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Plakatmotiv (US): Das verlorene Wochenende (1945)

Ein düsteres Trinker-Drama,
grandios fürs Kino erzählt

Titel Das verlorene Wochenende
(The lost weekend)
Drehbuch Charles Brackett + Billy Wilder
nach dem Roman von Charles R. Jackson
Regie Billy Wilder, USA 1945
Darsteller

Ray Milland, Jane Wyman, Phillip Terry, Howard Da Silva, Doris Dowling, Frank Faylen, Mary Young, Anita Sharp-Bolster, Lilian Fontaine, Frank Orth, Lewis L. Russell u.a.

Genre Drama
Filmlänge 101 Minuten
Deutschlandstart
13. Februar 1948
Inhalt

Don Birnam lebt als erfolgloser Schriftsteller und Langzeit-Alkoholiker in New York. Nur seinem Bruder Wick, der ihn auch finanziell unterstützen muss, und seiner Freundin Helen gelingt es gelegentlich, ihn für einige Zeit „trockenzulegen“. Zur Erholung nach seinem letzten Absturz hat Wick seinen Bruder Don zu einem gemeinsamen Wochenende auf dem Land überredet. Doch kurz vor der Abreise gelingt es Don, Wick und Helen unter einem Vorwand aus seiner Wohnung zu schicken. Während sein Bruder frustriert mit dem Zug aufs Land abfährt, sitzt Don bereits wieder in Nat's Bar und verbringt das folgende Wochenende alleine in New York.

Videocover: Das verlorene Wochenende (1945)Der Barbesitzer Nat tadelt ihn für sein Verhalten gegenüber Helen, woraufhin Don sich in Rückblenden an den hoffnungsvollen Beginn seiner Beziehung mit Helen erinnert. Er lernte sie kennen, als er an der Operngarderobe auf einen Mantel wartete, der verwechselt wurde. Nach seiner Ansicht gibt es zwei Menschen in ihm: den Schriftsteller Don, der nur unter Alkohol schreiben kann (ursprünglich wollte er damit nur eine Schreibblockade überwinden), und Don den Betrunkenen, der nur mit Hilfe seiner Mitmenschen einigermaßen durchs Leben kommen kann und dem Alkohol verfallen ist.

Nach einem schweren Absturz wird Don in die Alkoholiker-Abteilung eines Krankenhauses eingeliefert. Erschüttert von den nächtlichen Qualen eines anderen Patienten flieht er heimlich zurück in seine Wohnung, nur um dort selbst die durch den Entzug verursachten Horrorvisionen des Delirium tremens zu erleiden …

Was zu sagen wäre

Die Qualen eines Trinkers/einer Trinkerin lassen sich im Kino einfach darstellen. Ein Mann. Ein Glas. Ex und Hopp. Billy Wilder, der seine Zuschauer jetzt schon rund 30 Minuten in ihren Kinosesseln gekitzelt, ihnen klar gemacht hat, dass hier eher kein Ausweg winkt; der in klugen Dialogen und Bildmontagen bis dahin klar gemacht hat, dass die fröhliche Sonnenscheinhoffnung Na-er-wird-doch-wohl-nicht-trinken nicht erfüllt werden wird, entführt uns in die Oper. Die Oper, das weiß der aufgeklärte Mitteleuropäer, ist der Ort des großen Melodrams. Und das nimmt genau hier seinen Lauf.

Don Birnham erzählt, wie er nach einer La-Traviata-Aufführung seine Freundin Helen kennengelernt hat. In der Aufführung sitzt er noch alleine. Ohne Drink, was im ersten Moment nicht so auffällt. Aber dann hat tatsächlich jeder auf der Bühne dauernd ein Glas in der Hand, prostet anderen zu, nippt oder lässt sich nachfüllen, während Libiamo ne`lieti calici (Lasst uns nippen an freudigen Gläsern) das Auditorium erfüllt: „Ah lasst uns nippen denn Leidenschaft und Tränke führen zu heißeren Küssen.“ Und Don sitzt geradezu röchelnd in seinem zu engen Sitz. Er will dann fliehen, raus aus dieser Trinkerseligkeit. Aber an der Garderobe haben sie seinen Mantel mit einem anderen verwechselt. Schlimm genug. Aber in seinem Mantel, der nun irgendwo in der Garderobe hängt, steckt noch eine volle Whiskeyflasche. Und so wartet er auf das Ende der Oper, um seinen Mantel eintauschen zu können.

