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Deutschland Dietmar Woidke

„AfD will dieses Land in seinen Fundamenten verändern“

Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Brandenburgs Ministerpräsident Woidke (SPD) will Bürgern klarmachen, was eine AfD an der Macht bedeuten würde. Allein ein Plan der Rechtsaußen-Partei wäre fatal für „zig Millionen von Menschen“. Der Union wirft er in der Wirtschaftskrise „Totalopposition“ vor, von Habeck vermisst er „klare Ansagen“.

Dietmar Woidke (SPD) ist seit August 2013 Regierungschef von Brandenburg. Zuvor war der 62-Jährige Innenminister des Bundeslandes.

WELT AM SONNTAG: Herr Woidke, die Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) hat sich am Mittwoch noch einmal über Migration beraten. Sind aus Ihrer Sicht nun alle Probleme mit der Bezahlkarte ausgeräumt?

Dietmar Woidke: Bund und Länder sind in den letzten Monaten ganz gut vorangekommen. Die Zahl der nach Brandenburg Geflüchteten ist zurückgegangen. Daran haben die Grenzkontrollen zu Polen sicher einen großen Anteil. Deswegen ist es gut, dass der Bund zugesagt hat, sie weiterzuführen. Die Bezahlkarte, die ich schon im Herbst gefordert hatte, kommt. Wir dürfen aber in unseren gemeinsamen Anstrengungen nicht nachlassen. Die Belastungen in den Kommunen durch die Unterbringung und Integration von Geflüchteten ist weiterhin sehr hoch.

WELT AM SONNTAG: Der Kanzler hatte Rückführungen in großem Stil angekündigt. Muss man nicht sagen: Er hat sich da verrannt, weil die Regierungen der jeweiligen Heimatländer an Rückführungen in großem Stil gar nicht interessiert sind?

Woidke: Die Zahl der Rückführungen konnte gesteigert werden. Das ist gut. Wir brauchen weitere Migrations- und Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Da ist der Bund von der MPK klar aufgefordert zu liefern. Wir brauchen schnellere Entscheidungen zu Asylanträgen und in Gerichtsverfahren. Die Länder leisten hier ihren Beitrag.

WELT AM SONNTAG: In aktuellen Umfragen liegt die AfD in Brandenburg etwa zehn Prozentpunkte vor der SPD. Was machen Sie, wenn Sie bei der kommenden Landtagswahl mit Ihren derzeitigen Koalitionspartnern CDU und Grünen nicht mehr auf eine Mehrheit kommen, um die Regierung zu bilden?

Woidke: Mein Ziel ist es, dass die SPD in Brandenburg stärkste Kraft bleibt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das schaffen. Wir haben eine ähnliche Ausgangssituation wie 2019. Auch da lagen wir in Umfragen mehrfach nicht vorn. In den nächsten Monaten wird es immer stärker darauf ankommen, den Menschen klarzumachen, dass es um das Land Brandenburg geht und nicht um Bundespolitik. Wir stehen für politische Stabilität, und das ist die Grundlage einer stabilen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Das fordern die Menschen zu Recht. Und das können wir bieten. Deswegen bin ich optimistisch, dass die Landtagswahl für uns gut ausgehen wird.

WELT AM SONNTAG: Inwieweit werden diese Bestrebungen von den handwerklichen Fehlern der Bundesregierung geschmälert?

Woidke: Der häufige Streit in der Ampel-Koalition ist nicht förderlich. Ich wünsche mir mehr Klarheit und Nachvollziehbarkeit von der Bundesregierung bei wichtigen Entscheidungen. Natürlich gibt es bei vielen komplexen Fragen unterschiedliche Positionen. Die müssen auch intern diskutiert werden, und auf dieser Grundlage muss den Menschen erklärt werden, warum etwas so und nicht anders entschieden worden ist. Sicherheit und Stabilität im Regierungshandeln bringt auch Sicherheit und Stabilität in der Wirtschaft Deutschlands. Und genau das brauchen wir jetzt.

