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Kolumne von Anahita Thoms: Deutschland, wie wir es kennen, wird es nicht mehr geben
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Anahita Thoms: Es nützt nichts, einer Welt von gestern nachzutrauern. Wir müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen.
Thoms/Imago Anahita Thoms: "Es nützt nichts, einer Welt von gestern nachzutrauern. Wir müssen jetzt die richtigen Entscheidungen treffen".
  • FOCUS-online-Kolumnistin

Die schleichende Deindustrialisierung in Deutschland kann niemand mehr leugnen. Uns muss klar sein: Wir werden nicht mehr das Land sein, das unter Einsatz billiger fossiler Brennstoffe die Welt mit Massenprodukten seiner Stahl-, Auto- oder Chemieindustrie versorgt.

Deutschlands Wirtschaft schwächelt. Nach der Kontraktion des vergangenen Jahres verspricht 2024 nur geringfügige Besserung. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft prognostiziert ein Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent. Besonders betroffen ist die deutsche Industrie.

Mittlerweile kann niemand mehr die schleichende Deindustrialisierung ernsthaft leugnen. Im Januar 2024 lag die Produktionsleistung der deutschen Industrie 5,5 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Schwergewichte der deutschen Industrie bauen Arbeitsplätze ab.

Handelt es sich um einen vorübergehenden Abschwung? Oder offenbaren sich hier strukturelle Schwächen unseres Landes? Und wie können wir diese besorgniserregende Entwicklung aufhalten?

Wer erst einmal gegangen ist, kommt oft nicht mehr zurück

Ein konjunktureller Rückgang der Industrieproduktion ist in hochentwickelten Volkswirtschaften nicht ungewöhnlich. Aber Deutschland steht derzeit besonders schlecht da. Die Wachstumszahlen liegen weit unter dem OECD-Durchschnitt, die Industrieproduktion bricht regelrecht ein.

Bevorzugtes Investitionsziel vieler deutscher Unternehmen ist derzeit das Ausland, insbesondere die USA. Dort investierten sie im vergangenen Jahr 15,7 Milliarden Dollar , fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Die USA haben sich durch eine Mischung aus pragmatischer Industriepolitik und den gewaltigen Subventionen des Inflation Reduction Acts für deutsche Firmen attraktiv gemacht.

Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer wollen deutsche Unternehmen ihre Investitionen im Ausland weiter erhöhen, in Deutschland hingegen reduzieren. Insbesondere energieintensive Industrien suchen im Ausland nach billigeren Strompreisen. Hier findet eine echte Standortverlagerung zu unseren Ungunsten statt. Und wer erst einmal gegangen ist, kommt meist nicht mehr zurück.

Deutschland fehlt es an starken Tech-Innovationen

Gleichzeitig fielen die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland 2023 um 18 Prozent. Ausländische Investoren bemängeln vor allem die überbordende Bürokratie und die mangelhafte Digitalisierung in Deutschland.

Unter diesem Eindruck leidet die Stimmung in der deutschen Industrie. Deutsche Unternehmen stellen den Rahmenbedingungen des Industriestandortes Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus, insbesondere wegen bürokratischer Auflagen, hoher Energiekosten sowie langwieriger Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Dazu gesellt sich ein Innovationsproblem. Uns fehlt es an starken Tech-Innovationen. Die Zahl der Patentanmeldungen im KI-Bereich in den USA oder China übersteigt die in Deutschland um mehr als das Zehnfache. Diese gehen zumeist von jungen Unternehmen wie OpenAI aus, welches noch keine 10 Jahre alt ist.

Doch die Gründung von Unternehmen ist in Deutschland besonders schwer, Entrepreneure müssen sich durch einen Dschungel der Bürokratie kämpfen. Und wenn sie dann erfolgreich sind, wandern sie früher oder später in die USA ab, weil dort die Kapitalmärkte tiefer sind und die Risikofreude der Investoren größer ist.

Ãœber Anahita Thoms

Anahita Thoms (42) ist Top-Juristin und Partnerin bei der Großkanzlei Baker McKenzie. Sie leitet die deutsche Außenwirtschaftspraxis der Kanzlei und ist an der Schnittstelle zwischen Öffentlichem Recht, Corporate Governance und Compliance tätig. Thoms ist darüber hinaus Vorständin bei der Atlantikbrücke und Young Global Leader des Weltwirtschaftsforums.

In Ihrer Kolumne schreibt Thoms über Wege, wie wir Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit in Einklang bringen.

