RAF: So mordete und bombte die „dritte Generation“ der Linksterroristen - WELT
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Deutscher Herbst Festnahme von Daniela Klette

So mordete und bombte die „dritte Generation“ der RAF

Nach mehr als 30 Jahren Fahndung hat die Polizei die Linksterroristin Daniela Klett verhaftet. Ihre Beteiligung an Anschlägen der Rote Armee Fraktion könnten verjährt sein. Nicht aber die Beschaffungskriminalität, um das Leben in der Illegalität zu finanzieren.
Leitender Redakteur Geschichte
„Die Straftaten aus der RAF-Zeit dürften verjährt sein“

In Berlin-Kreuzberg wurde die RAF-Terroristin Daniela Klette festgenommen – nach jahrzehntelanger Fahndung. Wie ihre Taten strafrechtlich eingeordnet werden, bleibt abzuwarten, so WELT-Redakteur Sven Felix Kellerhoff.

Quelle: WELT TV

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Im Herbst 1982 war den deutschen Behörden der größte Schlag gegen die RAF seit 1972 gelungen – Brigitte Mohnhaupt, Adelheid Schulz und Christian Klar waren kurz nacheinander bei Erddepots der Terrorgruppe festgenommen worden. Drei Monate später veröffentlichte das Bundeskriminalamt Mitte Februar 1983 ein neues Fahndungsplakat, das mit 286.000 Exemplaren verbreitet wurde.

Gesucht wurde nach 16 mutmaßlichen Terroristen. Die Ermittler wussten nicht, dass nur vier von ihnen zu dieser Zeit noch als aktive RAF-Mitglieder untergetaucht in der Bundesrepublik lebten – die übrigen waren in der DDR untergetaucht.

Zwei der vier Aktiven waren alte Bekannte der Behörden: Helmut Pohl und Christa Eckes, beide schon in den 1970er-Jahren verhaftet und rechtskräftig verurteilt. Am 2. Juli 1984 wurde diese beiden aber in Frankfurt ebenfalls verhaftet, zusammen mit weiteren untergetauchten Linksextremisten.

Nach diesem Zugriff befand sich nur noch ein einziges aktives Mitglied des inneren Kreises der RAF in der Illegalität: Eva Haule hatte seit Anfang der 1980er-Jahre zu den Unterstützern der RAF gehört und war 1982 in Untersuchungshaft genommen. Doch sie musste wieder entlassen werden, weil ihr nicht mit hinreichender Sicherheit Straftaten nachgewiesen werden konnten.

ARCHIV - HANDOUT - Die RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub (l), Daniela Klette und Burkhard Garweg (undatierte Fahndungsbilder des Bundeskriminalamts BKA). Sie werden zur dritten RAF-Generation gerechnet. Garweg gilt als Verdächtiger beim Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt 1993. Klette dürfte 1991 dabeigewesen sein, als RAF-Mitglieder - der Golfkrieg hatte gerade begonnen - auf die US-Botschaft in Bonn feuerten. Die Rote Armee Fraktion hat sich 1998 aufgelöst. Viele ihrer Verbrechen sind noch ungeklärt. Auf der Fahndungsliste des Bundeskriminalamtes stehen derzeit drei Namen. Fotos: BKA (zu dpa: "Noch drei RAF-Mitglieder auf der Fahndungsliste des BKA" vom 06.07.2012) +++ dpa-Bildfunk +++
Die RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg (v.l.n.r., undatierte Fahndungsbilder)
Quelle: picture alliance / dpa

Nun wiederholte sich, was schon nach früheren Fahndungserfolgen eingetreten war: Aus dem Unterstützerumfeld rekrutierte sich ein neuer harter Kern. „Die alte RAF ist 1982 zu Ende gegangen, aber eine neue Terroristengeneration wird sie ablösen“, hatte der pensionierte BKA-Chef Horst Herold bereits nach der Festnahme von Mohnhaupt, Schulz und Klar gewarnt.

Mit erschreckender Geschwindigkeit bildete sich bis zum Herbst 1984 eine „dritte Generation“ der RAF. Wie diese Gruppe genau zustande kam und welche Mitglieder dazu zählten, ist auch im Februar 2024 nur umrisshaft bekannt. Die Bundesanwaltschaft ging vage von „mindestens 15 Personen“ aus – doch eine Reihe untergetauchter Linksextremisten, die das BKA der neu formierten Gruppe zurechnete, gehörten ihr wohl doch nicht an oder hatten nur gelegentlichen Kontakt.

Einigermaßen gewiss ist nur: Wolfgang Grams, der bereits 1974 gewaltsam gegen die angebliche „Isolationsfolter“ der ersten RAF-Inhaftierten um Andreas Baader protestiert hatte, und seine Lebensgefährtin Birgit Hogefeld gehörten zum Kern der Gruppe.

