Verdr�ngung statt Verantwortung. Bei den realen Mauersch�tzen gab es kein Schuld-Bewusstsein. „Der Mauersch�tze“ erz�hlt, was w�re, wenn die pers�nliche Moral obsiegen w�rde: wenn ein schuldbeladener Held sich dazu bekennen w�rde, dass er einer schwangeren jungen Frau den Ehemann genommen hat. Der Film zeigt, „wie schwer, aber letztlich auch befreiend und bereichernd es sein kann, zu seiner Verantwortung zu stehen“, so Produzent und Autor Hermann Kirchmann. Ein �berzeugend gespieltes TV-Drama, das in den emotionalen Details genau ist & das trotz Liebesgeschichte ein realistisches Ende sucht.
Foto: NDR / Sandra HoeverTreibt den Mauersch�tzen die Sehnsucht nach der Absolution an? F�rmann, Kuhl
Stefan Kortmann war 1988 Mauersch�tze an der innerdeutschen Grenze. Er wollte Medizin studieren. Also ging er das Wagnis ein. Und dann kam sie, die Situation, die er auf jeden Fall vermeiden wollte. Am Ende hie� es: Schie�befehl mit Todesfolge. 17 Jahre sp�ter ist Kortmann ein hoch engagierter Arzt, ein Arbeitstier, einer, der Leben retten will. Die Schuldgef�hle, weil er einen Menschen get�tet und einer schwangeren blutjungen Frau den Ehemann genommen hat, begleiten ihn noch immer. Als ein jugendlicher, todkranker Krebspatient ihm die Frage stellt, was er tun w�rde, wenn er nicht mehr lange zu leben h�tte, bricht die Wunde wieder auf. Der Arzt will endlich reinen Tisch machen, sich zu seiner Schuld bekennen. „Was erwartest du eigentlich von ihr: Vergebung?“, fragt ihn seine Lebensgef�hrtin. Er m�chte beichten, seine Schuld abtragen. Doch was tut er? Er verliebt sich in die Frau, deren Mann er erschossen hat. Und sie verliebt sich in ihn.
Foto: NDR / Sandra HoeverAuf so einen Mann hat die Fischerin gewartet. Noch kennt sie die Wahrheit nicht...
Zwischen 1991 und 2004 wurden 246 Personen, Soldaten wie Funktion�re, in 112 Verfahren, den so genannten Mauersch�tzenprozessen, angeklagt. Die eine H�lfte wurde freigesprochen, die andere zu Freiheits- und Bew�hrungsstrafen verurteilt. Die Todessch�tzen kamen meist mit Bew�hrungsstrafen davon. Der Fernsehfilm „Der Mauersch�tze“ (Trailer) versucht nicht, den Ereignissen an der deutsch-deutschen Grenze faktisch und grunds�tzlich zu folgen oder den sp�teren politischen und juristischen Umgang mit den Mauersch�tzen aufzurollen und zu kommentieren. Produzent und Ko-Autor Hermann Kirchmann fragte sich: „M�sste man die Realit�t nicht besser mit einem Gegenentwurf konfrontieren?“ Also statt die Realit�t aufzuzeigen, was Dokumentationen oft besser k�nnen, den fiktionalen M�glichkeiten des Wirklichen nachzusp�ren. Fakt ist: es gab kein Schuldbewusstsein bei den Mauersch�tzen. Verdr�ngung statt Verantwortung – so die Quintessenz der Prozesse. „Der Mauersch�tze“ erz�hlt, was w�re, wenn die pers�nliche Moral obsiegen w�rde. Der Film zeigt, „wie schwer, aber auch befreiend und bereichernd es sein kann, zu seiner Verantwortung zu stehen“.
Foto: NDR / Sandra Hoever17 Jahre nach den t�dlichen Sch�ssen hat sie die Waffe in der Hand. F�rmann, Kuhl
Fernsehfilme eigenen sich f�r kollektives Erinnern. Doch sie sind in der Regel umso besser, je kleiner und bescheidener sie ihre Geschichte anlegen. Der Film von Jan Ruzicka ist darin vorbildlich. Er zeigt ein Drama in Urform. „Ein schuldbeladener Held n�hert sich einer dem Opfer nahe stehenden Person und versucht, sich von seiner Schuld zu befreien“, so der Regisseur. Und dann bekommt die Geschichte eine Wendung, die nach Melodram aussehen mag, die aber psychologisch nicht unplausibel erscheint. „Treibt ihn die Sehnsucht nach Absolution an? Ger�t er in den Sog dieser Frau, weil er ihrer Anziehung erliegt? Oder weil er s�hnen will?“ Hauptdarsteller Benno F�rmann lie� sich vor den Dreharbeiten von einer Psychoanalytikerin beim Rollenverst�ndnis helfen. Ein kluger Drehbuch-Kniff ist, die junge Generation, einen dem Tod Geweihten, der mit „diesen alten Geschichten“ nicht allzu viel anfangen kann, und die Tochter des Erschossenen in den Film hineinzuholen. So �ffnet sich eine weitere Geschichte um Schuld und Aufrichtigkeit. Jugend begn�gt sich nicht mit L�gen!
Foto: NDR / Sandra HoeverSich so nah – und doch so fern. "Der Mauersch�tze" sucht ein realistisches Ende.
„Der Mauersch�tze“ wirkt ein wenig wie eine Light-Version von F�berb�cks „Jenseits“ und Petzolds „Wolfsburg“. In dem Film �ber den „Geist“ der Autostadt hatte F�rmann einen �hnlichen inneren Konflikt �u�erlich auszutragen. Seine Figur f�hrt ein Kind zu Tode und sucht anschlie�end die N�he der Mutter, er rettet sie und schl�ft mit ihr. Schwermut liegt auf F�rmanns Rolle in „Der Mauersch�tze“. Aber sein Handeln nimmt ihm eine Last von der Seele, so wie auch der von Annika Kuhl nuancenreich gespielten Fischerin das Schuldgef�hl ihrer Tochter gegen�ber genommen wird. So durchschaubar die Konstruktion der Story mit ihren Projektionen und ihren Liebesgeschichten zu Beginn auch sein mag, dieser Film mit seiner klugen R�ckblenden-�konomie und dem hoch suggestiven Sounddesign stimmt, weil er in den emotionalen Details genau ist und weil er ein realistisches und kein Genre-Ende sucht. Da sollte dann auch ein bisschen Melodram erlaubt sein. (Text-Stand: 29.6.2011)
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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