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Kultur „Die Herrlichkeit des Lebens“

From Kafka with Love

Redakteur Feuilleton
Dora Diamant (Henriette Confurius ) und Franz Kafka (Sabin Tambrea) Dora Diamant (Henriette Confurius ) und Franz Kafka (Sabin Tambrea)
Dora Diamant (Henriette Confurius ) und Franz Kafka (Sabin Tambrea)
Quelle: Christian Schulz
Wie verfilmt man Franz Kafka? „Die Herrlichkeit des Lebens“ erzählt das letzte Jahr des rätselhaften Schriftstellers als berührende romantische Tragödie. Hier verraten die Hauptdarsteller Henriette Confurius und Sabin Tambrea, wie sie sich auf ihre Rollen vorbereitet haben.

Der Himmel ist hoch, und der Strand in der Sonne leuchtet hell. Menschen laufen durch den Sand an der Ostsee, als wäre ein Beckmann-Bild lebendig geworden. Wir schreiben das Jahr 1923.

Die Bademode ist eine deutlich andere als heute. Dann kommt einer und die Kinder jubeln. Er trägt einen Anzug, wenn er ihn nicht trüge, scheint es, würde der dünne Mann vielleicht auseinanderfallen.

Der Mann erzählt den Kindern Geschichten. Eine geht von einer Maus und einer Katze und von der Ausweglosigkeit des menschlichen Lebens. Eine bizarre Fabel. Eher was für Erwachsene. Die Kinder hängen an seinen Lippen. Eine Frau verliebt sich in den scheuen schönen Hungerkünstler.

Franz Kafka heißt der Mann, Dora Diamant die Frau. „Die Herrlichkeit des Lebens“ der Film, in dem Sabin Tambrea der Dichter ist und Henriette Confurius die Ausdruckstänzerin, die ihn von dem Moment in Graal-Müritz an durch sein letztes Jahr erst liebt und dann auch pflegt. „Ich bin ein kranker Mann“, sagt Franz zu Dora oben an der Ostsee. „Und die Krankheit bestimmt mein Leben.“ – „Auch jetzt“, fragt sie. „Nein“, sagt er. „Jetzt nicht.“

Von einem Literaturseminar ist „Die Herrlichkeit des Lebens“ äonenweit entfernt. Eine Liebesgeschichte ist dern Film, eine Befreiungsgeschichte und die Rekonstruktion eines gar nicht kafkaesken Franz Kafka. Eines Mannes, „vor der Schwelle des Glücks“ (Kafka an einen Freund 1923).

Warm war das nicht, da oben an der Ostsee, obwohl es anders aussieht. Der Wind pfiff, es war Nato-Übung, es war laut. Dutzende Male haben sie die Szene vom Verlieben gedreht. Aber schön war’s. Weil sich das Licht ständig verändert hat über dem Meer. Weil es das Ende eines beinahe drei Jahre währenden Prozesses war.

Trailer zu "Die Herrlichkeit des Lebens"

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Jetzt ist auch das wieder ein Jahr her. Henriette Confurius und Sabin Tambrea sitzen in der Filmagentur. Draußen scheint die Sonne über Berlin, es ist kalt. Corona, sagt Tambrea, hatte wenigstens einen Vorteil. Durch die Verschiebung des Drehs konnten sie sich mit Georg Maas und Judith Kaufmann, die Regie führten in der Verfilmung des Bestsellers von Michael Kumpfmüller, intensiver vorbereiten. Details ausfeilen.

Zeit haben, Türen in die Figuren zu finden. Für Henriette Confurius war es der Tanz. Sie lernte fast eine neue Sprache, mit dem Körper Gefühle auszudrücken, die man mit Worten, Gesten, mit Mimik nicht darzustellen in der Lage ist: „Da hat sich so viel freigesetzt, und ich konnte plötzlich die Gefühle so anders und so stark greifen, so stark spüren und ausdrücken – das war für mich ein großes Geschenk.“

Pathologischer Vorbereiter

Tambrea, dessen Lesebiografie bis zur „Herrlichkeit“ eine kafkafreie Zone ungefähr im selben Maß wie die von Confurius, warf sich auf alles, was er finden konnte. Er ist ein manchmal geradezu pathologischer Vorbereiter, er braucht das als Netz, das er beim Dreh völlig vergisst, frei wird. Er las, er studierte Kalligrafie, versuchte sich im Schreiben mit der linken Hand („das zu lernen, dafür fehlte aber am Ende doch die Zeit“).

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Und er schrieb sich wieder einen Soundtrack. Das macht er immer. Tambrea ist ein ziemlich begabter Geiger. Und vor größeren Rollen sitzt er zu Hause und versucht, „was ich nicht auf den ersten Blick begreife, in Musik zu übersetzen. Und dann entsteht etwas, durch das ich beim Hören in die Figur schlüpfen kann.“ Im Fall von Kafka war das nicht konsonant, sagt er, „nicht von jener tiefen Schwere, die man vielleicht erwarten würde bei Kafka, in der Wirkung eher harmonisch. Unerwartet flirrend.“

Er hat auch Dora ein Thema geschrieben. Bei „Narziss und Goldmund“, in dem Henriette Confurius und er mitspielten, ohne einen Drehtag gemeinsam gehabt zu haben, schafften es seine Kompositionen sogar bis in den Soundtrack des Films.