Und als er so wartet, bringt er ein Opfer für seine bis dato unbekannte aber künftige Geliebte: Er wartet stundenlang – trocken – auf das Ende der Oper. Und tatsächlich gibt er in Folge das Trinken eine Zeit lang auf. Für sie, Helen, die Besitzerin des Leopardenmantels. Mehrere Wochen, bis ihre Eltern ihn kennenlernen wollen. Diesem gesellschaftlichen Druck ist er nicht gewachsen. Zufällig hatte er gehört, was die Schwiegereltern sich vorstellen – Schriftsteller? Noch nie gearbeitet?? – da ist es vorbei: „Ich konnte ihnen nicht gegenübertreten, nicht ohne einen Drink. Und dann wurden es zwei, dann drei …“ Der ewige Kreislauf. Und den Kreislauf durchbrechen? Das geht nicht; jedenfalls nicht einfach so. Und Wilder und Charles Bracket formulieren in ihrem Dialogbuch gleich die richtige Erklärung: „Okay, Du bis ein miserabler Schriftsteller. Warum machst Du nicht etwas anderes?“ „Klar! Wie wär's mit einem netten Job? Wirtschaftsprüfer, Immobilienmakler. Dazu fehlt mir der Schneid. Die meisten Männer führen ein Leben stiller Verzweiflung. Ich kann nicht still verzweifeln!“ „Aber Du bis Schriftsteller. Du hast alles, was man braucht – Vorstellungsgabe, Esprit, Mitgefühl.“ „Hör auf, schauen wir der Sache ins Auge. Ich bin 33. Ich lebe von der Güte meines Bruders. Kost und Logis umsonst. 50 Cent die Woche für Zigaretten und gelegentlich eine Karte für eine Show oder ein Konzert. Alles, weil er so ein gutes Herz hat.

Plakatmotiv (US): Das verlorene Wochenende (1945)In diesem Dialog zwischen Bruder, Don und Helen steckt die ganze Misere des Alkoholikers: Er trinkt, weil er Inspiration sucht. Er trinkt, weil er, schon angeschickt, mit dieser Inspiration nicht mehr voran kommt. Er trinkt, weil er deshalb ein schlechtes Gewissen hat. Er trinkt aus Verzweiflung, weil andere ihm Hilfe anbieten. Er trinkt, weil er weiß, dass er diese Hilfe dringend nötig hätte. Er trinkt aus schlechtem Gewissen, weil er vergessen will. Plötzlich wird dem Zuschauer auch klar, was dieses Drama ausmacht. Don Birma verfällt nicht dem Alkohol. Er ist längst harter Trinker, als wir ihn zu Beginn des Films kennenlernen. Und nun wissen wir auch, wie es soweit kam. Das Drehbuch baut die Informationen schachtelartig ineinander, mit Rückblenden und Informationen, die wir erst später über einen Dialog erhalten.

Billy Wilders Kamera bleibt in der Beobachterpose, für das Drama sorgen der Score von Miklós Rózsa, der sich allerdings anhört, als hätte in späteren Jahren auch Cleopatra oder Ben Hur damit unterlegt werden können, und Ray Milland ("Till We Meet Again – 1944; "Ministerium der Angst" – 1944; "Der unheimliche Gast" – 1944; "Die Träume einer Frau" – 1944; "The Crystal Ball" – 1943; "Star Spangled Rhythm" – 1942; "Der Major und das Mädchen" – 1942). Milland lässt sich völlig fallen in die Rolle des Mannes, der kein "Verlorenes Wochenende" erlebt, sondern einfach ein verlorener Trinker ist.

Eindringlich zeigt Wilder die verschiedenen Stufen der Erniedrigung eines Alkoholikers auf seiner verzweifelten Suche nach dem nächsten Drink. Aus Kneipen wird Don herausgeworfen, weil er seine Rechnungen nicht bezahlen kann. Er verwüstet seine Wohnung, weil er sich nicht erinnern kann, wo er in der Nacht zuvor eine Whiskyflasche deponiert hat. Auch vor dem Stehlen und Betteln schreckt er nicht zurück. Schließlich leidet er sogar unter Halluzinationen.

Auf dem Tiefpunkt flieht er zurück nach Hause und Wilder zeigt im Bild eine klassische Fluchtsituation: Mit der Kamera sind wir – und also Don – im Dunkeln. Und die Richtung geht ins Helle, wo Wolkenkratzer stolz im Sonnenlicht glänzen und den Amerikanischen Traum suggerieren: Jeder kann es schaffen!. In jenes Helle, in dem er einst wohnte – und in dem es, wie wir schon wissen, gar nicht so hell und sonnig ist. Denn der Alkohol bleibt. Auch im Hellen.

Jane Wyman spielt Dons unerschütterliche Freundin Helen. Das ist insgesamt eher nicht zu glauben, weil nie klar ist, in wen sie sich da eigentlich so dermaßen verliebt haben mag, dass sie unter allen Umständen bei ihm bleiben will, egal, wie scheiße sich Don verhält. Aber: Wilder findet einen schönen Kniff, um zu zeigen, dass die beiden zusammengehören: Don steckt sich seine Zigarette häufig falsch herum im Mund und dreht sie in letzter Sekunde richtig rum. Helen tut reflexartig dasselbe bei ihm. Eine Kleinigkeit, aber fein inszenierte Geste der Vertrautheit.

Sie zeigt aber, dass Billy Wilder hier ein großes Drama erzählt und dabei nie seine (zahlenden) Zuschauer aus dem Blick verliert. Die Story ist hart, der Hauptdarsteller nicht sympathisch. Aber wir knabbern im Kinosessel zwei Stunden lang an den Fingernägeln, weil wir … hoffen. Kino kann groß sein.

Wertung: 6 von 6 D-Mark
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