Christian Neureuther über seine Rosi Mittermaier: "Fährt bei jedem Schwung mit" | Abendzeitung München
Interview

Christian Neureuther über verstorbene Ehefrau Rosi Mittermaier: "Fährt bei jedem Schwung mit"

Christian Neureuther feiert am Sonntag seinen 75. Geburtstag. In Teil 1 des großen AZ-Interviews spricht die Ski-Legende über seinen erfüllten Opa-Traum, den Geist seiner Rosi Mittermaier, einen bislang unbekannten Weltmeistertitel und die Kraftquelle nach dem Tod seiner großen Liebe.
| Florian Kinast
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Rosi Mittermaier und Christian Neureuther beim Skifahren auf dem Tiefenbachferner Gletscher in Tirol (Foto von 2002).
Rosi Mittermaier und Christian Neureuther beim Skifahren auf dem Tiefenbachferner Gletscher in Tirol (Foto von 2002). © imago sportfoto (imago sportfotodienst)

Für Christian Neureuther steht der 75. Geburtstag an. Die AZ hat die Ski-Legende kurz vor dem Ehrentag zum Interview getroffen.

AZ: Herr Neureuther, am Sonntag feiern Sie Geburtstag. Ist das Anlass für Sie auf einen Rückblick auf Ihre bisherigen 75 Jahre, oder schauen Sie lieber nach vorn auf das, was noch kommt?
CHRISTIAN NEUREUTHER: Das kann ich Ihnen ganz deutlich beantworten. Der bewusste Blick geht klar nach vorne, die Gedanken an das Vergangene kommen von ganz allein. Ich werde am Sonntag mit den Kindern Ameli und Felix, den Enkeln und den engsten Freunden auf der Zugspitze zum Skifahren gehen. Es hat frisch geschneit, die Sonne soll scheinen, es spricht viel für traumhafte Bedingungen an einem wunderbaren Frühlingstag. Natürlich werde ich da auch an früher denken. Dass es mir heute so geht wie einstmals dem Opa Mittermaier, der noch mit über 80 mit seinen Enkelkindern Felix und Ameli zum Skifahren gehen konnte. Das ist bis heute unvergesslich. Jetzt darf ich mit meinen Enkeln das Gleiche erleben und natürlich an Rosi denken, die sich das genau so gewünscht hätte. Dass die Rosi nicht mehr da ist, wird uns immer mit großer Trauer erfüllen. Aber ich verspüre Dankbarkeit und Zuversicht, weil sie mit ihrer positiven Lebenseinstellung in uns weiterlebt. Die Rosi fährt bei jedem Schwung mit.

In den in der vergangenen Woche im BR gesendeten "Lebenslinien" zogen Sie eine schöne Parallele zwischen den Spuren, die man im Schnee und im Leben zieht.
Ja, das ist ein wunderbarer Vergleich. Es gibt bei allen Sporterfahrungen nichts Schöneres, als bei Sonne oben auf einem Berg zu stehen, unter sich ein unverspurter Pulverschneehang und in den hineinzutauchen. Und wenn man dann unten abschwingt und zurückblickt, dann sieht man die Spuren, die man im Schnee hinterlassen hat. Auch im Leben gibt es Kraft, wenn man freudig auf das zurückblicken kann, was man so alles erlebt oder auch geschaffen hat. Am schlimmsten ist es beim Tiefschneefahren, wenn jemand hinter einem wieder die Spuren zerstört, und weil wir gerade bei Sinnbildern sind: Am schönsten ist es, wenn man zu zweit unvergessliche Spuren ziehen darf. So wie die Spuren, die Rosi in vielen Herzen hinterlassen hat. Da fällt mir ein, habe ich Ihnen schon mal erzählt, dass die Rosi und ich mal Zöpferl-Weltmeister waren?

Christian Neureuther: "Rosi und ich waren mal Zöpferl-Weltmeister"

Was für Weltmeister bitte?
Zöpferl-Weltmeister. Eine schöne Anekdote. 1983 in Kanada, ein Jahr, bevor der Felix auf die Welt kam. Es ging darum, so etwa 100 Schwünge zu zweit möglichst synchron und rund, direkt hintereinander als Achter in den Tiefschnee zu fahren. Am Ende musste es wie ein total symmetrischer Zopf aussehen. Ich war nervös, Fernsehen war da, viele Teams aus den USA, Japan und anderen Nationen, und natürlich Schiedsrichter. Sogar Manfred Vorderwülbecke, der Sportreporter vom BR, stand unten. Wir hatten das nie so richtig geübt, das Wetter an den Vortagen war schlecht und ich war mir sehr unsicher. Typisch Ehemann hab’ ich also kurz vor dem Start auf Rosi eingeredet: Denk an den Rhythmus, keine zu engen Radien, hör auf mein Hopp-Hopp-Hopp und so weiter. Da Rosi alles eher ziemlich egal war, sie freute sich viel mehr über die Sonne und den tollen Schnee, schaute sie mich nur verständnislos an und meinte: Warum bist du denn so nervös, ich habe doch meine Skiunterhose von Innsbruck 1976 an, was soll da passieren? Ich hätte sie würgen können, Gott sei Dank ging’s dann gleich los. Ja, das war typisch Rosi. Erste wollte sie eigentlich nie sein.

