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lateinisch

FormalPara Übersetzung

Über die Kreisbewegungen der Weltkörper (1879)

FormalPara Übersetzer/in

C. L. Menzzer

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Sachliteratur

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Naturwissenschaften

Um 1510 entwickelte Kopernikus eine neue astronomische Theorie, die zunächst unter dem Titel De hypothesibus motuum coelestium commentariolus (Kleiner Kommentar zu Hypothesen über die Himmelsbewegungen) als Handschrift kursierte. Darin ging es um die Entwicklung eines astronomischen Modells, das die vermeintlich unregelmäßigen Bewegungen der von der Erde aus beobachtbaren Planeten damit zu erklären versuchte, dass die Himmelskugeln sich regelmäßig um ihre eigene Achse drehen. Eine Verbesserung der quantitativen Vorhersagen der damals herrschenden ptolemäischen Astronomie interessierte Kopernikus nicht. Auch wenn die meisten numerischen Parameter des neuen Modells direkt aus den überlieferten Texten des Ptolemaios stammten, war Kopernikus' Modell dennoch heliozentrisch and sollte dem Commentariolus zufolge in einem ausführlicheren Werk mathematisch dargestellt werden.

Die Vollendung dieses Werks dauerte mehr als drei Jahrzehnte. Nachdem er Gerüchte über Kopernikus gehört hatte, reiste 1539 ein junger Magister der Universität Wittenberg, Georg Joachim Rheticus, zu Kopernikus nach Frauenburg, um Erkundigungen über die neue Theorie einzuholen. Begeistert schrieb er einen Ersten Bericht (Narratio prima) der kopernikanischen Astronomie, der 1540 in Danzig sowie 1541 in Basel gedruckt wurde. Danach beauftragte Kopernikus ihn, den Druck seines Hauptwerks bei der Nürnberger Offizin Johannes Petreius zu überwachen, eine Aufgabe, die Rheticus dem ebenfalls aus Nürnberg stammenden lutherischen Pastor Andreas Osiander übertrug. Osiander stellte der Widmung des Kopernikus eine eigene, anonyme Vorbemerkung „An den Leser“ voran, in der er davor warnte, die Ansichten des Kopernikus – ebenso wie alle anderen astronomischen Hypothesen – als wahr oder auch nur als wahrscheinlich im Sinne der Physik anzusehen. Es handle sich bloß um Grundlagen der astronomischen Berechnung. Auch wenn Kopernikus mit dieser Deutung nicht einverstanden war, konnte er in den Druck des Buches nicht mehr eingreifen und erhielt ein gedrucktes Exemplar seines Werks erst im Mai 1543 auf seinem Sterbebett.

Trotz seines späteren Rufs als umwälzender Text der abendländischen Kosmologie war der Hauptwerk des Kopernikus zum Teil konservativ. In seiner Gliederung ähnelt De revolutionibus, ein Werk der mathematischen Astronomie, dem Almagestum des Ptolemaios. Beide Texte enthielten die Geometrie der sphärischen Astronomie, einen Sternenkatalog, einige wichtige Beobachtungen, aus denen Größe und Geschwindigkeit der Planetenmodelle abgeleitet werden konnten, Tabellen zur Berechnung der Position der Planeten sowie einen kurzen Abriss der Naturphilosophie des Kosmos. Das Ziel des Kopernikus, die ptolemäischen Modelle zu korrigieren, indem alle Sphären sich – in Übereinstimmung mit der aristotelischen Physik – kreisförmig und regelmäßig bewegen, entsprach demjenigen einiger arabischer Astronomen, die 200 Jahre zuvor Modelle aus gleichförmig sich drehenden Sphären entwickelt hatten. Das nicht-ptolemäische Mondmodell des Kopernikus sowie seine aus zwei Epizykeln zusammengesetzten Modelle der Planetenlängen waren bereits von dem Damaszener Astronom Ibn ash-Shatir (1304–1376) benutzt worden. Ein weiteres mathematisches Instrument, das Kopernikus für seine Modelle der Präzession und der Planetenbreiten anwendete, scheint direkt aus dem Werk des persischen Astronomen Nasir ad-Din at Tusi (1202–1274) entlehnt zu sein. Wie Kopernikus von diesen älteren arabischen Ideen Kenntnis haben konnte, ist unklar, da weder arabische noch lateinische Fassungen der genannten Werke im Europa des 16. Jh.s bekannt waren. Einige Ideen Tusis immerhin waren den Europäern in griechischen Übersetzungen byzantinischer Gelehrter zugänglich.

Kopernikus' wesentliche Neuerung besteht darin, mittels der jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne die scheinbar retrograden Bewegungen der Planeten sowie die Veränderungen ihres jeweiligen Abstands zur Erde erklärt zu haben. Wegen der dürftigen Quellenlage sind sich die Historiker noch uneinig über die einzelnen Schritte, mit denen Kopernikus den ptolemäischen Geozentrismus in einen Heliozentrismus verwandelte. Es ist aber wahrscheinlich, dass er Hinweisen aus dem Epitoma in almagestum (1496) des Johann Regiomontanus folgte. Auf jeden Fall erklärte das neue heliozentrische Modell viele Merkmale der Planetenbewegungen, die in der ptolemäischen Astronomie nicht gedeutet werden konnten. Und während alle früheren Astronomen jeden einzelnen Planeten isoliert behandelt hatten, setzte Kopernikus sie in Beziehung zur Umlaufbahn der Erde. Damit erschienen ihr jeweiliger Abstand zur Sonne sowie der Umfang ihrer Umlaufbahn nicht mehr als willkürlich. Sie folgten einer notwendigen Regelmäßigkeit, die Kopernikus in einer berühmt gewordenen schematischen Darstellung mit der Sonne im Zentrum des Kosmos zeichnerisch festhielt. De revolutionibus stellte eine neue, ästhetische Sicht der kosmischen Harmonie dar, auch wenn die Gesamtzahl der Sphären sowie die quantitativen Voraussagen der Planetenbewegungen mit denen des Ptolemäus fast übereinstimmten.

Die meisten frühen Leser von De revolutionibus sprachen von einer ‚Kopernikanischen Rechnung‘ und benutzten seine Tafeln für die Berechnung der Planetenbewegungen, ohne sich zur Kosmologie des Werks zu äußern. Sie folgten damit der Lektüreanweisung Osianders. Allerdings gab es einige Theologen, Protestanten wie Martin Luther und Philip Melanchthon, den Dominikaner Giovani Tolosani sowie mehrere Jesuiten, die einen Widerspruch zwischen der heliozentrischen Kosmologie und der Bibel sowie der Physik des Aristoteles sahen und Kopernikus' Modell daher zurückwiesen. Um 1585 entwickelten Tycho Brahe und andere Astronomen eine antikopernikanische geo-heliozentrische Astronomie, um jenen Einwänden zu begegnen. Nach 1600 erhielt die heliozentrische Kosmologie Unterstützung durch Johannes Keplers physikalische Astronomie der Ellipsen und durch Galileo Galileis polemische Traktate. Erst danach wurde De revolutionibus sowohl von seinen Verfechtern als auch von seinen Gegnern als revolutionär betrachtet.