Eine Frau gesteht einen Mord, eine andere will das nicht glauben, dringt in die Vergangenheit der vermeintlichen M�rderin ein und f�rdert Schreckliches zutage. „Das Dorf der M�rder“ ist ein ZDF-Montagsfilm der d�steren Art, ein sehenswerter Ausrei�er nach oben im beliebten Krimi-Drama-Genre mit Thriller-Zugabe. Niki Stein hat die St�rken der Romanvorlage von Elisabeth Herrmann – dichte Charaktere und ein psychologisch ausgefeilter Thriller-Plot – dramaturgisch stringent & sehr filmisch umgesetzt. Eigenwillige Charaktere. Eine koh�rente Alptraum-Stimmung, die immer wieder augenzwinkernd gebrochen wird. Ein gefundenes Fressen f�r Blick-Schauspielerin Alina Levshin und auch Anna Loos ist richtig gut.
Foto: ZDF / Julia TerjungVerh�lt sich so eine M�rderin? Streifenpolizistin Sanela Beara (Alina Levshin) kann nicht glauben, dass Charlie Rubin (Anna Loos) einen Mann so grausam sterben lie�.
Eine Frau gesteht einen Mord, eine andere kann das nicht glauben!
Es gibt sch�nere Arten zu sterben, als bet�ubt bei lebendigem Leib Pekaris zum Fra� vorgeworfen zu werden. Was bleibt: ein angenagter Kopf, ein Schuh, Kleiderfetzen; der Rest des Mordopfers befindet sich in den B�uchen der gefr��igen Nabelschweine. Ganz sch�n eklig f�r die, die sich um die menschlichen �berreste k�mmern m�ssen. Die Streifenpolizistin Sanela Beara (Alina Levshin) ist als erste vor Ort, als Kriminalkommissar Gehring (J�rgen Tarrach) eintrifft, schickt dieser die �bereifrige Kollegin erst einmal zum Kaffeeholen. Dabei trifft diese auf Tierparkpflegerin Charlie Rubin (Anna Loos). Auf dem Weg zur�ck zum Tatort wird Beara von hinten mit einem Spaten niedergeschlagen. Gerade wollte sie einen Blick in den Container mit Fleischabf�llen werfen. Als sie im Krankenhaus wieder zu sich kommt, erf�hrt sie, dass Rubin unter dringendem Mordverdacht verhaftet wurde. Sie kann es nicht glauben; f�r sie gibt das alles keinen Sinn. Wenig sp�ter gesteht die Frau den Mord sogar: „Er war einfach da; ich hatte Lust zu t�ten.“ Auch der Psychiater (Benjamin Sadler), der die Zurechnungsf�higkeit & Strafm�ndigkeit der Inhaftierten feststellen muss, wundert sich �ber diese Frau, die wenig sp�ter in seiner Anwesenheit einen Selbstmordversuch unternimmt.
Foto: ZDF / Julia TerjungEin Fall von Amtsanma�ung. Sanela Beara (Alina Levshin) ist ihren Job bei der Polizei erst einmal los. Dass sie dennoch weiterrecherchiert hat psychologisch gute Gr�nde: Wie Rubins Mutter, die Selbstmord gemacht hat, starb auch ihre Mutter keines nat�rlichen Todes, was ihr jahrelang Schuldgef�hle bereitet hat. Als Kind hat sie sich "geritzt". Jetzt f�hlt sie eine Verantwortung gegen�ber dieser Frau. Die im Jugoslawienkrieg gro� gewordene Sanela kann Ungerechtigkeit nicht aushalten. Deshalb ist sie wohl auch zur Polizei gegangen. Sie will in den gehobenen Dienst.