Die erste größere Straftat beging die neue RAF am 5. November 1984 in Maxdorf bei Ludwigshafen: Mindestens zwei Täter erbeuteten in einem Waffengeschäft 22 Pistolen und Revolver sowie zwei Gewehre, außerdem 2800 Schuss passende Munition.

Die neuen Terroristen hatten gelernt: Sie hinterließen weit weniger Spuren als ihre Vorgänger – weder in konspirativen Wohnungen noch in Tatfahrzeugen. Nur wenige Fingerabdrücke konnten noch gesichert werden; offenbar benutzten die Täter bei ihren Anschlägen Sprühpflaster, wenn sie aus Tarnungsgründen keine Handschuhe tragen konnten.

ARCHIV - (l-r) Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl, Direktor der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes (1985 ermordet), Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts und MTU-Chef Ernst Zimmermann (beide 1986 ermordet). Foto: dpa (zu dpa-Serie Deutsche Geschichte - Deutsche Geschichten - Der RAF-Terror vom 12.05.) nur s/w +++ dpa-Bildfunk +++
Die RAF-Opfer Gerold von Braunmühl, Karl-Heinz Beckurts und Ernst Zimmermann (v.l.n.r.)
Quelle: picture-alliance/ dpa
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DNA-Analysen waren noch sehr aufwendig und wurden sowieso erst ab 1988 als Beweis vor Gericht anerkannt. Hinzu kam: Ausgefallene Haare, die gelegentlich an Tatorten der „dritten Generation“ gesichert werden konnten, ließen sich mit den technischen Möglichkeiten der 1980er-Jahre keiner bestimmten Person zuordnen – das ging zu dieser Zeit nur mit ausgerissenen Haaren, an denen Zellen der Haarwurzeln hingen.

Am 18. Dezember 1984 fuhr ein Mann in US-Uniform auf das Gelände der Nato-Schule in Oberammergau; der Wachposten am Tor ließ ihn passieren. Der Mann parkte einen Wagen, einen gestohlenen Audi 80 mit gefälschten US-Kennzeichen, direkt vor dem Hauptgebäude und verließ das Gelände zu Fuß.

Dabei fiel er jedoch einem Offizier durch sein unmilitärisches Verhalten auf. Als das Kennzeichen des Fahrzeuges überprüft wurde, stellte sich heraus, dass es nicht zum Fahrzeug passte. Die Nato-Schule wurde umgehend evakuiert. Am Nachmittag entschärften Spezialisten die Bomben im Fahrzeug: 25 Kilogramm industrieller Sprengstoff, drei Gasflaschen und schwere Gleisschrauben, die schlimme Folgen gehabt hätten.

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Die RAF bekannte sich gleich doppelt zu dem gescheiterten Attentat, zuerst per Anruf bei der „Süddeutschen Zeitung“, dann mit einem Schreiben an dieselbe Redaktion. „Ziel der Aktion“ sei es gewesen, „die Militärs dort direkt auszuschalten“.

Am Morgen des 1. Februar 1985 klingelte eine junge Frau nahe München am Privathaus von Ernst Zimmermann, dem Chef der Motoren- und Turbinenunion (MTU) sowie des Verbands der Luft- und Raumfahrtindustrie. Weil die angebliche Botin eine Unterschrift benötigte, ließ Zimmermanns Ehefrau sie ein.

Doch zusammen mit ihr stürmte ein maskierter Mann in das Haus. Die Eheleute wurden gefesselt, dann schleppten die Täter Ernst Zimmermann aus dem Flur ins Schlafzimmer, setzen ihn auf einen Stuhl und schossen ihm in den Kopf.

ARCHIV - Ein durch die Explosion zerstörtes Auto auf dem Parkplatz der US-Airbase in Frankfurt am Main (Archivfoto vom 08.08.1985). Ein Bombenschlag auf das Hauptquartier der US-Streitkräfte am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt am Main hatte zwei Tote und elf zum Teil schwer Verletzte gefordert. Nach 21 Jahren Haft kommt die ehemalige RAF-Terroristin Eva Haule frei. Das Oberlandesgericht Frankfurt setzte am Freitag (17.08.2007) den Rest ihrer Strafe zur Bewährung aus, wie das Gericht mitteilte. Haule war im April 1994 wegen dreifachen Mordes im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag vom 8. August 1985 auf den Frankfurter US-Militärflughafen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Foto: Thomas Wattenberg dpa/lhe +++ dpa-Bildfunk +++
Zerstörte Autos auf dem Parkplatz der US Air Base in Frankfurt am Main 1985
Quelle: picture-alliance/ dpa

Als nächstes sollte es wieder ein US-Ziel treffen – die große Air Base südlich des Frankfurter Flughafens. Die Täter wollten die Fehler vermeiden, die den Anschlag in Oberammergau hatten scheitern lassen. Deshalb spähten sie einen VW Passat aus, der öfter auf die Air Base fuhr, fälschten seine Kennzeichen und kauften gebraucht einen ähnlichen Wagen. Da sie weder die Kennzeichen noch das Auto stahlen, konnte nach beidem nicht gefahndet werden.

