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Ami mit Sinn fürs Heckenschneiden

Als Werbeprofi kam Charles Greene von New York nach Düsseldorf und lernte, die Deutschen zu lieben. Jetzt hat er sogar einen deutschen Pass

Kein Zweifel, der Mann ist ein echter Deutscher. Man sieht es auf den ersten Blick: Seinen Ehering trägt er rechts. Nie würde ein Amerikaner das tun. Zwar hat er, etwas schräg, aber wild entschlossen, seine Mailbox noch in astreinem Englisch mit „It‘s a lovely day today“ besungen. Ansonsten jedoch ist es Mr. Charles Greene nach hartnäckigem Bemühen gelungen, den ihm von Geburt an eigenen Status des Amerikaners endlich loszuwerden. Um künftig, nach über 30 Jahren in Düsseldorf, als deutscher Staatsbürger mit uns zu leben und zu arbeiten.

Der zähe Kampf um Brief und Siegel dauerte ein ganzes Jahr. Parallel dazu schrieb sich Mr. Greene seine Start-Schwierigkeiten in der Wahl-Heimat, seine keimende Zuneigung zu seinen rheinischen Mitmenschen und sein wachsendes Verständnis für ihre Spielregeln von der Seele. Jetzt lächelt uns auf froschgrünem Cover milde ein Gartenzwerg entgegen, dessen Laterne den erstaunlichen Schriftzug erleuchtet: „Wie ich lernte, die Deutschen zu lieben“.

Oft steigert er in dem Buch seine kleinen Episoden ins Absurde, überzieht die Satire, bis sie kippt. Warum trägt er so dick auf? Keine Angst, mit starkem Tobak missverstanden zu werden? „Es ist ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege“, gibt er zu, „und manchmal falle ich eben um. Ich schreibe, was ich empfinde, möchte die Leute durch Schmunzeln zu etwas Ernsthaftem hinführen. Mein Buch ist ein Bekenntnis zu den Macken der Deutschen. Am Ende behaupte ich ja, dass genau diese Macken für die Gesellschaft wichtig sind, eine Gesellschaft, in der Fairness und Konsens vorherrschen.“ Er macht eine kleine Pause, fährt sich durchs leicht strubbelige graue Haar, rückt die Brille zurecht und setzt noch einmal nach: „Ja, es stimmt, die Deutschen sind für mich das fairste Volk der Welt. Wenn ich das sage, schütteln viele ungläubig den Kopf. Mittlerweile merke ich, dass ich versuche, den Deutschen die Deutschen zu verkaufen. Und das, glauben Sie mir, ist schwerer, als jemandem Waschmittel anzudrehen.“

Mit Waschmitteln kennt Charles Greene sich prima aus. Auch mit Fruchtzwergen und der Punica-Oase. Mit Dr. Best, Odol und der Dreifach-Prophylaxe. Katzen servierte er ihr feines Sheba-Futter inklusive Petersilien-Bouquet. Kurzum: Charles Greene ist ein Werbe-Profi, dachte sich für die Düsseldorfer Agentur Grey als „Creative Director“ jahrzehntelang Kampagnen aus. Vor vier Jahren, mit 60, hörte er auf und gründete seine eigene Ideen-Schmiede „Dorn im Auge“. Jetzt stellt er seine Kreativität beratend zur Verfügung, hält sieben oder acht Patente und besitzt zum Beispiel Gebrauchsmusterschutz für Werbung auf der Innenseite von Pizzakartons. „Die Werbung lässt mich nicht los, ich muss nur darauf achten, damit auch mal etwas zu verdienen“, sagt er, lacht sein wieherndes Lachen.

Aber ganz so schlimm wird‘s schon nicht sein. Sein ältester Sohn ist Rechtsanwalt in Washington, eine Tochter macht ein Praktikum bei einer PR-Agentur in Düsseldorf, ein Sohn studiert an der Filmhochschule in München. Die beiden Kinder von Gattin Nr. 3, Schottin und ebenfalls Creative Director bei Grey, sind erst sechs und sieben Jahre alt, aber enorm einfallsreich. Ihr Vater weist verlegen auf einen nicht mehr zu entfernenden tintenblauen Pfeil auf dem schneeweißen Sofa im Wohnzimmer: „Die sind beim Spielen auf Schatzsuche gewesen und haben wohl etwas markiert.“ Charles Greene ist und bleibt vorerst der einzige Deutsche in der weit verzweigten Familie. In die Wiege gelegt war ihm das wahrlich nicht, waschechter als er kann ein Ami nicht sein. „Alle meine Vorfahren wanderten zwischen 1640 und 1730 aus Irland und Schottland nach Amerika aus“, erzählt er. „Sie kämpften im Bürgerkrieg, einer heiratete sogar die Schwester von George Washington.“ Den jungen Charles, Lehrer, engagierter Vietnamkrieg-Gegner und zeitlebens skeptischer Betrachter der US-Regierung, zog es zum erstenmal Ende der 50er Jahre nach Europa, wo er sich in Heidelberg als erstes einen Jägerhut kaufte. Als er in die Werbung ging und ihn seine Agentur von New York nach Düsseldorf schickte, glaubte er, im Crashkurs in der Berlitz-School in einer Woche alles Erforderliche fürs Überleben in einem deutschem Büro gelernt zu haben: Den Job trat er stolz und selbstbewusst mit dem Satz an: „Der Bleistift ist gelb“. Grammatik zu pauken war auch später nicht sein Ding: „Ich hatte die Wahl - wollte ich Deutsch lernen oder wollte ich kommunizieren? Verstanden zu werden erschien mir effektiver.“ Jetzt, nach über 30 Jahren Übung, hat er zu seiner großen Freude das zunächst undurchdringliche Regelwerk der Deutschen entwirrt: „Für alles gibt es ein Gesetz. Und das Leben wird dadurch so einfach, so logisch. Es ist doch gut, wenn man weiß, dass eine Hecke 1,80 Meter und nicht höher werden darf, oder?“ Als Beispiel für dennoch vorhandene Flexibiliät führt er lobend den Hundekot auf unseren Straßen an: „Erlaubt ist dieser Schmutz natürlich nicht. Toll, dass die Leute sind darauf geeinigt haben, manche Vorschriften einfach zu ignorieren!“

Charles Greene, Wie ich lernte, die Deutschen zu lieben, Eichborn-Verlag, 12,95 Euro

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