Der Vorleser

Autoren
Verlag
Diogenes Verlag
Anspruch
5 von 5
Lesespaß
4 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
5 von 5

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Zusammenfassung zu “Der Vorleser”

Der dreiteilige Roman erschien 1995, wurde in fast 40 Sprachen übersetzt und avancierte zum Bestseller. Das Buch beginnt harmlos. Der 15-jährige Michael Berg muss sich in der Öffentlichkeit aufgrund einer Gelbsucht-Erkrankung übergeben. Hanna Schmitz, 36 Jahre, kommt ihm zur Hilfe. Tage später möchte er sich bei ihr bedanken. In ihrer Wohnung beobachtet der Junge zufällig, wie sich Hanna umzieht. Erotische Gefühle entstehen. Zwischen dem Schüler und der Schaffnerin entwickelt sich eine Liebesbeziehung, deren wichtigster Bestandteil das Vorlesen ist. Michael liest Hanna viele Klassiker vor, Tolstoi, Kant, Schiller und Lessing. Als er im neuen Schuljahr mehr Zeit mit seinen Mitschülern verbringt, entfernt sich Hanna von ihm. Eines Tages ist sie verschwunden. Im zweiten Teil studiert Michael Jura. Er wohnt einem Prozess für Kriegsverbrecher bei. Die erschütternde Einsicht: Eine der Angeklagten ist Hanna. Ihr wird vorgeworfen, im Zweiten Weltkrieg Menschen in einer Kirche verbrannt zu haben. Außerdem soll sie Arbeiterinnen fürs Konzentrationslager ausgesucht und einen Bericht gefälscht haben. Eine Schriftprobe lehnt Hanna ab. Stattdessen bekennt sie sich als Anführerin der Taten. Während des Prozesses erkennt Michael ihre Lüge. Der Grund: Hanna kann nicht lesen und schreiben. Michael erzählt dem Richter nichts von seinem Wissen. Hanna wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im dritten Teil wird die Zerrissenheit Michaels deutlich. Seine Ehe ist gescheitert. Er schickt besprochene Kassetten zu Hanna ins Gefängnis, mit denen sie sich selbst das Lesen beibringt. Wenige Tage vor ihrer Entlassung besucht er sie erstmals und stellt fest: Sie ist eine alte Frau. Nur Stunden vor ihrer Entlassung erhängt sich Hanna in ihrer Zelle…

Wichtige Charaktere

  • Michael Berg, Schüler und späterer Jurist
  • Hanna Schmitz, Schaffnerin und einstige KZ-Aufseherin

Interpretation

Nur selten gelingt es deutschen Büchern, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen. Dem „Vorleser“ ist das geglückt. Dies mag an dem sensiblen Umgang mit dem Thema liegen. Der Roman verzichtet auf pauschale Schuldzuweisungen. Er verzichtet auch auf einseitige Darstellungen der Charaktere. Hanna Schmitz wird weder als Monster noch als Verbrecherin geschildert. Beim Lesen entsteht das Bild einer einfachen, ungebildeten Frau, die einsam ist und sich in Liebesspielen mit einem Schüler verliert. Es mag vom Autor beabsichtigt sein, dass der Lser sogar geneigt sein kann, Hanna Schmitz ihre Taten zu verzeihen. Der Roman geht sogar soweit, das Handeln von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten generell in Frage zu stellen. Erkennbar wird dies an dem Verhalten und an der Berufswahl von Michael Berg. Er kann nicht aufhören, an seinem Berufsstand zu zweifeln. Er kann nicht aufhören, an seine Jugendliebe Hanna zu denken. Darum geht es auch: Wie ein einziges Erlebnis unser gesamtes Leben nachhaltig beeinflussen kann. Am Romanende möchte Michael Berg das Vermögen der toten Hanna Schmitz der Zeugin aus dem Prozess schenken. Die Zeugin lehnt jedoch ab und gibt es einer jüdischen Einrichtung gegen Analphabetismus. Damit ist eine Versöhnung zwischen den Völkern vorerst gescheitert, aber der Raum für spätere Annäherungen scheint vorhanden zu sein. Was kann ein einziges Buch mehr leisten, als diesen Versuch aufzuzeigen und damit anzubahnen?

Trailer zum Film

Persönliche Bewertung

Psychologisch ausgefeilte Geschichte um die Schuldfrage im Dritten Reich.

5 von 5

Herausragend am Roman ist die einfache, klare Sprache. Die Sätze sind kurz und übersichtlich, trüben manchmal jedoch den Lesespaß. Bernhard Schlink verwendet Hochsprache, die nicht aufgesetzt wirkt. Die schwierige Problematik der Frage nach der Schuld an den Greueltaten im Zweiten Weltkrieg versteckt sich an keiner Stelle hinter Fremdwörtern oder verschachtelten Sätzen. Somit kann jeder Leser den Gedanken und Gefühlen des Protagonisten folgen. Durch diese leichte Identifikation stellt sich der Leser früher oder später die Frage: Was hätte ich getan? Hätte ich Hannas Geschichte dem Richter erzählt? Hätte ich sie schon früher im Gefängnis besucht? Der Roman ist geschickt aufgebaut. Er beginnt mit der erotischen Geschichte des erst 15-Jährigen und der älteren Hanna Schmitz. Der Leser ist von diesem Ungleichgewicht gefesselt und liest weiter. Im zweiten Teil folgt dann der Schock: Die ältere Frau war im Dritten Reich eine KZ-Aufseherin. Der Umgang des Ich-Erzählers mit dieser Problematik bestimmt nun das gesamte Buch. Auch hier geht der Autor äußerst behutsam vor. Er enthält sich voreiligen Wertungen und Verurteilungen. Es scheint, als gebe er dem Leser lediglich das Futter in die Hand, damit dieser selbst urteilen möge. Diese Art und Weise macht es möglich, das Thema Schuld von mehreren Seiten zu betrachten, es auszuleuchten und für sich zu entscheiden. Damit wird das Buch unverzichtbar für alle Generationen. Damit wird das Buch zum Klassiker, das unbedingt in jedem Bücherschrank stehen sollte.

Fazit

In einigen Bundesländern ist „Der Vorleser“ Schullektüre. Gut so, denn das Thema um die Frage der Schuld an den Kriegsverbrechen sollte auch bei jungen Menschen immer wieder diskutiert werden. Die einfache, klare Sprache Bernhard Schlinks unterstützt die Gedankenbildung. Nichts wird verurteilt, nichts wird vorweggenommen. Der Leser soll sich selbst ein Bild machen. Ein kluges, ein wichtiges Buch.

ISBN10
3257229534
ISBN13
9783257229530
Dt. Erstveröffentlichung
1995
Taschenbuchausgabe
208 Seiten