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DRESDEN/ Semperoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN. Absolute Perfektion zwischen süffigem Pomp und unaufdringlicher Transparenz

28.03.2024 | Oper international

 

Dresden – Richard Strauss: Die Frau ohne Schattenfrau

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 Absolute Perfektion zwischen süffigem Pomp und unaufdringlicher Transparenz

Thielemanns umjubelter Abschied von der Dresdener Semperoper

Was Christian Thielemann macht, macht er hervorragend, wie die heute über die Bühne gegangene zweite Vorstellung von Richard Strauss‘ monumentaler Oper „Die Frau ohne Schatten“ einmal mehr zeigt.

Was aus dem Graben zu hören ist, schmeichelt dem Ohr derart, dass man meint, das Werk streckenweise völlig neu zu hören. Thielemann weiß genau, an welchen Stellen er mit eher raschen Tempi voranschreitet, und wann er „seine“ Staatskapelle „in lichtem Äther“ wabern lässt. Vom barbarischen Fortissimo im donnernden Finale des zweiten Aktes bis zu einem kaum hörbaren, aber den ganzen Raum auskleidenden, berauschenden, nie zuvor gehörten Pianissimo aus welchem das ganz ohne Kitsch und schmalzigen Glissandi elegant gespielte Violinsolo emporsteigt, als würde die Melodie ganz aus dem Moment heraus komponiert werden.

Im Zentrum von David Böschs Inszenierung steht ein großer Lastenaufzug, der ohne Führungsschiene anscheinend überall hinfahren und halten kann im märchenhaften FroSch-Universum. Die verschiedenen Räume reichen vom lichten, von Vorhängen umsäumten Schlafzimmer der Kaiserin, über den unterirdischen Barakschen kombinierten Wohn-und-Arbeitsbereich bis hin zu einem völlig leeren, nur mit eisernen Kinderwagengestellen bestückten, wandlosen Prüfungsraum. Als zweites Element kommt ein riesiger Falke hinzu, der bedrohlich über der Szene auf und nieder schwebt und dann auch den versteinerten Kaiser in seinen Klauen hält.

Insgesamt wird recht konventionell inszeniert, das Geschehen durch Filme an der jeweiligen Rückwand kommentiert. So kann auch die Innensicht der jeweils hauptsächlich handelnden Figur gezeigt und auch gerade gezeigtes verstärkt werden. Zumeist gelingt dies treffend und unaufdringlich und auch die Szene fügt sich harmonisch ins Gesamtkunstwerkt

Es gibt aber mehrere Szenen, welche unfreiwillig komisch geraten. Wenn der Kaiserin der Jüngling schmackhaft gemacht wird erscheinen gleich eine ganze Riege sehr jung aussehende Männer mit Push-Up-Unterwäsche angezogen. Die Blicke des Publikums werden von der sich enorm wölbenden Männlichkeit magisch angezogen. Per Film werden noch mehr prall bestückte Unterwäsche-Models eingespielt. Die Frage, ob das nun alles ausgestopft ist oder nicht drängt sich auf und wird, unter Gelächter im Publikum diskutiert – zumindest scheint dies aufgrund des Lärmpegels im Zuschauerraum so. Auch beim großen „Einkauf“ der vier Brüder werden überdimensionierte Lebensmittel vor allem aus der Fisch- und Fleischtheke an Haken aufgehängt – auch hier große Unruhe.

Abgesehen von diesen, für Lärm im Publikum sorgenden Slapstick ist die Inszenierung aber sehr geschmackvoll, bildgewaltig und schlüssig. Höhepunkte sind die von der Amme inszenierte Aufzugsparty mit den „Jungs“ (an die man sich jetzt schon gewöhnt hat)  vor dem Finale II, auf welcher die Kaiserin nur mit den Oben-ohne-Models tanz, nicht mehr, der bereits erwähnte steinerne Kaiser in der Klaue des Falken und die zum Schluss einsam auf der Bühne verbleibende, unglücklich Amme.

Andreas Bauer-Kanabas als Geisterbote singt mit Autorität, muss sich aber sichtlich, bemühen mit forcierter Stimme über den Graben zu kommen. In der höheren Tessitura löst der auf die Stimmbänder ausgeübte Druck ein immer wieder auftretendes, unangenehmes Wackeln aus, das sich aber ganz zum Schluss seiner letzten Szene verflüchtigt.

