Niederländische Politikerin Yeşilgöz: Von links nach rechts
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Niederlande: Eine ging von links nach rechts

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Dilan Yesilgöz weiß, wohin sie will.
Dilan Yesilgöz weiß, wohin sie will. © afp

Die Einwanderin Dilan Yeşilgöz schickt sich an, in den Niederlanden die Regierung zu führen. Der Erfolg scheint ihr sicher. Das ist aber kein Ritterschlag für Diversität. Ein Porträt.

So neu klang das alles nicht. „Ich bin bereit, unser Land noch stärker und widerstandsfähiger zu machen. Sicherer, wohlhabender und bereit für die Zukunft“, sagte die niederländische Justizministerin Dilan Yeşilgöz. So staatstragend gab sie ihre Bereitschaft zur Spitzenkandidatur für die rechtsliberale Regierungspartei VVD für die vorgezogenen Neuwahlen am 22. November bekannt. Das war schon irgendwie mutig. Aber irgendwie klang es doch auch sehr glatt und damit ein wenig nach ihrem Vorgänger Mark Rutte.

Der Dauerpremier hatte überraschend seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Nun schickt sich die 46-jährige Yesilgöz an, als erste Frau in den Niederlanden das Amt an der Regierungsspitze zu erobern. Ruttes Partei hat sie offiziell nominiert.

Die Frau ist anders – irgendwie. „Ich komme von ganz links“, bekannte Yeşilgöz einmal. Klar, bei der Familie: Ihr Vater, Yücel Yesilgöz, musste als kurdischer Gewerkschaftsfunktionär die Türkei verlassen. Im Alter von acht Jahren kam Yeşilgöz mit Mutter und Schwester nach in die Niederlande. Ihre Mutter Fatma Ozgumuz ist heute Direktorin einer Flüchtlingsorganisation.

Die Tochter engagierte sich erst in der linken SP, dann bei den Sozialdemokraten und später bei den Grünen. Hängengeblieben ist Dilan Yeşilgöz schließlich bei der rechtsliberalen VVD, zunächst als Stadträtin in Amsterdam, wo sie aufwuchs, dann als Abgeordnete und Justizministerin in Den Haag. Heute erklärt die Politikerin unmissverständlich: „Linke Parteien suchen nach Opfern. Sie brauchen einfach jemand, den sie retten können. Deshalb bestehen sie.“ Kein Zweifel: Rechts hat Vorfahrt derzeit in den Niederlanden.

Yeşilgöz hat zuletzt der Woke-Bewegung den Kampf angesagt

So sagte Yeşilgöz zuletzt der Woke-Bewegung den Kampf an, weil „die Wokisten festlegen wollen, wie gesprochen wird“. Gendersternchen? Nicht mit ihr. Auch sonst schaltet Yeşilgöz gern mal auf Wahlkampfmodus. Ihre Kandidatur gab sie im Boulevardblatt „De Telegraaf“ bekannt, der Hauszeitung vieler in der VVD-Wählerschaft. Als Justizministerin wurde in den vergangenen achtzehn Monaten der Kampf gegen die Drogenkriminalität im Land ihr Markenzeichen. „Wir müssen das Geschäftsmodell der Drogenbanden durchbrechen“, sagte die Ministerin und kürte den Prozess um den Mord an Aufklärungsjournalist Peter R. de Vries zum ersten Testfall für ihre neue harte Linie.

Der TV-Fahnder de Vries war vor zwei Jahren in Amsterdam erschossen worden. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter aber platzte im ersten Anlauf kurz vor der Urteilsverkündung. Im Prozess wurden Zeugen übergangen. Nicht ganz so gut gelaufen, die Bewährungsprobe.

Yeşilgöz verknüpft in den Niederlanden gleich zwei Traditionen. Als Rechtsliberale pocht sie auf Normen und Werte, wie das beim früheren Regierungschef Jan Peter Balkenende mal hieß. Als Kind von Zugewanderten steht sie für die Offenheit und Aufstiegschancen in den Niederlanden. Man kann das auch als Auszeichnung für das Land sehen. Und doch ist es eine feine Ironie, dass Ruttes letzte Regierung ausgerechnet über einen Streit in der Migrationspolitik zerbrach.

Mit Yeşilgöz betritt eine neue Generation die politische Bühne. Denn neben Rutte hat auch Finanzministerin Sigrid Kaag von der linksliberalen Partei D66 ihren Rückzug angekündigt, auf sie folgt der ökoliberale Klimaminister Rob Jetten. Kaag und ihre Familie werden bedroht. Der Preis für die Politik sei ihr zu hoch, sagte Kaag und löste im politischen Den Haag ein kleines Beben aus. Bei der jüngsten Wahl 2021 hatte Kaag noch für Schlagzeilen gesorgt, weil sie nach der ersten Hochrechnung das gute Abschneiden der D66 mit einem Sprung auf den Tisch illustrierte.

Nun folgt nach heftigen misogynen Attacken – auch gegenüber Kaags Töchtern – der Abschied und das Land ist besorgt über den gegenseitigen Umgang. Nicht nur in der Politik. Vor zwei Jahren waren die Corona-Proteste eskaliert. Im vergangenen Jahr machte die Landwirtschaft gegen Umweltauflagen mobil. Nicht nur die Gewaltbereitschaft bei den Demos überraschte. Auch die Absage an den Staat und seine Institutionen ließ viele erstaunen. Parteien der Mitte wie Kaags D66 und die Christdemokraten schwächeln gewaltig.

Yeşilgöz, die „neue Rutte“, sagt: „Ich glaube an die Kraft des Individuums.“ Das klingt nicht nach dem Kümmererstaat mit dem der scheidende Premier nach der Pandemie in seinen letzten Wahlkampf zog. Beifall für Yeşilgöz kommt auch schon mal von rechts. „Sie genießt viel Sympathie, auch außerhalb der Partei“, sagt Caroline van der Plas, Chefin der regional erfolgreichen Protestpartei „Bauern Bürger Bewegung“, und dient sich schon mal als Bündnispartnerin an. Als „Pitbull mit Empathie“ charakterisierte die Zeitung „Volkskrant“ Yeşilgöz mal. Eiserne Lady und etwas mehr? Auf jeden Fall eine seltsame Mischung für die bisherigen Niederlande.

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