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Nun brauchten sie nur noch einen passenden Ausweis – von einem US-Soldaten, der etwa so aussah wie der Fahrer, der die Autobombe auf den Stützpunkt bringen sollte. Wolfgang Grams und eine Frau suchten in den Kneipen rund um die Air Base nach möglichen Zielpersonen und fanden Edward Pimental, einen Wartungstechniker.

Am Abend des 7. August 1985 flirtete Birgit Hogefeld in der Wiesbadener Disco „Western Saloon“ kräftig mit dem 20-Jährigen. Kurz vor Mitternacht verließen die beiden das Lokal; Zeugen erinnerten sich, die Frau habe dem jungen Amerikaner Drogen, Sex oder beides versprochen. Doch Pimental wurde in einem nahegelegenen Wald niedergeschlagen durch einen aufgesetzten Schuss in den Hinterkopf getötet. Beim anschließenden Bombenanschlag starben ein weiterer junger US-Soldat und eine amerikanische Zivilistin.

Tatort des Attentats auf Alfred Herrhausen (Deutschland/Vorstandssprecher der Deutschen Bank), zerstoertes Auto, Autowrack, am 30.11.1989 in Bad Homburg / Deutschland
Tatort des Attentats auf Alfred Herrhausen 1989 in Bad Homburg
Quelle: picture alliance / Sven Simon

Weitere Anschläge folgten: Der Diplomat Gerold von Braunmühl wurde in Bonn erschossen, der Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts und sein Fahrer Eckhard Groppler bei München. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen wurde mit einer Autobombe getötet, der Treuhand-Chef Detlev Carsten Rohwedder durch Schüsse aus einem Gewehr. Zuletzt wurde die fertig gestellt Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen 1993 bei einem Bombenschlag so schwer beschädigt, dass der Sachschaden auf bis zu hundert Millionen Mark geschätzt wurde.

Daniela Klette gehörte seit Mitte der 1970er-Jahre zum linksextremistischen Umfeld der Roten Armee Fraktion. Zu dieser Zeit polarisierte der Stammheimer Prozess gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof und andere die deutsche Öffentlichkeit.

Inhaftierte Terroristen versuchten mit Erfolg, durch Hungerstreiks linke Sympathisanten für sich zu gewinnen. Zu ihnen gehörten auch Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld – und zu einem bisher nicht genau bekannten Zeitpunkt auch Daniela Klette. Der erste öffentliche Fahndungsaufruf gegen sie erging jedoch erst 1993; zu diesem Zeitpunkt wurde sie wie folgt beschrieben: „34 Jahre, 1,65 m, schlank, dunkle Haare“.

Im Januar 2002 gab die Bundesanwaltschaft bekannt: Im Fluchtwagen der Täter nach einem Anschlag mit Sturmgewehren auf die US-Botschaft in Bonn-Bad Godesberg am 13. Februar 1991 war ein ausgefallenes Haar gesichert worden, das mittels inzwischen zur Verfügung stehender neuer Verfahren der flüchtigen Daniela Klette zugeordnet wurde.

Mit drei Sturmgewehren, einer Kalaschnikow und zwei Nato-Waffen, hatten am frühen Abend dieses Mittwochs drei Täter von der Uferpromenade in Königswinter aus rund 300 Metern Entfernung über den Rhein hinweg auf das Gebäude geschossen; 62 Kugeln trafen die US-Botschaft, einige Fensterscheiben gingen zu Bruch. Etwa 190 weitere Schüsse richteten an benachbarten Privathäusern Sachschäden an.

Klette konnte zudem die Beteiligung an einem versuchten Autobomben-Anschlag auf die Computerzentrale der Deutschen Bank in Eschborn im Februar 1990 nachgewiesen werden: In dem zur Bombe umfunktionierten VW Golf fanden sich ebenfalls ausgefallene Haare von ihr. Das bewies: Im juristischen Sinne war Klette Mittäterin, selbst wenn sie „nur“ den Fluchtwagen gefahren hatte.

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Im Oktober 2007 bestätigte die Bundesanwaltschaft, dass nach Klette auch wegen der letzten großen RAF-Straftat, des Bombenanschlags auf die noch nicht in Betrieb genommene Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen 1993, gefahndet werde. Dort sichergestellte DNA-Spuren konnte ihr zugeordnet werden.

Diese Taten dürften inzwischen verjährt sein. 1998 löste sich die RAF offiziell auf, Klette aber blieb im Untergrund. Mutmaßlich, um ihr Leben in der Illegalität zu finanzieren, unternahm sie mit den gleichfalls gesuchten Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg seit 1999 mehrere Raubüberfälle. Zumindest zwei Überfälle 2015 und 2016 sind noch nicht verjährt.

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