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WELT AM SONNTAG: Das heißt, der Kanzler und die Ampel sind daran schuld, dass die AfD in Brandenburg so viel Zulauf erhält?

Woidke: Nein, das wäre zu einfach gedacht. Die AfD will das Scheitern der Politik. Und sie lebt von Problemen, die nicht gelöst sind. Und es ist nicht immer zwingend entscheidend, was in Berlin als Problem empfunden wird, sondern was die Menschen als Probleme empfinden. Da gehen die Wahrnehmungen deutlich auseinander, übrigens auch die zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten. Pragmatismus heißt, in der Politik weniger Probleme zu hinterlassen, als man selbst löst.

Er nahm an AfD-Bürgerdialog teil

WELT AM SONNTAG: Hat man im Abwehrkampf gegen den Rechtsextremismus den Vorwurf zu inflationär gebraucht, es handele sich um eine neue Form des Nazismus? Wenn es so ist, hat diese Entwicklung dazu geführt, dass ein maßgeblicher Teil der Bevölkerung sich davon nicht mehr beeindrucken lässt?

Woidke: Diese Entwicklung hat auch etwas mit der Veränderung in der Medienlandschaft zu tun. Wir haben heute in Brandenburg eine andere Situation als noch vor zehn Jahren. In manchen Regionen gibt es keine lokale Tageszeitung mehr. Es werden andere Informationsquellen genutzt, die oft falsche Nachrichten verbreiten. Ich erlebe es in Bürgerdialogen. So kürzlich als jemand voller Überzeugung behauptet hatte, Asylbewerber würden im Supermarkt saftige Prozente bekommen, die die deutschen Kunden zahlen müssten. Einige leben nur noch in ihren Netzblasen in ihrer eigenen Welt.

Dazu kommt, dass wir die Auseinandersetzung mit der AfD intensiver führen müssen. Das machen wir im Brandenburger Landtag. Wir müssen den Menschen klarmachen, was passieren würde, wenn die AfD in Deutschland an die Macht kommen sollte. Ist es wirklich so, dass vor 30 Jahren alles besser war, wie einige behaupten? Ich habe Brandenburg vor 30 Jahren anders erlebt. Damals herrschte hier eine Massenarbeitslosigkeit, junge Menschen zogen perspektivlos massenweise weg. Das war keine bessere Zeit.

Die AfD will dieses Land in seinen Fundamenten verändern. Allein der Austritt aus der EU, den viele in der AfD wollen, würde Deutschland ökonomisch in die Krise stürzen und hätte soziale Auswirkungen auf zig Millionen von Menschen.

WELT AM SONNTAG: Sie haben sich in der Parteiverbotsdebatte bisher zurückgehalten. Aus welchem Grund?

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Woidke: Wenn ich die politische Auseinandersetzung mit parteirechtlichen Fragen vermenge, nutzt das am Ende nur der AfD. Zudem weiß ich aus Erfahrung, wie hoch die Hürden für ein Parteienverbot zu Recht sind. Deswegen weigere ich mich, in den Chor derjenigen einzustimmen, die schnurstracks ein Parteiverbot der fordern. Ich werde dafür stimmen, wenn die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Verfahren gegen die AfD beweiskräftig vorhanden sind. Solange dies nicht der Fall ist, halte ich die Verbotsdebatte für schädlich.

WELT AM SONNTAG: Sie haben den Beschluss der Bundesregierung kritisiert, die Subventionen für den Agrardiesel für die Landwirte zu streichen. Müssten Sie dann nicht auch den Kurs der Opposition teilen, die ein Junktim zwischen der Zustimmung zum Wachstumschancengesetz und der Zurücknahme der Streichung gestellt hat?

Woidke: Das Wachstumschancengesetz hat mit dem Agrardiesel gar nichts zu tun. Die Union hat sich offenbar für eine Totalopposition entschieden, das war in Teilen auch auf der MPK am Mittwoch festzustellen. Die Wirtschaftslage in Deutschland ist zu ernst für dieses Spiel. Wo bleibt die staatspolitische Verantwortung, auf die sich Friedrich Merz sonst so viel zugutehält?

