„Die Blumen von gestern“: Filmstart, Trailer, Kritik - WELT
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Film „Blumen von gestern“

Ein Holocaustforscher ist ernst. Zwei sind komisch

Filmredakteur
„Die Blumen von gestern“

Der Historiker und Holocaust-Forscher Totila Blumen (Lars Eidinger) beschwert sich viel und schreckt auch nicht davor zurück, seinem Chef ein paar Zähne auszuschlagen. Auch die neue Praktikantin nervt ihn zuerst, bis sie sich näherkommen.

Quelle: Piffl Medien GmbH

Autoplay
Unsere Aufarbeitung des Völkermords erstarrt zunehmend in Ritualen. Chris Kraus‘ Kinokomödie „Die Blumen von gestern“ mit Lars Eidinger als Holocaustforscher nimmt den deutschen Gedenkkult aufs Korn.

Der letzte deutsche Filmregisseur, der Witze über den Holocaust riss, hieß Ernst Lubitsch. In „Sein oder Nichtsein“ unterhalten sich zwei seiner Figuren:

Professor Siletsky: „Lieber Oberst, darf ich sagen, dass es gut tut, einmal wieder Gestapo-Luft zu atmen? Wissen Sie eigentlich, dass Sie in London fast berühmt sind? Man nennt sie dort den Konzentrationslager-Ehrhardt!“

Oberst Ehrhardt: „Ha, ha! Soso ... wir besorgen das Konzentrieren, und die Polen machen das Lagern!“

Man nennt ihn Konzentrationslager-Ehrhardt

To be or not to be“ wurde 1941 in Hollywood gedreht, und hätte Lubitsch gewusst, was sich zeitgleich in KZs wirklich abspielte, wäre der Film wohl nie entstanden. Es dauerte nach Kriegsende 15 Jahre, bevor „Sein oder Nichtsein“ deutsche Kinos erreichte, und den wenigen, die ihn sehen gingen, blieb das Lachen im Halse stecken.

Über den Holocaust lacht man nicht, auch heutzutage. Vielleicht aber über die deutsche Art seiner Bewältigung. Das sind zwei höchst verschiedene Dinge. Dem Völkermord eine komische Seite abzugewinnen, hat schon vor 20 Jahren Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ gewagt. Unsere einbetonierten Gedenkriten durch Gelächter zu untergraben, das war dem deutschen Fördersystem bisher suspekt. Bis jetzt.

Die Hauptfiguren in Chris Kraus’ neuem Kinofilm sind Holocaust-Forscher. Er arbeitet in der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Sie kommt aus Paris, um ein großes Auschwitz-Symposium mit vorzubereiten. Er heißt Totila. Sie Zazie. Beides ist Programm. Totila ist so altertümlich, dass es fast schon wieder lustig klingt, und kaum einer weiß noch, dass der Ostgoten-König Totila einst ein deutscher Heldenmythos war. Zazie, das wird für immer Raymond Queneaus Provinzgöre sein, die Paris aufmischt und begeistert flucht.

Zazie, das ist die, die dauernd flucht

Autoren knobeln lange an ihnen Filmnamen. Die Zazie in „Die Blumen von gestern“ bricht in die feierlich-deutsche Holocaust-Forschung ein wie Queneaus Zazie ins bürgerlich-gemütliche Paris. Ein Wirbelwind. Sie sagt, sie tut Dinge, die man in diesen Kreisen nicht tut, nicht sagt. Sie weigert sich, am Flughafen in Totilas Dienst-Mercedes zu steigen. Sie wirft ein Hündchen aus dem Fenster eines fahrenden Autos. Sie schläft mit seinem Chef.

Die Blumen von Gestern Lars Edinger Jan Josef Liefers Dreharbeiten zu dem Film "Die Blumen von Gestern"
DT13, Wien

Darsteller: Lars Eidinger, Adéle Haenel
Produzent: Danny Krausz
Produzentin: Kathrin Lemme
Produzent/Regisseur: Chris Kraus
Produzent: Gerd Huber
Herstellungsleitung: Philip Evenkamp
Kamera: Sonja Rom
Szenenbild: Silke Buhr
Produktionsleitung: Peter Hermann 
Die Blumen von Gestern
Mal kurz den Chef zerlegen: Lars Edinger und Jan Josef Liefers 


Quelle: Dor Film/P.Wally

Sie kapriziös, respektlos, impulsiv. Alles, was Totila sich verbietet. Totila, der Depressive, der Bierenste, der Übellaunige. Totila, der sich sogar weigert, in der Zentralstelle Häppchen zu verzehren, das sei dem Ort unangemessen: „Ich bin Holocaustforscher, ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein.“

„Die Blumen von gestern“ unterscheidet feinsäuberlich: Es gibt kein Lachen über den Holocaust, aber ein Sich-Lustig-Machen über die deutsche Bewältigungshuberei, ihre feierlichen Tabus und ihre routinierte Bedeutsamkeit. Wäre Kraus ein moderner Lubitsch, hätte er es dabei belassen, aber Kraus hat in nahezu all seinen Filmen („Scherbentanz“, „Poll“) auch seine Familiengeschichte aufgearbeitet. Die heißt in diesem Fall: Kraus’ Großvater war Offizier der SS-Einsatzgruppe A, die massiv an der Judenvernichtung mitwirkte.

Was hast du im Krieg gemacht, Großvater?