Gleichzeitig ist in Deutschland die Ablehnung neuer Technologien in der Bevölkerung besonders groß, dies ergab jüngst das Edelman Trust Barometer . Das gilt insbesondere für KI. Damit schaden wir uns selbst, denn Investitionen in KI haben in verschiedenen Branchen bereits beträchtliche Umsatzsteigerungen und Produktivitätseffekte gezeigt – Tendenz stark steigend.

Wir sollten auch positive Entwicklungen erkennen

Trotz aller Sorgen gibt es aber auch Positives. Deutschland verfügt immer noch über fundamentale Stärken, und manches stellt sich auf den zweiten Blick differenzierter dar.

Die hohen Energiepreise waren auch Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Wie schnell sich Deutschland aus seiner Abhängigkeit von billigem russischem Öl und Gas befreien konnte, war eine erhebliche Leistung.

Gleichzeitig schreitet der Ausbau der Erneuerbaren Energien stetig voran . Nie war ihr Anteil an der deutschen Stromerzeugung höher als 2023. Das liegt auch daran, dass die Genehmigungsverfahren für die Installation neuer Anlagen vereinfacht wurden. Gerade der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird darüber entscheiden, ob Deutschland als Industrienation die grüne Transformation gelingen kann.

Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Politik erkennt endlich das Problem des Fachkräftemangels und die Bedeutung der Vereinfachung der Einwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte an.

Auch ist das Ausmaß der Deindustrialisierung nicht ganz so eindeutig, wie es der Produktionsindex und Stimmen aus der Wirtschaft erscheinen lassen. Denn während der Produktionsindex nach Zahlen des Statistischen Bundesamts seit 2015 um 8 Prozent gefallen, ist die Bruttowertschöpfung im gleichen Zeitraum um immerhin 7 Prozent gestiegen. Diese Divergenz ist ungewöhnlich. Zumindest ein Grund könnte sein, dass in Deutschland zwar insgesamt weniger Produkte gefertigt werden, diese aber margenstärker sind.

Energieintensive Industrien werden schwer zu retten sein – Subventionen hin oder her

Hier liegt wahrscheinlich eine Antwort auf die Frage, wie wir uns für die Zukunft aufstellen müssen:

Wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir auf die Herausforderungen der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 21. Jahrhunderts mit den Rezepten der Vergangenheit reagieren. Wir werden nicht mehr das Land sein, das unter Einsatz billiger fossiler Brennstoffe die Welt mit Massenprodukten seiner Stahl-, Auto- oder Chemieindustrie versorgt.

Manche Unternehmen haben sich bereits neu erfunden, weitere werden folgen müssen. Und einige, etwa besonders energieintensive Industrien, werden schwer zu retten sein – Subventionen hin oder her. 

Stattdessen müssen wir uns auf unsere grundlegenden Stärken besinnen. Diese liegen in einem attraktiven, freiheitlichen Gesellschaftsmodell, das Schaffenskraft und die Übernahme von Verantwortung durch jede und jeden Einzelnen belohnt. In einem verlässlichen Rechtsstaat mit starken demokratischen Institutionen. In einer gut ausgebildeten Bevölkerung bei gleichzeitig – im globalen Vergleich – geringerer sozialer Ungleichheit und in einem immer noch sehr starken deutschen Mittelstand.

Es nützt nichts, einer Welt von gestern nachzutrauern

Auf dieser Grundlage können wir die Weichen neu stellen. Die Digitalisierung muss endlich schneller vorangetrieben, Bürokratie und Genehmigungsprozesse an den richtigen Stellen vereinfacht werden. Wir brauchen mehr gezielte Investition in digitale Bildung für Menschen aller Altersgruppen. Nur so können wir wieder zu einer Gesellschaft der Lernenden werden, die neue Technologien nicht fürchtet, sondern aktiv nutzt und gestaltet.

Wir mögen nicht zur Weltspitze bei KI-Innovationen gehören. Aber wir haben alle Voraussetzungen, um bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz in industriellen Prozessen und vielen anderen Bereichen unserer Wirtschaft und Verwaltung ganz vorne mit dabei zu sein.

Es nützt nichts, einer Welt von gestern nachzutrauern. Aber wenn wir jetzt schnell die richtigen Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen, können wir die Grundlagen nachhaltigen Wirtschaftens legen, das unseren gesellschaftlichen Wohlstand auch zukünftig sichert.

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