Der neue „Polizeiruf“ mit Claudia Michelsen: Mehr Drama als Thriller
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Der neue ARD-„Polizeiruf“ mit Claudia Michelsen: Mehr Drama als Thriller

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Was weiß Gordon (Valentin Oppermann), der Sohn der Erzieherin (Maja Schöne, li.), über den Fall? Doreen Brasch (Claudia Michelsen, hi.) hat einen Verdacht.
Was weiß Gordon (Valentin Oppermann), der Sohn der Erzieherin (Maja Schöne, li.), über den Fall? Doreen Brasch (Claudia Michelsen, hi.) hat einen Verdacht. © Felix Abraham/MDR

Die Mutter hilflos, der Stiefvater gewalttätig, der Erzieher möglicherweise pädophil - in der neuen, sehenswerten Folge mit dem Titel „Ronny“ ermittelt „Polizeiruf“-Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) im Fall eines verschwundenen Zehnjährigen. Eine beeindruckend stimmige Milieustudie.

„Hast du meinen Geburtstag vergessen?“ – ein herzzerreißender Satz, von einem Kind via Smartphone an seine Mutter adressiert, gibt den Ton vor, der diesen „Polizeiruf 110“ (ARD) prägen wird, von der ersten bis zur letzten Minute. Hier sind alle mehr oder weniger verhärtet, verwundet, versehrt, hier wird Vernachlässigung von Generation zu Generation vererbt, ohne dass dies explizit erzählt werden müsste. Das Schicksal von „Ronny“, so auch der Titel dieser Episode, kündigt sich an durch die Schutzlosigkeit, unter der der Zehnjährige, gespielt von Johann Barnstorf, mutmaßlich seit seiner Geburt leidet. Ein Opfer der Verhältnisse.

Die Suche nach dem Vermissten bildet den dramaturgischen Rahmen einer Geschichte, die ohne plumpe Effekte auskommt. Wann hat man zuletzt einen Krimi gesehen, dessen Protagonistin so geduldig ihre Fragen stellt? Die nicht müde wird, ihren einsilbigen Gesprächspartnern jeden Satz mühsam aus der Nase zu ziehen? Claudia Michelsen ist schon lange angekommen in der Rolle der ebenso burschikosen wie sensiblen Magdeburger Ermittlerin Doreen Brasch, die in ihrer Person die eigenen Narben des Lebens nicht verbirgt.

Drehbuchautor Jan Braren legt seine Charaktere vielschichtig an, er zeigt Erwachsene, die offensichtlich gar nicht anders können, als so zu handeln, wie sie handeln – die Frau (Ceci Chuh), die ihren Sohn aus Angst nicht verteidigt, ihr Freund (Oskar Bökelmann), der als Erziehungsmethode nur die „harte Hand“ kennt, der Betreuer (Thomas Schubert), der es an professioneller Distanz zu seinen Schützlingen fehlen lässt. Und – seine Chefin (Maja Schöne), der mehr und mehr bewusst wird, welches Monster sie da selbst heranzieht.

Valentin Oppermann als Gordon ist der beeindruckendste Darsteller in einem hervorragenden Ensemble (Regie: Barbara Ott), er lässt in die Abgründe eines Menschen blicken, dem jegliche Empathie abhandengekommen zu sein scheint. „Ich weiß, dass ich eigentlich traurig sein sollte, aber ich bin’s nicht“ – noch so ein Satz, der angesichts des aktuellen Falls jugendlicher Mörder(-innen) erschauern lässt.

„Ronny“ ist kein Thriller, sondern ein Drama. Wenn schon ein Krimi in diesem Milieu, dann genau so.

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