Rezension aus Deutschland vom 28. Juli 2022
GELESEN: Thomas Mann
„Die vertauschten Köpfe“
66 Seiten
Die vertauschten Köpfe – eine indische Sage
In einem Gespräch über Thomas Mann wurde ich gefragt, ob ich diese Erzählungen gelesen hätte. Ich verneinte und erhielt sogleich eine Aufforderung, der ich Folge leistete.
Natürlich, wie kann es bei einem Thomas-Mann-Sammler anders sein, fand ich diese Erzählungen in einer schon etwas in die Jahre gekommenen, bei Suhrkamp erschienenen Ausgabe „Ausgewählte Erzählungen“ aus dem Jahre 1944, die ich irgendwo einmal antiquarisch erworben habe.
Um in die Geschichte einzusteigen, musste ich die ersten drei Kapitel dreimal lesen, denn TM katapultiert den Leser hier äußerst blumenreich in eine so fremde orientalische Welt, dass es dauert, bis man mit den Gegebenheiten eins wird und sich mit Nanda, dem Schmied, und Schridaman, dem Kaufmann, die aus dem Dorfe „Wohlfahrt der Kühe“ stammen, auf Wanderschaft begeben kann.
Die beiden Freunde brechen im Frühling zu einer längeren Reise auf, um Besorgungen zu erledigen, die ihnen aufgetragen wurden. Im Gepäck haben sie allerlei Tauschwaren. Ihre Rastplätze sind von einzigartiger Schönheit, die sich im Text so grandios widerspiegeln, als säße man mit ihnen beim Mahl.
Nanda und Schridaman trennten sich, und jeder ging seinen Geschäften nach. In drei Tagen wollten sie sich an einem verabredeten Ort wieder treffen.
Nanda war schon da, als er Schridaman aus der Ferne kommen sah. Dieser ging den Gang eines kreisen, müden und kranken Mannes. Sogleich nahm ihm Nanda seine Last ab und lud diese auf den inzwischen erworbenen Esel.
Erst am nächsten Tag begann Schridaman zu sprechen. Er habe eine Krankheit, die zum Tode führt und wünsche sich eine Scheiterhütte, die Nanda für ihn bauen und anzünden möge. Er möchte verbrennen, denn das Feuer könnte nicht schlimmer sein, als das, was in ihm derzeit loderte. Nanda versprach, bot sogar an, mit ihm diesen letzten Weg zu gehen, wollte jetzt aber wissen, was genau passiert sei, seit sie sich getrennt hatten.
Schridaman sprach.
Ihm brenne nach dem Mädchen, welches er zusammen mit Nanda bei der letzten Rast beim Bade erblickt und beobachtet hatte, als diese nackt ins Wasser stieg.
Nanda lachte vor Freude, da Schridaman nur „verliebt“ und nicht sterbenskrank war.
Nanda wollte helfen und als Ehevermittler fungieren.
Sita aus dem Dorfe „Buckelstierheim“, die ihm bereits bekannt war, würde dann, nachdem beide Elternteile ihr Einverständnis erteilt hätten, Schridamans Gemahlin werden.
So kam es.
Sita reiste, inzwischen guter Hoffnung, mit ihrem Gemahl und in Begleitung Nandas zu ihren Eltern.
Unterwegs betrat Schridaman einen Tempel und enthauptete sich. Schridaman konnte nicht länger ertragen, dass Sita Nanda und nicht ihn liebte.
Sita hatte nun schon eine sehr lange Zeit gewartet, und da weder Schridaman noch Nanda zurückkamen, machte nun auch sie sich auf den Weg in den Tempel.
Was sie dort sah, verschlug ihr den Atem. Sie überlegte, wie es hatte geschehen können, dass beide nun ohne Haupt dalagen. Es aber nur ein Schwert gab.
Jetzt konnte nur noch die Göttin helfen, die sich harsch zu Wort meldete. Nach langem und eindringlichem Gespräch wies sie Sita an, ihrem Mann und dessen Freund langsam und bedächtig die Köpfe wieder aufzusetzen und zwar so, dass sie genug Zeit hätte, um das Blut wieder fließen zu lassen.
Sita tat, wie ihr geheißen, machte aber einen Fehler.
Nanda, den sie ja sehr liebte, bekam den Kopf des Schridaman und dieser das Haupt des Nanda.
Zu neuem Leben erweckt, konnten aber beide nicht zurechtkommen und so traten sie zu dritt eine Pilgerreise an, um Buße zu tun. Hernach suchten sie einen Heiligen auf, der als Schiedsmann ihnen sagen solle, wer nun der rechtmäßige Gemahl sei.
Schridaman wurde erwählt, denn der Kopf ist, was zählt, so seine Worte.
So gingen sie des Weges, aber nicht weit, denn Nanda trennte sich von ihnen. Er war bitter. Sita verabschiedete sich, umarmte ihn und tröstete ihn mit den Worten, dass ja ihre Leibesfrucht seinem Leibe entstammte.
Eine Weile lebte sie nun mit Schridaman, dessen Körper beeinflusst durch Nandas Kopf, sich immer mehr veränderte. Langsam nahm er die Gestalt des Freundes an. Aber auch sein Kopf, war nicht mehr der, der er einst war. Diese Veränderung führte dazu, dass es Sita nicht mehr bei ihm aushielt und sich mit ihrem kleinen Söhnchen auf Wanderschaft begab. Nach langer Wegstrecke traf sie auf Nanda, der sie umarmte, herzte und drückte. Lange hatte er auf sie gewartet.
Schridaman, der genau wusste, wo Sita hingegangen war, folgte ihr. Die drei Freunde waren wieder vereint. Da sie aber zu dritt auch nicht leben konnten und wollten, nahmen Nanda ein Schwert zur Hand, ebenso wie Schridmann und es sich gegenseitig in die Herzen. Sita nun Witwe, verbrannte sich.
Das Söhnchen, gebildet in Rede, Grammatik, Astronomie und Denkkunst, studierte und wurde bereits mit zwanzig Jahren Vorleser des Königs von Benares.
Dies ist die längste Erzählung, die Thomas Mann geschrieben hat. Auch in Kurzform spiegelt sie hoffentlich wider, was er dem Leser mit dieser großartigen Sage mitteilen will.