vielfältig und betreffen nicht nur eine Verbesserung von Kraft, Koordination und Stabilität der Muskulatur [10], sondern auch den psychosozialen Bereich: Ausgehend von der Beobachtung, dass Patienten mit Rückenschmerzen neben einer deutlichen körperliche Dekonditionierung oft ein ausgeprägtes Schon-/Vermeidungsverhalten zeigen (Abb. 5), werden seit vielen Jahren erfolgreich multimodale Programme zur Behandlung von Rückenschmerzen durchgeführt. Das therapeutische Konzept ist weniger auf Schmerzfreiheit ausgerichtet als vielmehr auf die Wiederherstellung der „Funktionskapazität“ auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene [16]. Gerade bei chronischen Rückenschmerzpatienten findet man in der Regel ein passives, inaktives und schonendes Verhalten, das einerseits durch falsche (bzw. falsch verstandene) ärztliche Anweisungen iatrogen ausgelöst ist, zum anderen in der Regel durch Konditionierungsmechanismen verstärkt wird. Daher müssen die Patienten—unter kontrollierten Bedingungen—die Erfahrung machen, dass Bewegung und Belastung ihnen nicht schaden, sondern im Gegenteil zur Aufrechterhaltung des gesamten körperlichen Systems notwendig sind (Extinktionsparadigma) [17, 18]. Ein sport- oder krankengymnastisches Training kann auf diese Weise—neben den primären Zielen der Verbesserung der Körperkoordination, Gelenkfunktion, Muskelkraft- und Ausdauersteigerung—auch in einem verhaltenstherapeutischen Rahmen interpretiert und in ihn eingepasst werden. Aktive Bewegung kann in diesem Zusammenhang als allmähliche Anpassung gesehen werden, die schließlich die Angst vor Bewegung reduziert und ein gesundes Verhalten aufbaut. Darüber hinaus wird ein weiterer Effekt durch die Stabilisierung und Kräftigung der für die Biomechanik wichtigen Anteile der Rumpfmuskulatur erreicht. Auch postoperativ ist ein derartiges sehr aktives Trainingsprogramm der konventionellen passiven Behandlung offensichtlich überlegen [4].
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Hildebrandt, J. Die Muskulatur als Ursache für Rückenschmerzen. Schmerz 17, 412–418 (2003). https://doi.org/10.1007/s00482-003-0251-9
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