Der italienische Kassenschlager „Morgen ist auch noch ein Tag“ im Kino – Liebe, Brot und Feminismus
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Der italienische Kassenschlager „Morgen ist auch noch ein Tag“ im Kino – Liebe, Brot und Feminismus

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Paola Cortellesis Regiedebüt „Morgen ist auch noch ein Tag“ lässt den Neorealismus aufleben – und bricht in Italien Kassenrekorde.

In den fünfziger Jahren galt die italienische Filmkunst als die einflussreichste der Welt. Doch auch wenn sich in den sechziger Jahren die Augen der Welt zunehmend auf Frankreich und seine Nouvelle Vague richteten, setzte sie ihre Blüte fort. Nur wich der Ernst des Neorealismus den Wundern oft atemberaubend rasanter Komödien. Zu ihren Meistern zählten Mario Monicelli, Dino Risi, Pietro Germi, Luciano Salce, Steno oder Luigi Zampa, und sie gönnten ihrem Publikum nur selten einen ruhigen Augenblick.

Als das Festival von Venedig vor ein paar Jahren in mehreren Retrospektiven auch weniger bekannte Komödien aus den Archiven ans Tageslicht schaufelte, gab es keine Enttäuschungen – außerhalb der Leinwand; dort wimmelte es von gehörnten Ehemännern und gebrochenen Herzen, die Lust am Leben aber triumphierte immer. Das Pathos des Neorealismus hatten sie abgeschüttelt, nicht aber die soziale Anteilnahme. Wer kann heute noch solche Filme machen, wie sie damals anscheinend zwölf aufs Dutzend kamen?

Paola Cortellesi lautet die Antwort, die mit ihrem Regiedebüt in Italien mit über fünf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern 2023 Hollywooderfolge wie „Barbie“ und „Oppenheimer“ überholte. Hier am ehesten als Inspektorin in der Serie „Mord in Genua“ bekannt, ist sie in ihrer Heimat ein Star. Natürlich spielt sie selbst die Hauptrolle einer unterdrückten Ehefrau im Rom des Jahres 1946.

Der Titel „Morgen ist auch noch ein Tag“ erinnert an Vittorio de Sicas „Gestern, heute und morgen“. Und wie der Pionier des Neorealismus lässt Cortellesi leichthändig das Dramatische und Komödiantische ineinandergreifen und scheut sich nicht, dem Realismus mit Irrealem zu begegnen.

Ihre Rolle einer Mutter von drei Kindern, die sich für einen gewalttätigen Pascha-Ehemann und einen bettlägerigen Schwiegervater abrackert, hätten seinerzeit Anna Magnani oder Sophia Loren spielen können. Doch es war – bei aller Stärke der Frauenfiguren – ein von Männern gemachtes Kino, wenn auch mit Blick auf Frauen im Publikum. Das ist nun anders.

Zwar teilt Delia den energetischen Optimismus ihrer Kino-Ahninnen, doch ihre Aufopferung kennt Grenzen. Zunächst sieht es nicht danach aus, wenn sie die Brutalität ihres prügelnden Ehemanns Ivano wie eine Gegebenheit zu betrachten scheint (die Filmemacherin verfremdet diese Szenen durch eine choreografierte Inszenierung, unterlegt mit anachronistischer Filmmusik). Doch als ihre Teenager-Tochter Marcella (Romana Maggiora Vergano) in ein ähnlich missbräuchliches Hausfrauen-Dasein zu schlittern droht, beschließt sie, dies zu verhindern.

Schon Ivanos Frohlocken über Marcellas Verlobung mit dem Spross einer Familie neureicher Barbesitzer ist alarmierend. Selbstredend will er seine Tochter lieber einträglich verheiraten, als für ihre Ausbildung zu sorgen. Als auch ein hinreißend misslungenes Kennenlern-Essen, das Delia ausrichtet, das Paar nicht trennen kann, muss sie sich etwas anderes einfallen lassen. Mütterliche Fürsorge und kriminelle Energie verbinden sich in einer subversiven Farce, die auf eine andere italienische Filmkünstlerin verweist, Lina Wertmüller. In seiner Ästhetik aber bleibt der Schwarz-Weiß-Film dem Stil des italienischen Nachkriegskinos treu.

Dabei lässt Paola Cortellesi kaum Raum für Nostalgie – schon das Tempo ihrer filmischen Vorbilder, die sie offensichtlich gut studierte, stünde dagegen. Es ist ein ungemein rasanter Film, ebenso wenig flüchtet sie sich in die Sicherheit ironischer Distanz. Auch die unorthodoxe Auswahl unterlegter Songs, die vom Titelsong, Fiorella Binis „Aprite le Finestre“ (1956), über Lucio Dalla bis zum amerikanischen Rap-Duo Outkast reicht, korrumpiert nicht die starke emotionale Glaubwürdigkeit.

In Zeiten des Vintage- und Retro-Booms sind Annäherungen an frühere Filmstile nicht selten, unwillkürlich denkt man an den Überraschungserfolg „The Artist“, der klassische Hollywood-Stummfilme täuschend echt nachempfand, oder das Neo-Musical „La La Land“. Doch diese Filme blickten auch aus einer gewissen historischen Überlegenheit auf das klassische Kino, das sie wohlwollend, aber auch etwas herablassend umarmten.

Diese Filme blieben Museumsbesuche, doch das wäre wohl mit dem italienischen Nachkriegskino nicht so einfach zu machen. Es ist in der italienischen Kultur einfach immer noch viel zu lebendig. Eher schon lässt sich diese überzeugende Zeitreise mit dem Experiment von Todd Haynes’ unechtem Douglas-Sirk-Film „Dem Himmel so fern“ vergleichen.

So wie dieser im Stil des alten Hollywoods eine queere Subgeschichte an die Oberfläche spiegelte, verhilft Paola Cortellesi dem unterschwelligen Feminismus der Zeit zu einer Stimme. Sie verstärkt gewissermaßen, was Silvana Mangano, Anna Magnani, Sophia Loren oder Giulietta Masina, die Diven der großen Zeit des italienischen Kinos, nur andeuten konnten.

Wie dankbar das in Italien angenommen wurde, beweist die Erfolgsgeschichte dieses Films, selbst wie ein Märchen aus Cinecittá: Aus fünf Millionen Euro Produktionskosten wurde ein Einspielergebnis von 36 Millionen.

Morgen ist auch noch ein Tag. Italien 2023. Regie: Paola Cortellesi. 118 Min.

Die Sicherheit ironischer Distanz braucht sie nicht

Die Produktionskosten sind vielfach eingespielt

Wenn es nötig ist, kann Delia, Paola Cortellesi, auch kriminelle Energie entwickeln.
Wenn es nötig ist, kann Delia, Paola Cortellesi, auch kriminelle Energie entwickeln. epd © epd

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