Eine Polizistin und ein Psychiater gehen der „Sache“ auf den Grund
„Das Dorf der M�rder“ ist ein ZDF-Montagskrimidrama der d�steren Sorte. Die junge Heldin l�sst sich bald nicht mehr abspeisen, will sich weder auskurieren noch will sie l�nger Kaffee holen. Sie glaubt an die Unschuld dieser Frau – und Ungerechtigkeit kann sie nur schlecht aushalten; die Kroatin musste als Kind mit ansehen, wie ihre Mutter vor ihren Augen get�tet wurde. Jetzt f�hlt sich jene Sanela verantwortlich f�r diese seltsam ruppige Frau, die – wie sie glaubt – �berhaupt nur durch sie in den Fall hineingeraten ist. Aber weshalb das Gest�ndnis? Will Rubin den wahren T�ter decken? Der Psychiater vermutet die Ursachen f�r die St�rung in deren Kindheit. In diese Richtung machen er und die Polizistin sich alsbald auf – getrennt: Er f�hrt zu Charlies j�ngerer Schwester Cara, die als Tier�rztin auf einem Reiterhof arbeitet, und sie ins brandenburgische Heimatdorf der Schwestern, Wendisch Bruch. Heute ein Geisterort, die M�nner sind weggegangen oder liegen auf dem Friedhof, nur ein paar Frauen sind geblieben. W�hrend sich der Psychiater an der erfreulicheren Seite von Charlies Vergangenheit delektieren darf, der sch�nen, zehn Jahre j�ngeren scheinbar unbeschwerten Schwester, die sich auffallend schnell heranmacht an den Seelendoktor von der traurigen Gestalt, muss die Trauma-erfahrene Kroatin in die schrecklichen Familienverh�ltnisse der Rubins eintauchen und st��t dabei auf die schwarze Seele eines ganzen Dorfes.�
Foto: ZDF / Julia TerjungWer stellt welches P�ppchen dar? Der psychiatrische Gutachter Jeremy Saaler (Benjamin Sadler) versteht die Familienverh�ltnisse noch nicht gut genug.
Schreckliche Ereignisse, lustvolle Filmsprache und spielerische Momente
Geheimnisse aus der Vergangenheit sind die H�ter der Spannung in zahlreichen Fernsehfilmen der letzten Jahre. Meist sind Frauen auf der Suche nach der eigenen Identit�t, mal ist das politisch motiviert, mal rei�erischer Humbug. „Das Dorf der M�rder“ ist in diesem vom ZDF bevorzugten Subgenre ein sehenswerter Ausrei�er nach oben. Autor-Regisseur Niki Stein hat nach Motiven des gleichnamigen Romans von Elisabeth Herrmann einen Film geschaffen, der die St�rke der Vorlage – dichte Charaktere und ein psychologisch ausgefeilter Thriller-Plot – aufnimmt und gekonnt ins Medium der bewegten Bilder �bertr�gt, indem er besonders die filmspezifischen M�glichkeiten nutzt. Schon immer hat er mit seinem Lieblings-Bildgestalter Arthur W. Ahrweiler Ehrgeiz darin entwickelt, Einstellungen ohne Schnitt durchzudrehen, was vornehmlich ein Privileg des Arthauskinos’ ist. Bei schnellen Szenen werden auf diese Weise Bewegungen und Tempo noch gesteigert („Der Tote im Eis“); in Kom�dien sind solche Plansequenzen einfach nur schr�g und spielerisch („Dr. Gressmann zeigt Gef�hle“) und in Kammerspielen betonen sie h�ufig die Komplizenschaft („Die Konferenz“). In „Das Dorf der M�rder“ verfolgt die Kamera das erste Aufeinandertreffen von Psychiater und „Prinzessin“, Charlies Schwester Cara, in einer einzigen Einstellung und nimmt damit ihr sp�teres Verh�ltnis quasi film�sthetisch vorweg, bevor die Sprache der Frau („Spritzen Sie mal“) und die K�rpersprache des Mannes (Verunsicherung & Befangenheit) mit weiteren Symbolen das erotische Spiel anfeuern. In den letzten 15 Minuten, in denen es Thriller-m��ig so richtig zur Sache geht, sorgt eine weitere Plansequenz f�r das letzte Augenzwinkern im Film: Der Kommissar braucht mal wieder einen Kaffee, die Mitarbeiterin