1990, auf einem Luxus-Liner erkennt eine ehemalige "Nazisse" in einem h�flichen Professor den vermeintlichen M�rder ihres Mannes. Oder war alles ganz anders im Sudetenland 1945? „Die lange Welle hinterm Kiel“ nach dem Roman von Pavel Kohout ist ein Lehrst�ck �ber die Relativit�t erlebter Geschichte. Ein Film �ber Schuld und S�hne, �ber Liebe und sp�te Vergebung. Ein Konversationsst�ck, ein Schauspielerst�ck, ein Kammerspiel auf See.
Foto: Degeto / Stefan HaringWill die Million�rin und "eiserne Lady" (Christiane H�rbiger) Rache? Letkowski
„Der Mann hinter mir, die Stimme kenne ich!“ Die sonst so aufger�umte, exzentrische Million�rin Margarete K�mmerer ist pl�tzlich leichenblass. Auf einem Kreuzfahrt-Luxusliner trifft sie auf den, der ihren ersten Mann auf dem Gewissen hat. Es war 1945 im Sudetenland. Von einem Pogrom, von Exekutionen und anschlie�ender Vergewaltigung der Witwen erz�hlt die „eiserne Lady“ unter Tr�nen ihrem Neffen Sigi, der sie auf der Reise begleitet. Sie hat ihn auserw�hlt als den mutigen Mann, der nach ihrem Tod die Asche ins Meer streuen soll. Ganz hinten am Heck, wo die Heckwelle das Eintauchen, das Einswerden mit den Urspr�ngen des Lebens erm�glicht. Doch jetzt muss er erst einmal daf�r sorgen, dass die Tante, in deren Safe ein Revolver liegt, keine Dummheiten macht. Der junge Mann vertraut sich der Person an, die mit jenem seri�sen, alten Herrn reist: wie sich bereits herausstellte, ist sie nicht die viel zu junge Ehefrau, sondern die verlassene Schwiegertochter jenes Prof. Martin Burian, eine suizidgef�hrdete Frau von Welt, mit der der selbstbewusste Geschichtsstudent bereits zarte Bande gekn�pft hat. Als sie ihren Schwiegervater mit den Vorw�rfen konfrontiert, h�rt sie eine andere Geschichte – die �ber eine Frau, die Hitler anhimmelte und einen grausamen SS-Mann liebte, der Burians Bruder kaltbl�tig aus dem Hinterhalt erschossen hat.���
Autor Klaus Richter �ber das Schiffsreise-Motiv:
„F�r l�ngere Zeit auf dem Meer zu sein, in dem alles Leben begann, ist eine existentielle Erfahrung, �hnlich wie die Weite der Pr�rie in einem Western. F�r mich ist diese Schiffsreise keine ‚Hades-Fahrt’, sondern die Figuren kommen in Platons Sinne zu sich. Lebenserfahrungen werden durch die Ausnahmesituation verdichtet… Ich fand es im �brigen reizvoll, ein Anti-‚Traumschiff’ zu schreiben, in dem Konflikte nicht harmonisiert werden.“��
„Die lange Welle hinterm Kiel“ nach dem Roman von Pavel Kohout ist ein Lehrst�ck �ber die Relativit�t erlebter Geschichte. Es geht um „die Suche nach der historischen Wahrheit, die immer nur perspektivisch und n�herungsweise zu erlangen ist“, wie ARD-Programmdirektor Volker Herres im Presseheft schreibt. Es ist ein Film �ber Schuld und S�hne, �ber Liebe & vielleicht sp�te Vergebung – der Film, der Vieles ausspricht, l�sst am Ende eine Sache offen. Die Situation, das Aufeinandertreffen der beiden alt gewordenen „Kontrahenten“, verfolgt die Kamera nur aus der Ferne, man sieht die Gesten. Was gesprochen wird, h�rt man nicht. Ein kluger Kunstgriff. Auch hier ist es die Perspektive, die man selbst einnimmt, die die eigene Haltung bestimmt. Dass, was sich die Stewards zusammenreimen �ber das seltsame Quartett und �ber das, was sie aus der Distanz sehen, hat zumindest mit der Wahrheit nichts zu tun. Nur mit ihren Vor-Urteilen (und auch mit ihrer Erfahrung). So viel zum subjektiven Blick.����
Foto: Degeto / Stefan HaringNur eine kleine Aff�re? Der Millionenerbe (Letkowski) und die Betrogene (Ferres)
„Die lange Welle hinterm Kiel“ von Grimme-Preistr�ger Nikolaus Leytner („Ein halbes Leben“) lebt von der Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung: nicht zwei Feinde in einem Boot, aber immerhin auf demselben Schiff, im selben Speisesaal. Man kann von diesem Ort nicht weg, so wie die betagten Helden nicht vor den Gespenstern der Vergangenheit fliehen k�nnen. Dem Film gelingt es auch formal, das prinzipiell nicht Zusammengeh�rige miteinander zu verbinden: das dialoglastige Kammerspiel mit einem dramaturgisch k�nstlich gesetzten Konflikt und den filmischen Reiz der Location Kreuzfahrtschiff. Als Zuschauer, der sich f�r die Geschichte interessiert, sind es die Schauspieler, ist es die Konstellation der vier Hauptfiguren, die einen dran bleiben l�sst. Man fragt hier nicht nach „Glaubw�rdigkeit“ wie in einem realistischen Fernsehfilm. Und das Traumschiff, das zum Alptraumschiff zu werden droht, ist nicht mehr als eine sinnliche Zugabe, durch die sich der Film leichter goutieren l�sst.
Foto: Degeto / Stefan HaringSchwiegervater mit Vergangenheit. Ex-Gattin mit Selbstmorgedanken. Ferres, Adorf
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
Sie k�nnen den fernsehfilm-beobachter unterst�tzen: Werden Sie Fan & Freund oder spenden Sie oder kaufen Sie bei amazon, indem Sie von hier, vom amazon-Button oder von jedem beliebigen DVD-Cover dorthin gelangen.