Als rote Nelken im Gewehrlauf der Soldaten steckten
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Als rote Nelken im Gewehrlauf steckten

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Musik und Tanz gibt es jährlich beim Sao Joao, dem Johannisfest, auf dem Marktplatz in Groß-Umstadt.
Musik und Tanz gibt es jährlich beim Sao Joao, dem Johannisfest, auf dem Marktplatz in Groß-Umstadt. © Stadt Groß-Umstadt

In Groß-Umstadt haben die Portugiesen den 50. Jahrestag der Nelkenrevolution mit dem damaligen antifaschistischen Kampflied gefeiert.

Groß-Umstadt - Grândola, Vila Morena. Voller Inbrunst hat Adolfo Costa am Mittwochabend im portugiesischen Club in Groß-Umstadt zusammen mit seinen alten Sportkameraden und Freunden das antifaschistische Kampflied geschmettert, das vor 50 Jahren in seiner Heimat alles verändert hat. Am 25. April 1974 wurde in Portugal eine 48 Jahre dauernde autoritäre Diktatur gestürzt – und das Lied wurde zur Hymne dieser Revolution, bei der die Menschen rote Nelken in die Gewehrläufe der aufständischen jungen Soldaten steckten.

Zwei Tage nach der Revolution in der Heimat gab es auch in Groß-Umstadt rote Nelken

Adolfo Costa war 17 Jahre alt, als das damals verbotene Lied nachts im portugiesischen Radio gespielt wurde – als Zeichen für den Beginn des Aufstands. Die Nelkenrevolution, Portugals Weg in die Freiheit, hat er aber nicht in seiner Geburtsstadt Santo Tirso erlebt, sondern bei seiner Gastfamilie in Groß-Umstadt. Sein Vater war 1964 dorthin ausgewandert, ließ 1967 seine Familie nachkommen.

„Wir haben damals bei einem Bauern gelebt“, erinnert sich Adolfo Costa. „Am Abend des Revolutionstags durften wir dann die Berichterstattung über die überraschenden Ereignisse auf seinem Fernseher anschauen.“ Zwei Tage später überraschten auch in Groß-Umstadt rote Nelken: Frauen überreichten die Blumen vor dem Ligaspiel seines Fußballteams „Clube Operário Português“ gegen eine portugiesische Mannschaft aus dem Odenwald an jeden einzelnen Spieler. Danach habe es noch eine kleine Revolutionsfeier im Clubheim gegeben, erinnert er sich.

Erinnerung im Film

Zum 50-jährigen Jubiläum der portugiesischen Nelkenrevolution hat der TV-Sender Arte mit dem Hessischen Rundfunk in Groß-Umstadt einen Film gedreht.

Der Film heißt „Der erste Portugiese – wie Saudade in den Odenwald kam“ und erklärt, warum Anfang der 70er-Jahre von 12 500 Bewohnern rund 2000 Portugiesen waren.

Der Beitrag ist bis Mitte April 2025 in der Arte-Mediathek zu sehen. ann

Geheimpolizei Pide sperrte in Portugal früher Andersdenkende weg

Wie es vor der Nelkenrevolution in Portugal war, weiß Costa noch aus den Erzählungen seines Vaters – die er allerdings erst zu hören bekam, als die Familie schon in Deutschland lebte. Vor dem 25. April 1974 hatten Frauen in Portugal nichts zu sagen, mussten schweigen. Sie hatten Röcke zu tragen, Hosen waren nicht erlaubt. „Es gab in Portugal die Geheimpolizei Pide, die in der Nacht kam. Am nächsten Tag waren dann Menschen verschwunden“, sagt der 67-Jährige.

Sein Vater wusste von dieser Truppe, die nach dem Vorbild der Gestapo organisiert war und die überwiegend kommunistische Opposition systematisch verfolgte. Er betrieb in Santo Tirso – heute mit Groß-Umstadt verschwistert – einen kleinen Tante-Emma-Laden. „Wenn eine Weinlieferung kam, waren die Pide-Leute aus der Nachbarschaft ein oder zwei Tage später da und haben den Wein umsonst verkostet“, sagt Costa. Mit dieser Bestechung wurde sein Vater in Ruhe gelassen, entkam als Andersdenkender dem Gefängnis.

Bilder der Spitzel entlarvten zwei Arbeitskollegen von Costas in Groß-Umstadt

Nach der Nelkenrevolution wurden in Zeitungen in Portugal Bilder von Menschen veröffentlicht, die für die Geheimpolizei gespitzelt hatten. Ein Schock für Costas: Zwei Kollegen, mit denen er damals in der Firma in Groß-Umstadt zusammenarbeitete, waren mit dabei.

Costas ist einer der Wenigen, die noch viel über die Geschehnisse wissen. Schon 1974 war er Protagonist in einem Film über die Nelkenrevolution. Auch 2004 wurde ein Film mit ihm gedreht – und nun zum 50. Jubiläum erneut. Vor zwei Wochen hatte der Beitrag in Groß-Umstadt mit viel Prominenz Premiere.

Die „roten Teufel“, eine portugiesische Trommlergruppe, dürfen beim Johannisfest in Groß-Umstadt nicht fehlen.
Die „roten Teufel“, eine portugiesische Trommlergruppe, dürfen beim Johannisfest in Groß-Umstadt nicht fehlen. © Stadt Groß-Umstadt

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