ist so freundlich und holt das n�tige Wasser dazu von der Damentoilette – ihr Chef folgt willig und l�sst sich dabei noch die neuesten Rechercheergebnisse mitteilen. Geschnitten w�ren diese knapp eineinhalb Minuten nur der halbe Spa�. Dass solche Szenen nicht als Fremdk�rper wirken, dass es gelingt, J�rgen Tarrachs Macho-Bullen anzuschr�gen, ohne eine Karikatur aus ihm zu machen, und dass Stein Benjamin Sadlers schambesetztem Psychiater sowie Anna Br�ggemanns aufgekratzter Sch�nheit schwere und leichte Momente gleicherma�en ins Textbuch geschrieben hat und beides gut funktioniert – das ist gerade bei einem Film wie diesem, der davon erz�hlt, zu welchen Grausamkeiten Menschen in der Lage sind, eine gro�en Leistung.�
Foto: ZDF / Julia TerjungDie Heldin macht sich ein Bild im verlassenen Elternhaus der Rubins. Weshalb schliefen die Schwestern in einem Zimmer? Das Haus ist doch gro� genug. Levshin
Alina Levshin, Anna Loos & die allgegenw�rtige Logik des Schreckens
Und trotz solcher entlastender Momente bleibt in „Das Dorf der M�rder“ stets alles der Logik des Schreckens untergeordnet, was bei den Pekaris ihren Anfang nimmt. Der Mythos des schrecklichen Dorfes steigt nach und nach am Horizont auf, wahrgenommen allein von der Heldin. Es wird kein singul�res biographisches Ereignis gesucht, das irgendwann aus der Kiste springt. Der menschliche Horror schwelt, ist st�ndig sp�rbar. Das heruntergekommene, verlassene Kaff, der Rubinhof – wie er von der Tochter verlassen wurde, so steht er heute noch da, am Waldrand, das nasskalte Winterwetter tut das �brige. Die Polizistin und auch Charlies wohlbeh�tete Schwester, zusammen mit ihrem Psycho-Lover, gehen in diesem Haus auf Zeichen-Jagd. Immer wieder sind es also Bilder (das Unbehauste, P�ppchen als Symbole f�r die Rollen in der Kindheit, ein Metallbett, ein Schloss), die sich vor die Sprache schieben und den Zuschauer aktiv und suggestiv am Geschehen und dessen Entr�tseln beteiligen.
Anna Loos mit ihrem Hang zum Ein-Mienen-Spiel ist in ihrer tragenden Nebenrolle k�nstlerisch sehr viel �berzeugender als in einigen ihrer Hauptrollen („Mord in den D�nen“). Ihre Charlie Rubin ist ein Charakter voller kr�ftiger Frage- und Ausrufezeichen. Eine Frau, die sich nicht in die Karten gucken l�sst, wild, unvers�hnlich, unberechenbar. Sie schimpft, sie bellt, sie verh�lt sich wie ein verletztes Raubtier, das sp�rt, dass ihr letztes St�ndlein geschlagen hat. Alina Levshin in der Hauptrolle darf endlich mal wieder Blick-Schauspielerin sein wie in „Alaska Johansson“ oder „Kriegerin“. Ihre Polizistin ist eine Frau, die sich zu allem ihren Teil denkt (auch zum Kaffeeholen), zun�chst aber gehorsam schweigt, dann explodiert („Wenn Sie alle Ihre Arbeit machen w�rden, dann br�uchte ich mich nicht darum zu k�mmern“), bevor sie in aller Ruhe ihr Ding macht. Levshin ist ein gutes Medium f�r Steins Geschichte, denn sie trifft mit ihrem Spiel sehr genau die Tonlage des Films. Nur gegen Ende muss sich ihre Sanela Beara vom Genre geschlagen geben. Und dann ger�t auch noch Cara in die F�nge eines Dorfbewohners. Zwei junge Frauen in Gefahr – das muss als H�hepunkt eines �beraus spannenden Krimidramas wohl immer noch so sein. (Text-Stand: 30.9.2015)
Foto: ZDF / Julia TerjungDie erotische Anziehung in der zweiten Reihe des Films macht sich gut. Im Haus ihrer fr�hren Kindheit aber vergeht Cara (Anna Br�ggemann) sichtlich die Lust.
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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