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Die Boxerin – Kritik

Ein Mädchen kämpft sich aus der brandenburgischen Provinz. Der dffb-Abschlussfilm Die Boxerin von Catharina Deus erzählt eine klassische Underdog-Geschichte ohne Pathos, dafür mit viel Nachwende-Tristesse und einer orientierungslosen Hauptfigur.

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Die 19-jährige Johanna, genannt Joe, hat die Schule abgebrochen, sie wirft einen Job nach dem anderen hin, die Dorfjugend zeigt ihr die kalte Schulter, und zu Hause trinkt die arbeitslose Mutter. Joe (Katharina Wackernagel) braust auf ihrem Mofa durch das Eberswalder Elendspanorama, ihr Frust entlädt sich in regelmäßigen Wutanfällen. Das einzige auf der Welt, was sie machen kann, ohne dass ihr gleich „das Kotzen kommt“, ist Boxen. So überredet das Mädchen den örtlichen Boxclub-Besitzer, es trotz Widerstand der männlichen Sportler zu trainieren. Am Ende muss Joe ihren ersten Kampf in Berlin bestehen.

From zero to hero in ostdeutscher Variante? Was klingt wie eine traditionelle Aufsteigergeschichte, ist vor allem das Porträt eines ebenso zornigen wie verwirrten Mädchens, das Katharina Wackernagel in ihrer ersten Kino-Hauptrolle mit ständig angespanntem Gesicht und jugendlicher Unbeholfenheit spielt. Dass die Figur dabei manchmal wirkt, wie aus Versehen in einen Boxplot geraten, hat mit der mangelnden Zielrichtung zu tun, die das Drehbuch für sie vorgesehen hat. Joe verliert ihr Selbstvertrauen wieder und ihren Traum aus den Augen, sie zerstreitet sich mit ihrer Mutter und mit Stella, ihrer einzigen Freundin (Fanny Staffa). Die erste Liebesgeschichte ihres Lebens mit dem Automechaniker und Discobetreiber Mario (Devid Striesow) bricht sie nach einem kurzen Exkurs ins Hausfrauendasein wütend ab.

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Doch Drehbuchautorin Martina Klein, die die Regisseurin Catharina Deus seit ihrem ersten Studienjahr an der Film- und Fernsehakademie kennt, treibt keinen der Konflikte bis auf die Spitze. Die Figuren vertragen sich meist einige Szenen später. Sogar die Jungs aus dem Boxstudio, die Joe in der Dusche überfallen und ihretwegen den Verein verlassen wollten, gebärden sich plötzlich wieder friedlich. Joe muss sich nicht mit dem tieferen Grund ihrer Aggression auseinandersetzen und noch nicht einmal das Rauchen für ihren Sport aufgeben. Ihr Trainer meldet sie schließlich von sich aus bei den Berliner Amateurmeisterschaften an.

Dort erst wird Joe zur titelgebenden „Boxerin“. Nachdem sie eine lange Reihe von Schlägen ins Gesicht eingesteckt hat, besinnt sie sich auf ihren eigenen Trainings-Rhythmus. Zeitlupe setzt ein, ein Frauenchor singt, Sieg nach Punkten. Das abschließende Standbild zeigt keine triumphierende Heldin – eher eine überraschte. Als Die Boxerin endet, steht Joe noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung.

Der Film entstand parallel zu Clint Eastwoods Oscar prämiertem Million Dollar Baby (2004). Die niedrig budgetierte deutsche Hochschul-Produktion mit dem Werk des Hollywood-Veteranen zu vergleichen, ist trotz der gänzlich unterschiedlichen Herstellungsbedingungen interessant in Hinblick auf die verschiedenen Erzählweisen des gleichen Stoffes. Eastwoods Heldin Maggie zeichnet sich vor allem durch ihren starken Willen und ihre unbändige Energie aus. Wie im amerikanischen Traum wird sie sich aus ihrer „white trash“-Herkunft unter Schmerzen nach oben boxen. Die gleiche Wucht, die schon Rocky (1976) in den Ring trieb, steckt auch in Maggies Genreschwester Diana aus Karyn Kusamas Girlfight (2000) – einer weiteren beeindruckenden Variante des Motivs der boxenden Außenseiterin aus der Unterschicht.

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Joe aus Eberswalde fehlt die ganz große Leidenschaft. Nicht umsonst ist sie eine Figur in einer Umgebung, die man gern als „deutsche Wirklichkeit“ bezeichnet – eine Art vom Publikum als authentisch empfundene Tristesse aus Arbeitslosigkeit, Alkoholkonsum und karger, flacher Landschaft, vornehmlich erzählt in TV-Ästhetik und nicht auf der Suche nach großen Kinopanoramen. Das Stimmungsbild einer ostdeutschen Provinz ohne greifbare Zukunft legt sich über den klassischen Plot vom Aufstieg einer Einzelnen aus dem sozialen Abseits. Zu niemandem in diesem Film passt das Pathos vom großen Sieg, das in den amerikanischen Varianten des Stoffes nicht fehlen darf – auch nicht zu Joe.

Die Boxerin lässt viel Raum für die wunderbaren Nebenakteure wie Winfried Glatzeder als Stellas alkoholkranker Vater oder Manon Straché als Joes Mutter, die mit verzweifeltem Durchhaltewillen Schneebesen und kleine Nippes-Puppen in ihrem Wohnzimmer zu verkaufen versucht. Alle lavieren sich irgendwie durch ihre verkrachten Existenzen, boxen sich müde durch. Sicherlich auch aufgrund der gefühlten Wirklichkeitsnähe und der Gesamtleistung der Darsteller wurde Die Boxerin beim Filmfest Oldenburg mit dem German Independence Award für den besten deutschen Film ausgezeichnet.

Trailer zu „Die Boxerin“


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