Das ARD-Drama „Das Ende der Geduld“, dem der Sachbuchbestseller der Jugendrichtern Kirsten Heisig zugrunde liegt, erinnert an die letzte Lebensphase der Berliner Juristin, von der viele sagen, sie habe f�r ihren Beruf gebrannt – und zwar an zwei Enden. Erst umstritten, dann geachtet – pl�tzlich tot. Einsam, aber nicht verloren soll diese Figur in der Inszenierung von Christian Wagner wirken. Reduktion ist das Prinzip der Handlung. Autor Stefan D�hnert setzt auf eine Szene, aus der er den Antrieb, die Wut, die Rastlosigkeit der Heldin herleitet. Das ist filmisch stimmig, aber nicht ganz aufrichtig. Daf�r ist Gedecks Spiel gro�artig!
Foto: BR / CWP / Oliver VaccaroRichterin Kleist (Gedeck) auf Konfrontationskurs mit ihrem Kollegen (Hartmann)
Sie war in „Das Leben der anderen“ die Frau, die ihren Mann an die Stasi verriet. Sie war in „Romeo“ die Sekret�rin, die von einem Stasi-Agenten zur Spionage verf�hrt wird. Sie war schon von allen abgeschlossen in „Die Wand“ und zu allem entschlossen in „Halbe Hundert“. Sie war Ulrike Meinhof, Bella Martha und H�lleisengretl. Martina Gedeck ist eine Ausnahme-Schauspielerin, weil sie jeder Rolle, die sie verk�rpert, etwas von sich gibt und gleichzeitig die Figur zu etwas Besonderem, eben zu einer Ausnahme macht. Nun ist sie die Berliner Jugend-Richterin Kirsten Heisig. Und sie hebt mit ihrem gro�artigen, weil intuitiven und zugleich das Thema reflektierenden Spiel auch diesen Film in eine eigene Liga. Aber es ist eben ihre Liga.
Foto: BR / CWP / Oliver VaccaroAuf den Stra�en von Berlin Neuk�lln. Rafiq (Mohamed Issa) & H�ck (S.A. Gersak)
Der Film „Das Ende der Geduld“, dem der gleichnamige Sachbuchbestseller der Jugendrichtern Kirsten Heisig zugrunde liegt, erinnert an die letzte Lebensphase der Berliner Juristin, von der viele sagen, sie habe f�r ihren Beruf gebrannt – und zwar an zwei Enden. Zust�ndig f�r den Problembezirk Neuk�lln hatte sie ein neues Verfahren, das so genannte „Neuk�llner Modell“, angeregt, erprobt und umgesetzt. Sie hielt Vortr�ge und ging in Talkshows, widersprach �ffentlich der g�ngigen liberalen Spruchpraxis ihrer Richterkollegen und trieb die Berliner Justizverwaltung aufgrund ihrer Bekanntheit zum Schluss fast vor sich her. Kirsten Heisig war in Berlin erst umstritten, dann geachtet – dann war sie pl�tzlich tot.
Autor Stefan D�hnert �ber die Tonlage der Geschichte:
„Das Drehbuch ist die Adaption eines Sachbuches. Allein dieser Umstand bringt einen bestimmten Erz�hlduktus mit sich, der sich alles Ausufernde, Kulinarische verkneift.“
Foto: BR / CWP / Oliver VaccaroChristian Wagner wollte einen Film machen, "der aufr�ttelt, der spannend und bewegend eine relevante Geschichte zu erz�hlen hat". Rafiqs Mutter (Meriam Abbas), die Polizistin Devrim (Sesede Terziyan) und die Richterin (Gedeck).
