TV-Drama „Eine unerhörte Frau“ – hier erzählt Angelika Nachtmann ihre wahre Geschichte
  1. Startseite
  2. Kultur

Die Erin Brockovich aus Oberbayern

KommentareDrucken

Heute ist Katharina (li.) selbst Mutter. Ihr Sohn Florian wurde gerade zwei. Dank Oma Angelika hat seine Mutter überlebt.
Heute ist Katharina (li.) selbst Mutter. Ihr Sohn Florian wurde gerade zwei. Dank Oma Angelika hat seine Mutter überlebt. © Foto: FKN

Gerade zeigte das ZDF das TV-Drama „Eine unerhörte Frau“ – hier erzählt Angelika Nachtmann ihre wahre Geschichte

Angelika Nachtmann hat eine Entscheidung getroffen. Egal, was der Oberarzt in seinem weißen Kittel sagt; egal, wie überrascht die Krankenschwestern schauen. Die Antwort heißt: „Nein.“ Obwohl ihr eine Frage gar nicht gestellt wurde. Das Ärzteteam hatte ihr schlichtweg mitgeteilt, dass sie den Kopf von Angelika Nachtmanns Tochter Katharina noch einmal öffnen müssten. Nach einer vorherigen OP war Hirnwasser ausgetreten, eine Beule auf Katharinas Stirn zeigte das deutlich. „Als der Oberarzt meinte, er wolle den Kopf wieder öffnen, habe ich gesagt: ,Nein, ihr macht’s den Kopf nicht mehr auf!‘ Darauf er: ,Doch, da ist eine lecke Stelle, die müssen wir schließen.‘ Da sag’ ich: ,Wenn’s ihr die wieder aufmacht, um die lecke Stelle zu schließen, dann entstehen ja wieder Stellen!‘“

Wenn die Höhenrainerin (Landkreis Starnberg) das erzählt, klingt es so logisch. Druck muss mit Gegendruck bekämpft werden. „Wie bei einer blutenden Wunde – da braucht’s doch auch ein Pflaster, um die Blutung zu stillen!“ So forderte die heute 57-Jährige von den Ärzten, ihrer Tochter einen Druckverband umzulegen. Und tatsächlich: Es gelang, schon nach zwei Tagen war die Beule verschwunden, weitere zwei Wochen später nichts mehr davon zu sehen. Eine medizinische Laiin stellt sich gegen die studierten Ärzte. David gegen Goliath. Erin Brockovich mitten in Oberbayern. Und wie die US-Amerikanerin Brockovich, deren Kampf gegen die Trinkwasserverseuchung eines Konzerns in Kalifornien später mit Julia Roberts in der Hauptrolle verfilmt wurde, hat auch Angelika Nachtmanns Geschichte es vor die Filmkameras geschafft. „Eine unerhörte Frau“ hat Regisseur Hans Steinbichler das Drama genannt, beim Filmfest München feierte es vergangenes Jahr Premiere, gestern Abend war es im ZDF zu sehen. Bewegend, wie Rosalie Thomass diese in zweierlei Sicht unerhörte Frau spielt. Denn Nachtmann ist ja nicht nur unerhört kämpferisch, stark und in positivem Sinne eigenwillig – sondern wurde auch über viele Jahre hinweg tatsächlich nicht erhört.

Szene aus dem Film mit Rosalie Thomass (re.): Angelika Nachtmann hat ihre Tochter auf einen Berg getragen, damit sie auch sehen kann, was andere Kinder sehen.
Szene aus dem Film mit Rosalie Thomass (re.): Angelika Nachtmann hat ihre Tochter auf einen Berg getragen, damit sie auch sehen kann, was andere Kinder sehen. © Foto: ZDF

Nicht von den Lehrern, die Katharina, die sich ständig übergeben muss, für eine Simulantin halten; nicht von den Mitschülern, die sie ob ihrer geringen Körpergröße – seitdem das Mädchen fünf ist, wächst es nicht mehr – hänseln; nicht von den Ärzten, die der Mutter nur Tipps geben wie „Das Kind muss mehr an die frische Luft!“

Bis es zu der ersten Operation am Kopf von Katharina kommt, ist es ein langer Weg. Vor allem aber ein bewundernswerter. Denn Angelika Nachtmann beginnt eigenständig zu recherchieren. Sie liest medizinische Fachliteratur. Und kommt irgendwann zu dem Schluss, dass ihrem Mädchen ein Wachstumshormon fehlen muss. Eine Endokrinologin untersucht Katharinas Hormonstatus – und entdeckt einen Gehirntumor auf der Sehnervenkreuzung.

Ist da keine Wut auf das Versagen der Ärzte? Angelika Nachtmann schüttelt den Kopf. „Die Ärzte, man muss ja froh sein, dass es sie gibt!“ Und dennoch: Wenn sie das Gefühl hat, dass etwas bei ihr, ihren beiden Söhnen oder der Katharina nicht stimmt, dann setzt sie sich hin und denkt erst einmal für sich ganz allein nach, was es sein könnte. „Ich horche in mich hinein und lege mir das zusammen wie ein Puzzle.“ Wenn ihr dann etwas spanisch vorkommt, wenn sie merkt, „da passt was net!“, hört sie allen Empfehlungen der Ärzte zum Trotz immer zunächst auf ihr Bauchgefühl. Angst vor Autoritäten kennt sie nicht. „Ich bin sehr direkt, es ist mir vollkommen egal, ob das jetzt ein Doktor ist oder ein Professor oder ein Politiker, der vor mir steht. Das sind alles nur Menschen – und Menschen dürfen auch Fehler machen. Aber sie müssen zu diesen Fehlern stehen“, sagt sie, die sich selbst schmunzelnd als „Wahrheits-Fanatikerin“ beschreibt.

Sie kämpft wie eine Löwin

Durch diesen Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, vor allem aber durch ihren inneren Impuls, ihre Sippe wie eine Löwin zu verteidigen, gelang es der Oberbayerin, das Leben ihrer Tochter zu retten. Und mehr noch: Aus Katharina ist eine selbstbewusste junge Frau geworden. Die heute 30-Jährige ist inzwischen selbst Mutter. Die erste Frau, die nach einer Gehirn-OP wie dieser ein Kind zur Welt gebracht hat. Der kleine Florian ist an diesem Montag zwei Jahre alt geworden. Neulich hat Katharina zu ihrer Mutter gesagt: „Durch den Florian erlebe ich meine eigene Kindheit noch einmal neu. Unbeschwert.“

Der Film hat das Schicksal der Familie wahrheitsgetreu wiedergegeben, finden Mutter und Tochter. „Als ich die Rosalie Thomass bei der Premiere auf der Leinwand gesehen habe, hab’ ich gedacht: ,Die führt sich genauso auf wie ich!‘‘‘, erinnert sich Angelika Nachtmann lachend. Überhaupt habe der Steinbichler Hans das super gemacht. Mit einer Einschränkung: „Das, was man sieht, ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Den Berg hat sie zum Schmelzen bringen können. Diese unerhörte Frau.

Die Autobiografie:

Angelika Nachtmann hat ihre Geschichte aufgeschrieben: „Eine unerhörte Frau: Nicht gehört – fast zerstört“. Scholastika; 190 S., 13,80 Euro.

Auch interessant

Kommentare