Oliver & Iris Berben: „Das Zeugenhaus“ im ZDF - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Medien
  4. Oliver & Iris Berben: „Das Zeugenhaus“ im ZDF

Medien „Das Zeugenhaus“

Ein Film, der nichts sagt und nichts will

Freier Autor
In der wahren Geschichte hieß sie Gräfin Kálnoky: Im „Zeugenhaus“ ist Iris Berben als Gräfin Belavar zu sehen In der wahren Geschichte hieß sie Gräfin Kálnoky: Im „Zeugenhaus“ ist Iris Berben als Gräfin Belavar zu sehen
In der wahren Geschichte hieß sie Gräfin Kálnoky: Im „Zeugenhaus“ ist Iris Berben als Gräfin Belavar zu sehen
Quelle: Daniela Incoronato
Warum darf Oliver Berben aus den Nürnberger Prozessen eine Art Ohnsorg-Theater machen? „Das Zeugenhaus“ mit Iris Berben ist ein historischer Tiefpunkt deutscher Fernsehunterhaltung.

Die Nürnberger Prozesse gegen die Führungselite Nazideutschlands waren großes Theater. Sie haben auch einen großen Film inspiriert: Stanley Kramers „Urteil in Nürnberg“. Wenn sich nun deutsche Filmemacher des Themas annehmen, so stehen sie vor der dreifachen Herausforderung, die historische Bedeutung der Prozesse zu würdigen, die Aktualität der verhandelten Fragen zu verdeutlichen, und dem Film-Vorbild gerecht zu werden. Matti Geschonnecks Fernsehfilm „Das Zeugenhaus“ versagt in allen drei Punkten mit einer Vollständigkeit, der man eine gewisse Bewunderung nicht versagen mag.

Kramer machte aus einem Prozess gegen niedrige Chargen – dem Juristenprozess von 1947 – Welttheater. Geschonneck macht aus dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher Ohnsorgtheater. Kramer konfrontierte die Zuschauer mit den moralischen und politischen Dilemmata seiner Zeit. Geschonnecks Dilemma ist das Fehlen jeder moralischen und politischen Fragestellung im Drehbuch von Magnus Vattrodt. Da kann die Musik noch so bedeutungsschwanger daherkommen, da kann ein Tobias Moretti als Ex-Gestapomann Rudolf Diels noch so finster dreinblicken, ein Udo Samel als Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann noch so lustig mit den Augenbrauen wackeln, ein Edgar Selge als Ex-KZ-Häftling noch so verbissen Holz hacken, eine Iris Berben noch so – na, was macht sie eigentlich? Egal: Da können die Schauspieler chargieren, so viel sie wollen, sie haben nichts zu sagen. Dieses Nichts sprechen sie allerdings bedeutsam aus.

‚Das Zeugenhaus‘ zeigt nichts, sagt nichts, will nichts

Worum geht es? „Das historische Filmereignis thematisiert unglaubliche Begebenheiten der deutschen Nachkriegsgeschichte“, so das ZDF. Nun ja. So unglaublich auch nicht. Für die Zeugen im Prozess gegen Göring, Heß, Ribbentrop und Co. brauchten die Amerikaner eine Unterkunft. Sie fanden eine Villa und installierten die junge Gräfin Ingeborg Kálnoky als Hausdame. So fanden sich zeitweilig Zeugen der Anklage und der Verteidigung unter einem Dach, Noch-Nazis und ehemalige Widerstandskämpfer, frühere KZ-Insassen und willige Vollstrecker. Eine brisante Situation, gewiss; aber eigentlich ist nichts passiert.

Wie Kálnoky in ihrem geschwätzigen Buch „The Guest House“ 1974 schrieb, kam es so gut wie nie zu politischen Gesprächen oder gar Konfrontationen zwischen den Zeugen, wofür sie ja auch als Gesellschafterin zu sorgen hatte. Das hinderte Christiane Kohl nicht daran, das Material noch einmal zu einem noch geschwätzigeren Buch aufzukochen, in dem hauptsächlich über eine mögliche Liebesaffäre zwischen Kálnoky und einem amerikanischen Armeekaplan sowie zwischen dem Gestapo-Gründer Diels und der Frau des Bleistiftgrafen Faber-Castell spekuliert wird. Das Buch ist so gähnend inhaltsleer, dass ein Film, so müsste man denken, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln der künstlerischen Freiheit nur besser werden könnte. Es gelingt ihm allerdings, Kohls Buch an Inhaltsleere zu überbieten und um einige Gemeinheiten zu ergänzen.

Moralisches Dilemma: Herr Gärtner (Edgar Selge) saß im KZ, Heinrich Hoffmann (Udo Samel) war Hitlers Hoffotograf
Moralisches Dilemma: Herr Gärtner (Edgar Selge) saß im KZ, Heinrich Hoffmann (Udo Samel) war Hitlers Hoffotograf
Quelle: Daniela Incoronato

Produzent Oliver Berben wollte, so scheint es, seiner Mutter die Rolle der Gräfin zuschustern, und da die 64-Jährige bei allem Respekt nicht mehr eine 36-Jährige spielen kann, wurde eben die Rolle umgeschrieben. Nun heißt die Gräfin nicht mehr Kálnoky, sondern Belavar, ist eine reife Frau, hat – im Gegensatz zu Kálnoky, die mit ihren vier Kindern im Zeugenhaus wohnte und das Haus verließ, als sie mit ihrem Mann wiedervereint wurde – Ehemann und Kinder im Krieg verloren und ist darüber morphiumsüchtig geworden.

Das Morphium hat sie vom – natürlich jüdischen – Chef der US-Spionageabwehr CIC in Nürnberg, „Bernstein“. Damit soll die Gräfin als Spionin gegen ihre Gäste gewonnen werden. Was will uns der Film damit sagen? Dass die Amis schon immer beim Aushorchen von Freund und Feind in der Wahl der Mittel nicht zimperlich waren? Bernstein, so das ZDF-Presseheft, hat seine Familie im Holocaust verloren und „glaubt nicht mehr an das Gute im Menschen“. Anders als die Täter, muss man annehmen. Samuel Finzi verleiht Bernstein Züge des US-Anklägers Robert Kempner – nicht des wirklichen Menschen, sondern jener Karikatur, die Kohl in ihrem Buch schildert: Unwidersprochen lässt sie das Urteil des Nazis Diels über Kempner stehen, er sei „ein rassisch verhinderter Gestapomann“. Widerlich.

Zweimal benutzt ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler im Presseheft das Wort „unfassbar“, um die Nazi-Zeit zu charakterisieren. ZDF-Fernsehfilmchef Reinhold Elschot verwendet sogar zweimal die Formulierung „das absolut Unfassbare“. Tja, wenn alles unfassbar ist, dann muss man sich auch nicht um Verständnis bemühen. Aber das Dritte Reich ist durchaus fassbar, es war Produkt konkreter Interessen und Ideologien, von Bosheit, Opportunismus und Feigheit, wie Kramers Film von 1961 meisterhaft zeigte. Zugleich problematisierte Kramer die Rassentrennung in den USA und die Relativierung der Moral durch die Realpolitik des Kalten Krieges. „Das Zeugenhaus“ zeigt nichts, sagt nichts, will nichts. „Das ist Fernsehen auf der Höhe seiner Möglichkeiten“, so Elschot. Sollte er das glauben, das wäre in der Tat absolut unfassbar.

ZDF, 20.15 Uhr

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema