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Ekel in der Medizin

Igitt! Was sollen Mediziner tun wenn sie sich ekeln?

Gastartikel der Zeitschrift Lege artis (Thieme)

Ekel ist menschlich – auch Ärzte sind nicht gegen ihn gefeit. Würgend aus dem Sprechzimmer zu laufen, ist für Mediziner aber keine Option. Verdrängung hilft zwar kurzfristig, birgt aber die Gefahr für Unzufriedenheit und Burnout. Andere Methoden sind da besser geeignet. Wir stellen einige vor.

Dass die chirurgische Eröffnung eines Schweißdrüsenabszesses unappetitlich werden könnte, hatte sich Jürgen Krehmer (Name geändert) schon gedacht. Was der PJ-Student dann im OP erlebte, übertraf alle seine Erfahrungen: Ihm wurde zum ersten Mal bei der Arbeit richtig übel. „Der Eiter­geruch war so penetrant und durchdringend – innerhalb kürzester Zeit stank der ganze OP-Saal. Sogar der Operateur wich einen Schritt nach hinten, um sich wieder zu sammeln.“

Völlig normale Reaktion

Auch Ärzte sind nicht immun gegen Ekel. Warum auch? Schließlich ist diese Form der Ablehnungsreaktion ganz natürlich. „Aus evolutiver Perspektive ist Ekel eine Krankheits- und Kontaminations-Vermeidungs­strategie“, erklärt Psychologie-Professorin Anne Schienle von der Universität Graz. Seit rund 15 Jahren forscht sie an den verschiedensten Ausprägungen des Ekels. Schienle weiß: Ekel ist angeboren – und das aus gutem Grund. Er schützt uns vor dem Essen giftiger und verdorbener Nahrung bzw. sorgt dafür, sie durch ­Erbrechen wieder loszuwerden. „Der früheste Auslösereiz für Ekel ist daher immer die Nahrung“, sagt Schienle. Schon Babys reagierten darauf. „Erst mit 3–5 Jahren entwickeln wir das Bewusstsein für Sauberkeit. Ab diesem Zeitpunkt gewinnt die Vermeidung von Kontamination und Krankheit zunehmend an Bedeutung“, so die Professorin. Dementsprechend ekeln wir uns vor allen Dingen, die irgendwie mit Krankheit, Zersetzung und Tod zu tun haben.

Was ist eklig?

„Ich bin allgemein recht empfindlich gegenüber Gerüchen“, gibt Jürgen Krehmer zu. Damit ist er nicht ­allein: „Meinen Kommilitonen geht das genauso“, erzählt der PJler. Fast jeder, mit dem er sich über Ekel unterhalten hat, gab das Geruchsproblem an. Dennoch wird Ekel nicht ausschließlich über die Nase vermittelt – er kann ebenso über alle anderen Sinne ausgelöst werden: Egal, ob es der Griff in etwas Schleimiges ist, der Anblick eitriger Wunden oder das Geräusch des Erbrechens. Lediglich das Schmecken hat im Klinikalltag für Ärzte keine Relevanz.
  • Meist erregt eine Substanz erst dann Ekel, wenn sie den Körper verlassen hat.
  • Und grundsätzlich gilt: Der Ekelaus­löser wird als ekliger empfunden, wenn er von einer fremden Person stammt.
Wogegen sich jemand besonders ekelt, ist von Person zu Person unterschiedlich. Fest steht aber: Frauen reagieren insgesamt sensibler als Männer.

 

Konstante Ekelempfindlichkeit 

Die Tagesform spielt dagegen eine untergeordnete Rolle - auch wenn Betroffene angeben, sie hätten bessere und schlechtere Tage. Wissenschaftlich lässt sich das jedoch nicht belegen: Die Reaktionen und Einschätzungen von Schienles Probanden variierten nur geringfügig zwischen verschiedenen Zeitpunkten. „Menschen antworten erstaunlicherweise sehr konstant“, so die Professorin. „Ihre Ekelreaktionen sind relativ stabil und bilden somit ein Persönlichkeitsmerkmal.“

Ekel sieht man einem an

Jedes Mal, wenn wir uns ekeln, steht uns unser Empfinden ins Gesicht geschrieben: Die Oberlippe nach oben gezogen, Nase gerümpft und Augen zusammengekniffen – so sieht die typische Ekelmimik aus. Bei jedem Menschen und unabhängig davon, was den Ekel ausgelöst hat. Dadurch schließen sich die Nasenlöcher – unangenehme Gerüche bleiben also „draußen“. Der Blickkontakt zum Auslöser wird unterbrochen, und das Anheben der Oberlippe ist ein Überbleibsel des Würgereflexes.

Feuerwerk der Neuronen

Choreografiert wird diese spezielle Gesichtsmuskelaktivität durch das komplexe Zusammenspiel verschiedener Hirnareale. Schienle kann das mittels funktioneller MRT beobachten – wenn sie ihre Probanden mit Bildern ekelhafter Situationen konfrontiert. „Da ist ein ganzes Netzwerk involviert“, sagt die Professorin. Neben der Insula scheinen besonders der visuelle und der orbitofrontale Kortex sowie die Amygdala beim Ekel aktiv zu sein. Also die Regionen, in denen sensorische Signale mit Gedächtnisinhalten und Emotionen verknüpft und in konkrete Handlungen umgesetzt werden.

Positiver Effekt dieser Verknüpfung: Man kann sich an manchen Ekel auch gewöhnen. „Die Induktionsbilder, die ich meinen Probanden in den Studien vorlege, ekeln mich überhaupt nicht mehr“, sagt die Psychologin. Geblieben sei dagegen die Abscheu gegen bestimmte Nahrungsmittel und gegen Fäkalien. „Basisekel“ nennt Schienle das. Auch PJler Krehmer hat Gewöhnungseffekte festgestellt: „Bei der ersten Darm-OP fand ich den Geruch noch unangenehm“, sagt er. „Mittlerweile macht er mir kaum noch etwas aus.“

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MMW

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