Niemand wollte gesehen haben, dass die Frau an Depressionen litt. Von einem fr�heren Suizidversuch erfuhr die �ffentlichkeit lange nichts, auch das Drehbuch von Stefan D�hnert („Die Fahnderin“) zitiert nur wortlos den heimlichen Griff zu Tabletten. Kirsten Heisig hatte Familie, sie trennte sich w�hrend ihrer Neuk�llner Zeit von ihrem Ehemann, die beiden T�chter im Teenageralter blieben beim Vater. Im Fernsehfilm, der sich genregem�� sonst ja gerade auf die famili�ren Hintergr�nde oft st�rzt wie der Verdurstende auf das Wasser, bleibt dieser pers�nliche Hintergrund der Richterin Corinna Kleist (wie die Hauptfigur im Film hei�t) unerz�hlt. Einmal nur sagt die Richterin: „Ich bin auch Mutter“. Einsam, aber nicht verloren soll diese Filmfigur in der Inszenierung von Christian Wagner („ghettokids“) wirken, und getrieben von einem Erlebnis, das wie eine psychologische Skizze am Anfang von “Das Ende der Geduld“ steht: Die alkoholabh�ngige Punkerin Bille st�rzt sich aus dem Fenster des Gerichtsgeb�udes, nachdem die Richterin ihr ein letztes Mal die Leviten gelesen und sie auf die Unerbittlichkeit des nun vor der T�r stehenden Erwachsenenstrafrechts vorbereitet hat.�
Christian Wagner �ber die Intention seines Films:
„Der Film soll dazu beitragen, dass man sich ihres gro�en Engagements erinnert.“
Alles, was danach kommt, wird aus dieser Szene gesch�pft: Der Antrieb, die Wut, die Rastlosigkeit. Martina Gedeck gibt diesen Charakterz�gen, ohne die das Wirken ihrer Figur nur das gesellschaftspolitische Anliegen eines Themenfilms bleiben m�sste, ihre spezielle Pr�senz. Sie gibt der Figur die Herzensw�rme, Empathie, Seelentiefe, die es braucht, um mit ihr durch diesen Film zu gehen. Vielleicht ohne es zu wollen spielt Gedeck aber auch eine tief zugrunde liegende emotionale Unversehrtheit mit, die der Figur zwar die beabsichtigte heldische Aura gibt, den Suizid am Ende f�r den Zuschauer aber noch unerkl�rlicher werden l�sst, als er sein m�sste.
„Das Ende der Geduld“ ist eine Produktion von Claussen+W�bke+Putz und Christian Wagner Film. Die Produzenten sind Jakob Claussen, Uli Putz und Christian Wagner. CWP hat im November auch Giulio Ricciarellis Kinofilm „Im Labyrinth des Schweigens“ (TRAILER) mit Alexander Fehling am Start.
Foto: BR / CWP / Oliver VaccaroDie Richterin befragt den Jungen vor Gericht. Gedeck spielt in einer eigenen Liga.
Martina Gedecks emotionales Spiel steht in un�bersehbarem Gegensatz zu der restlichen Inszenierung: Ihr Filmpartner J�rg Hartmann, sonst selbst f�r jede abgr�ndige Schauspielkunst bekannt, wird in der Schlichtheit seiner Szenen zum Platzhalter f�r einen linksliberalen Intellektuellentypus, der sich von seiner Kollegin Kleist so erniedrigt f�hlt, dass er in seiner Verzweiflung sogar versucht, sie mit einer erotischen Eroberung klein zu machen. Die Polizisten sind, wie man sich aus dem Fernsehen Polizisten vorstellt: Sie ist T�rkin und ehrgeizig, er Deutscher und von seinem lahmen Dienstwagen genervt.
Sie habe Kirsten Heisig ein Denkmal setzen wollen, hat Gedeck im Vorfeld der Ausstrahlung freim�tig zugegeben. Und das ist auch gelungen: Das Entgrenzte, Autoaggressive, Bipolare des historischen Vorbilds bleibt eine Andeutung, nur nachvollziehbar f�r jene, die um diese Seite ohnehin wissen. F�r alle anderen ist die Richterin eine Lichtgestalt, ihr Freitod ein tragischer Unfall, ihr Anliegen ein in Ehren zu haltendes Verm�chtnis. Falsch ist das ja alles nicht. Aber auch im letzten filmisch nicht ganz aufrichtig. (Text-Stand: 18.10.2014)
Die Dokumentation: "Tod einer Richterin – Auf den Spuren von Kirsten Heisig"
Klaudia Wick schreibt seit 20 Jahren TV-Kritiken, sie arbeitet u.a. f�r die Berliner Zeitung, epd medien und die Funkkorrespondenz; au�erdem leitet sie das FernsehfilmFestival Baden-Baden.