Und dann holten Sie den Titel.
Genau. Dann waren wir eben Zöpferl-Weltmeister. Diese Freude, mit der wir dort im vertrauten Miteinander unsere Schwünge in den Schnee ziehen durften, das ist sinnbildlich für die 57 Jahre, in denen wir zusammen waren. Immer im Einklang, immer im Gleichklang, vielleicht hier und da mal kleine Ecken und Kanten, aber im gegenseitigen Vertrauen, und vielleicht hat’s auch mal ein wenig gestaubt. Der Blick zurück auf diese gemeinsamen Spuren ist wichtiger als jeder Titel und lässt einen mit Dankbarkeit nach vorne blicken.

Neureuther über Rosi: "Wie gut, dass ich in diesem Zweierbob des Lebens eine Bremserin hatte"

Ihre drei Olympia-Medaillen von Innsbruck hat sie doch in irgendeine Schublade verräumt und nie mehr angeschaut, stimmt’s?
Ja, weil die völlig unbedeutend für sie waren und weil wir auch nicht wollten, dass sich unsere Kinder auch zu Hause damit auseinandersetzen müssen. Der Rosi ging’s immer um den Zusammenhalt, privat, in der Familie, im Sport in der Gesellschaft. Die Rosi hat ja selbst am Start ihrer ärgsten Konkurrentin noch Tipps gegeben, wie man am besten die Ideallinie fährt. Für mich in all den Jahren immer wieder unfassbar und einzigartig. Solch eine Frau so lange an meiner Seite zu haben und schon als junger Bub in sie verliebt sein zu dürfen, ein größeres Glück hätte mir nicht passieren können.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Ihre Tochter Ameli sagte einmal vor vielen Jahren, sie würde ihre Eltern ganz unterschiedlich wahrnehmen. Sie, der Papa, eher sensibel und emotional. Die Rosi, die Mama, hingegen der unerschütterliche Ruhepol.
Ich glaube, wir haben uns in dieser Unterschiedlichkeit ganz gut ergänzt. Ich war immer auf der Suche, neue Dinge auszuprobieren, Risiken einzugehen und dorthin zu gehen, wo die Luft dünner wird. Am Normalen war ich nie so interessiert. Wie gut, dass ich in diesem Zweierbob des Lebens eine Bremserin hatte, die verhindert hat, dass wir aus der Kurve geflogen sind. Rosi war es bei unseren Bergtouren nicht wichtig, den Gipfel zu erreichen, mir schon. Ich wollte genau dort die Einzigartigkeit des Sonnenuntergangs erleben, dieses unvergleichliche Gefühl, in diesem Augenblick mit Rosi dort oben zu sein, so etwas hat mich extrem angetrieben. Für Rosi war dieses fast Rastlose nicht immer leicht, aber sie hat mir immer zu verstehen gegeben, wie dankbar auch sie war, dass ich sie auf Flüge mitgenommen habe, die sie sonst nie erlebt hätte. Das Allerwichtigste war für sie die Zeit, die wir zusammen verbringen durften. Wo das war, ob oben oder unten oder mittendrin, das war zweitrangig.

"Die letzten gemeinsamen Monate waren sicher die intensivste Zeit meines Lebens"

Wenn in einer jahrzehntelangen glücklichen Beziehung jemand stirbt, dann ist es doch oft so, dass auch der oder die Hinterbliebene bald danach folgt. Weil ihm oder ihr die Energie fehlt, weil der Sinn des Daseins abhandengekommen ist. Weil es reicht, weil man nun auch loslassen möchte. Nach Rosis Tod Anfang Januar 2023, was gab Ihnen die Kraft, weiterzumachen, weiterzuleben?
Weil sie uns allen, den Kindern und mir, in den Monaten der Krankheit als Vermächtnis auf den Weg gegeben hat, dankbar für alles Erlebte zu sein, dankbar zurückzublicken, aber den Blick nach vorne zu richten. Und an die Kinder zu denken, nicht nur die eigenen, sondern dass wir uns einsetzen, dass Kinder ein Rüstzeug fürs Leben bekommen. Die Art, wie Rosi ihre Krebsdiagnose angenommen hat, ohne ein einziges Mal zu jammern, die täglichen Spaziergänge mit ihr in jener Zeit, die vielen von Zuversicht geprägten Gespräche – es mag seltsam klingen, aber diese letzten gemeinsamen Monate waren sicher die intensivste Zeit meines Lebens, aber auch eine wunderbare Zeit.

Weinen Sie manchmal, wenn Sie an die Rosi denken?
Ja, es gibt immer wieder sehr emotionale Situationen, wo die Tränen kommen. Aber nie aus Verzweiflung, weil sie nicht mehr da ist, sondern weil ich so gerne mit ihr weitere besondere Augenblicke erlebt hätte. Besonders die mit den Enkeln. Ich habe mich auch mit dem Thema Resilienz beschäftigt. Dabei geht es auch darum, aus einem schweren Schicksalsschlag stärker herauszukommen. Ich lese auch den grandiosen Axel Hacke: "Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten". Das Buch hat mir meine Tochter Ameli geschenkt. Solche Ansichten zu reflektieren sind sehr hilfreich. Hinzu kommt sicher auch meine Kindheit oben in unserem Berghaus bei Garmisch. Da wurde Disziplin verlangt, und Aufgeben war wirklich nie eine Option.


Lesen Sie hier Teil 2 des großen AZ-Interviews mit Christian Neureuther

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
Noch keine Kommentare vorhanden.