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Infolgedessen sind „Die Blumen“ unweigerlich auch ein Film über das Enkelsyndrom, über die Begnadeten der späten Geburt, die sich irgendwann fragen, was ihr Großvater während des Krieges getan hat; jener Opa, den man selbst als liebevoll empfunden und nie über seine Vergangenheit befragt hat.

Natürlich lauert dahinter das Hadern eines Nachgeborenen mit diesem Schatten, der sich nicht lüften will. Natürlich war auch Totilas Großvater SS-Offizier und mehr noch: Es stellt sich heraus, dass Zazies Großmutter von den Nazis umgebracht wurde. In einer mobilen Mercedes-Gaskammer, wie die Enkelin vermutet.

Es treffen also ein Täter-Enkel und eine Opfer-Enkelin aufeinander, und Zazies Exzentrizität ist – teilweise – ein Keil, um Totilas politisch-historisch korrekten Panzer aufzubrechen und zu seinen wahren Gefühlen vorzudringen. Aber „Die Blumen von gestern“ ist ein Chris-Kraus-Film, und dessen korrektmöglichste Bezeichnung wäre wohl: „eine Täter- und Opfer-Screwball-Komödie“.

Eine Täter-Opfer-Komödie

Screwball comedies waren die vielleicht schönste Erfindung des klassischen Hollywood. Sie besaßen ein unglaubliches Tempo, lebten von intelligenten Dialogen und hatten stets etwas mit dem Krieg der Geschlechter und Klassen zu tun; Lubitsch drehte welche(„Ninotschka“), Hawks war ein Meister („Leoparden küsst man nicht“), und bis in die Neunzigerjahre hat man sich daran probiert („French Kiss“).

Chris Kraus besitzt die Sonderlinge und das Tempo, und bei allem Betroffenheitshintergrund wagt er Gags, die man noch in keinem deutschen Film über die 1000 schändlichen Jahre gesehen hat. Er hat Lars Eidinger, der durch seine Totalverausgabung in jedem Bühnenauftritt berühmt wurde, durch sein Schreien und Toben an der Berliner Schaubühne. Eidinger, der sonst im Kino zurück genommen agiert, wütet als Totila und poltert und ist großartig.

Kraus hat aber auch Adèle Haenel, die in Frankreich bereits jeder kennt, und ihre Zazie erweist sich diesem Berserker in jeder Sekunde ebenbürtig, und das ist umso großartiger, weil sie es auf Deutsch tut, wovon sie vor Drehbeginn noch keine Ahnung hatte.

In Frankreich kennt jeder Adèle Haenel

Screwballs leben auch von ihrem im Grunde einfachen Schema; außer den beiden Hauptfiguren sind alle anderen Staffage, sozusagen Witzableiter. Es ist das Problem der „Blumen von gestern“, dass es so viele Nebenfiguren gibt, die ihr Existenzrecht reklamieren, aber nur halb zum Zuge kommen: Totilas unbefriedigte Gattin (Hannah Herzsprung im Fat Suit), der verehrte Holocaust-Überlebende (Rolf Hoppe), Totilas Adoptivtochter (Sie ist schwarz!). Ja, in ihnen multipliziert sich die versuchte Kompensation, aber sie destabilisieren die Balance der Komödie, und der Film bricht unter Schuldgefühlen fast zusammen. Fast, nicht ganz.

Die Blumen von Gestern Jan Josef Liefers Lars Eidinger Dreharbeiten zu dem Film "Die Blumen von Gestern"
DT13, Wien

Darsteller: Lars Eidinger, Adéle Haenel
Produzent: Danny Krausz
Produzentin: Kathrin Lemme
Produzent/Regisseur: Chris Kraus
Produzent: Gerd Huber
Herstellungsleitung: Philip Evenkamp
Kamera: Sonja Rom
Szenenbild: Silke Buhr
Produktionsleitung: Peter Hermann 
Die Blumen von Gestern
Nun ist der Chef zerlegt: Jan Josef Liefers und Lars Eidinger
Quelle: Dor Film/P.Wally
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Deutschland hat sich lange bequem in der Büßerrolle eingerichtet, man könnte auch sagen: in seinem Holocaust-Kult. Die Unfähigkeit, um die Toten vom Breitscheidplatz richtig zu trauern, hat auch damit zu tun, dass man sich in der Opferrolle gar nicht mehr vorstellen konnte.

Vor kurzem kam Sergei Loznitsas „Austerlitz“-Dokumentation ins Kino, worin eine unsichtbare Kamera Besucher von KZ-Gedenkstätten beobachtet, wie sie Eis lecken, für Selfies posieren und sich generell nicht so würdig benehmen, wie das die Würde der Orte verlangt, vielleicht.

Deutsche waren Täter. Können Sie auch Opfer ein?

Loznitsa beobachtet still, wie die Praxis das Desiderat unterläuft; Kraus tut dasselbe, nur mit grellem Witz und höllischem Tempo. Bei beiden stellt sich die Frage nach dem „richtigen“ Umgang mit dem Gedenken, und beide geben letztlich keine Antwort darauf. Kraus hätte seine und Totilas und Zazies Generation freisprechen oder wenigstens mit ihrem Leben versöhnen können, aber das obligatorische Screwball-Happyend wagt er nicht. Die Enkel dürfen zusammen nicht kommen. Noch nicht.

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