Martin Mitterrutzners Jüngling aus dem off gerät leider mit zu geringer Strahlkraft und ohne jegliche Erotik. Trotz der gut anspringenden Höhe bleiben seine Auftritte ohne großen Eindruck, wenngleich die Partie durchaus adäquat gesungen wird.

 

Über weite Strecken singt Miina-Liisa Värrelä eine fulminante Färberin. Auch wenn oft nicht sonderlich textverständlich überzeugt die stimmgewaltige Finnin durch große Bögen und markanten Ausbrüchen. Lediglich in der Höhe wirkt die Stimme immer wieder überanstrengt und die Töne werden eng und schrill. Für eine Hochdramatische Sängerin fehlt ihr die letzte metallene Schärfe in der Stimme. Dennoch ist sie insgesamt für die Partie eine nahezu ideale Besetzung. Auch ihre schauspielerische Anlage der Rolle als reaktionsverzögerte, selbst in ihrer Emotion verlangsamte, frustrierte Frau, ist fantastisch anzusehen.

Der Barak von Oleksandr Pushniak ist ganz markiger Handwerker. Mit ungestümem Aplomb singt er den Barak als nervösen, forschen Mann. Der liebende Ehemann liegt im Stimmlich nicht so sehr.  Sein „Mir anvertraut…“ oder das eigentlich in Wärme verströmendem Pianissimo zu singende „Fürchte dich nicht!“ wirken eher hölzern und geraten deutlich zu markig. Dies steht im Gegensatz zu seinem zu Herzen gehenden Spiel. Wie er seine Frau liebkosend und übers Haar streichelnd beschützt, berührt ungemein.

Evelyn Herlitzius‘ Amme wird zu einer Charakterstudie. Sie zeichnet die Figur vielschichtig und mit Tiefgang. Höhe und Mittellage sind frei jeder Schrillheit, die ihr früher oft nachgesagt wurde. Die tiefen Passagen meistert sie für einen Sopran beachtlich und ohne künstlich abzudunkeln. Auch kommt sie ohne das übersteigerte Spiel einer „komischen Alten“ aus, das einige ihrer Kolleginnen pflegen.  Sie ist sicher derzeit die vielleicht beste Besetzung für die Partie, gerade auch in schauspielerischer Hinsicht.

Aus ihren Versuchen als Isolde und aller vier Brünnhilden im Ring geht die Stimme Camilla Nylunds leicht gestählt hervor, was ihrer Kaiserin ein wenig mehr Dramatik als zuvor verleiht und derzeit unerreichbar macht. Abgesehen von den extrem hohen Koloraturen im ersten Auftritt, gerät ihr die Rolle überwältigend. Betörender Schönklang gepaart mit dramatischer Autorität lassen ihre Interpretation zum Ereignis werden. Die extrem schwer anzusingenden, einzeln liegenden Spitzentöne singt sie atemberaubend, mit einer erschütternden Strahlkraft ohne jegliches Forcieren. Die Stellen der Partie, mit welchen namhafte Sopranistinnen massiv zu kämpfen hatten, meistert sie bravourös. Es gilt zu hoffen, dass um die Schönheit ihrer Stimme zu halten, nur wenige Isolden- und Brünnhildenangebote annimmt und der Versuchung widersteht, Elektra und Ortrud zu singen.

Die Überraschung des Abends war der Kaiser von Eric Cutler. Seine Stimme hat das vormals unangenehm meckernde und gurgelnde Timbre gerade in den tieferen Tönen verloren. Sie klingt wirklich männlich. Sein dunkles teil fast baritonales Timbre passt gut zur Rolle. Ebenfalls hat die Stimme auch an Durchschlag gewonnen, sodass er in der brutal instrumentierten Nachtszene als Sieger im Schlagabtausch mit dem Orchester hervorgeht.

Sehr überzeugend auch seine hervorragende Aussprache, die einen Blick zu den Übertiteln überflüssig machen.

Ein wundervoller Opernabend mit guten Sängern, einer stimmigen Inszenierung und mit einem in seinen wenige Opern (zu wenige für einen künftigen Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper) umfassenden Repertoire unübertroffenen Dirigenten.

Matthias Kasper

 

Besuchte Vorstellung: Mi, 27.03.24 – 2. Vorstellung in dieser Inszenierung

 

 

 

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