Mich überrascht, dass Merz jetzt den Lafontaine gibt, der in den letzten Regierungsjahren Helmut Kohls darauf setzte, alle Maßnahmen der Regierung zum Scheitern zu bringen – und damit dem Land schadete. Die Wirtschaft aber wartet auf die zügige Umsetzung, denn sie braucht neue Wachstumsimpulse. Das Wachstumschancengesetz wird nicht alle Probleme der Wirtschaft lösen. Aber es ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung. Um Arbeitsplätze und Wohlstand zu erhalten, brauchen die Unternehmen schnellstens Investitionssicherheit.

WELT-Herausgeber Stefan Aust

WELT AM SONNTAG: Und wie sollte die Bundesregierung im Fall des Agrardiesels vorgehen?

Woidke: Die Bundesregierung sollte einen Kompromiss mit den Bauern suchen, der den Landwirten die Last wieder abnimmt, die sie ihnen aufzwingt. Auf Landesebene haben wir dies bereits getan und immerhin erreicht, dass unsere Landwirte eine bessere Planungssicherheit erhalten. Unsere Landwirte werden ab 2025 zusätzlich mehr als 30 Millionen Euro erhalten. Mit aller nötigen Demut sage ich: Die Bundesregierung könnte sich in dieser Frage unsere Landesregierung zum Vorbild nehmen.

WELT AM SONNTAG: Das Wachstumschancengesetz hat ein Volumen von 3,4 Milliarden Euro, das der Wirtschaft auf verschiedenen Wegen zugutekommen wird. Ist die Summe nicht viel zu niedrig angesichts der Wirtschaftsflaute?

Woidke: Das Volumen ist die eine Sache, die andere ist das Tempo, das wir brauchen. Das Land befindet sich in einem gigantischen Transformationsprozess, in dem es zur Stunde keineswegs klar ist, ob es uns gelingt, große Teile der deutschen Industrie, wie die Stahlindustrie, die chemische Industrie, die Glasindustrie, kurz, die energieintensive Industrie in Deutschland am Leben zu erhalten. Dass es uns gelingen muss, steht außer Frage. Dies muss nun schnellstmöglich angegangen werden.

Und dann ist noch immer offen: mit welchem Finanzvolumen? Jedenfalls muss uns die Absicherung der Transformation viel wert sein, mehr wert als 3,4 Milliarden Euro, weil sonst ein Teil unserer Wertschöpfungsketten verloren geht und wir Arbeitsplätze und unseren Wohlstand verlieren. Das Wachstumschancengesetz ist ein Anfang – gut für einen 100-Meter-Lauf.

Nur: Wir befinden uns in einem Marathon. Wenn ich sehe, wie viele Billionen Dollar allein die USA gegenwärtig unter anderem über Abschreibungen auszugeben bereit sind, um ihre Industrie zu halten oder neu anzusiedeln, dann müssen wir dringend nachsteuern.

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WELT AM SONNTAG: Fehlt nicht einfach nur Planungssicherheit, etwa beim Strompreis?

Woidke: Wir müssen endlich wissen, woher der Strom in den kommenden Jahren genau kommen soll. Nur wenn wir darüber Bescheid wissen, können wir ermessen, wie hoch die Strompreise sind, welche Belastungen auf die energieintensive Industrie zukommen und wo wir gegebenenfalls mit Steuererleichterungen der Industrie beispringen müssen.

Bis heute gibt es leider keine klaren Ansagen des Wirtschaftsministers dazu. Stattdessen gibt es Diskussionen über staatseigene Gaskraftwerke und Kohleausstiegsdebatten. Die Wirtschaft braucht Antworten. Woher kommt der Strom und was kostet die Kilowattstunde in fünf, zehn oder 15 Jahren?

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