Tambreas Kafka kommt jener Gestalt ziemlich nahe, die einem in Erzählungen von Zeitzeugen wie der Pianistin Alicia Herz-Sommer begegnet, die mit Kafka auf dem Spielplatz war und schwärmte von dem schönen Mann, der den Kindern immer Geschichten erzählte (nicht unbedingt die von der Katze und der Maus) und beim Erzählen selbst zum Kind wurde.

Tambrea hat sich – so ist er halt – ein sehr bewusstes, ausgetüfteltes Kafka-System zurechtgelegt. Seine Stimme wird höher, wenn Kafka mit seinem Vater telefoniert. Kafka, sagt Tambrea, der jetzt ziemlich exakt so alt ist, wie Kafka an der Ostsee, habe zwar mit dem Brief an seinen Vater, der ausgiebig zitiert wird in „Die Herrlichkeit des Lebens“, eigentlich eine Art Selbstanalyse absolviert. „Trotzdem ist ganz viel in ihm blockiert und unverarbeitet. Das hat aber Auswirkung auf den Körper und auf die Stimme. Den Angstzustand, in dem er sich gegenüber seinem Vater befindet, wollte ich auch Klang werden lassen.“

Was sich in Kafka beim Schreiben abspielte, stellte er sich vor wie tektonische Platten von Gedanken, die von inneren Erdbeben erschüttert werden. Sichtbar werden lassen, wollte er das aber so wenig wie möglich, wenn er als Kafka da sitzt und – was in Schriftstellerbiopics ja gern wahnsinnig langweilig aussieht – schreibt. Tambrea wollte möglichst wenig sichtbar machen im inneren Prozess der Literaturentstehung, Irritationen auslösen im Betrachter und dadurch Neugier wecken dafür, was in Kafka gerade vorgeht.

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Die Schwerelosigkeit, die den (bei allem Elend des allmählichen Dahinsterbens und Sprachloswerdens Kafkas, das nicht verschwiegen wird), wahrscheinlich entspanntesten, strahlendsten aller Kafka-Filme ausmacht, verdankt sich wohl genau dieser Präzision, dieses Respekts vor dem, was da verhandelt wird. Einmal zum Beispiel sollte Henriette Confurius – Dora Diamant war als Erzieherin eines jüdischen Volksheims an der Ostsee – das Schabbat-Ritual abhalten. Sie hat zwar jüdische Wurzeln (die Großmutter mütterlicherseits hatte einen jüdischen Vater), wollte aber vielleicht gerade deswegen keine Fehler machen, besprach sich mit jüdischen Gläubigen, ließ sich beraten, wie dieses Ritual damals ausgeführt wurde, ob eine Frau das überhaupt durfte, wenn ein Mann in der Nähe war.

„Die Herrlichkeit des Lebens“ ist die Geschichte von zweien, die einander erkennen, eine Sprache für einander finden, sich auf Augenhöhe treffen. Der große Schriftsteller, den nicht nur in seiner Größe kaum einer (außer Max Brod) kannte und den alle vergessen hätten, wäre sein Nachlass, so wie er es wollte und Dora beinahe praktiziert hätte, verbrannt worden, entdeckt in der 13 Jahre jüngeren Dora Diamant ein Vorbild.

Drang nach Freiheit

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„Die hatte“, sagt Henriette Confurius, „einen ganz großen Drang nach Freiheit. Ist, weil sie ihre Mutter früh verloren hat, in die Rolle der Ersatzmutter ihrer Geschwister geraten, eingezäunt worden vom Leben, und als sie ihn dann durchbrochen hatte, den Zaun, war, alles zu tun, weiter frei sein zu dürfen, das einzig Logische.“

Diese Freiheit feiert diese große Elegie von Film. Eine Freiheit, die selbst der Tod nicht einzäunen kann, von dem die Geschichte von Beginn an umgeben ist. „Jeder schöne Moment in dieser an schönen Momenten reichen Geschichte“, so Tambrea, „bringt Melancholie mit sich, weil der Moment eben nicht bleiben, nicht dauern darf. Aber das intensiviert ja gerade das Gefühl der Schönheit.“ Es fordert einen heraus, den Tag zu nutzen, schärft das Bewusstsein dafür, „die Liebe, die man gerade fühlt, wahrhaftiger wahrzunehmen“.

Henriette Confurius als Dora Diamant in „Die Herrlichkeit des Lebens“
Henriette Confurius als Dora Diamant in „Die Herrlichkeit des Lebens“
Quelle: Christian Schulz

Was ziemlich genau dem entspricht, was Kafka, also der unbekannte Kafka, der sonnendurchflutete von der Ostsee, in seine Tagebücher schrieb und das Michael Kumpfmüller seinen Titel lieferte: „Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie beim richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie.“

So geht man aus dem Kino, hat geweint und ist getröstet. Das passiert einem ja eher nicht, wenn man aus dem „Schloss“ kommt. Wem das zu luftig, zu sonnig, vielleicht gar zu kitschig ist, hat noch zwei Chancen seinen alten Kafka zu finden, also den Finstermann der Seele. Ende März läuft David Schalkos „Kafka“-Serie an (mit Joel Basman als Kafka) und irgendwann im Lauf dieses kafkaesken Jubeljahres dann Agnieszka Hollands „Franz“ (mit Idan Weiss als Dichter).

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