Berliner Clubs in der Dauerkrise: „Die Dramatik der Situation wird nicht erkannt“

Lange Nächte, kurzer Atem? Berliner Clubs in der Dauerkrise

Der Winter war warm, für die Berliner Clubs aber nicht ertragreich. Nach einem schwierigen Jahr blicken sie einer prekären Zukunft entgegen. Die Politik verspricht viel und tut wenig.

Allzeit-Renner: Das Berghain ist wohl einer der wenigen Clubs ohne Zukunftssorgen.
Allzeit-Renner: Das Berghain ist wohl einer der wenigen Clubs ohne Zukunftssorgen.Marshl Ceron Palomino für Berliner Zeitung am Wochenende

Wer in der Nacht von Samstag auf Sonntag von der Jannowitzbrücke kommend von der Brückenstraße in die Köpenicker Straße abbiegt, muss sich an Hunderten von Menschen vorbeidrängeln.

Die meisten von ihnen tragen lange Mäntel und darunter wenig: Sie stehen am Fetischclub KitKat an. Etwas weiter, linker Hand der Köpenicker, lässt sich ein ähnlicher Auflauf beobachten. Auch in den Tresor wollen in der Regel mehr Menschen, als hineinpassen. Die Nachfrage überbietet das Angebot. Wer vor diesen beiden Clubs ansteht, braucht einen langen Atem.

Marktvolumen von zehn Milliarden Euro

„Berliner Clubs droht die Puste auszugehen“, warnte hingegen der Lobbyverband der Szene, die Clubcommission, noch vor kaum einem halben Jahr. In Hinblick auf den Andrang vor KitKat, Tresor oder dem Berghain überrascht das. Clubmusik ist wieder im Mainstream angekommen, und zumindest in der Breite läppert sich das. Ein Bericht des International Music Summits schätzte für das Jahr 2023 das internationale Marktvolumen des Geschäfts mit elektronischer Tanzmusik auf mehr als zehn Milliarden Euro, das Geld wird maßgeblich über Events generiert.

Marcel Weber, Vorsitzender der Clubcommission und Betreiber des Schwuz
Marcel Weber, Vorsitzender der Clubcommission und Betreiber des SchwuzMarshl Ceron Palomino für Berliner Zeitung am Wochenende

Geringere Einnahmen treffen auf höhere Ausgaben

Woher stammt also diese Kurzatmigkeit? Weil alte Probleme auf neue treffen: Lärmbeschwerden und Grundstücksspekulation machen der Szene in der immer dichter besiedelten Stadt seit langem zu schaffen, merklich verlagerte sich das Nachtleben im Laufe des vergangenen Jahrzehnts aus der Innenstadt heraus. Stand die Griessmühle bei ihrer Eröffnung im Jahr 2012 noch in Spuckweite der Ringbahn, fand das dortige Team nach dem Ankauf des Geländes durch eine Investmentgesellschaft im Jahr 2020 in Schöneweide ein neues Zuhause. Deutlicher ließe sich die Verdrängung nicht versinnbildlichen.

Vor allem aber spitzte sich in den vergangenen Jahren die wirtschaftliche Situation zu. Erst kamen die Pandemie und ihre unterschiedlichen Auswirkungen, dann eine Inflation und ein sie ebenso wie eine Energiekrise antreibender Krieg. Künstlergagen und Personalkosten ebenso wie Handseife, Bier, Strom und Gas – alles wurde teurer. Und zwar nicht nur für die Clubs. Der Clubtourismus läuft schleppender als in Vorpandemiezeiten, selbst das örtliche Publikum schaut genauer auf die Ausgaben und geht ausgewählter feiern. Ein Teufelskreis: Geringere Einnahmen treffen auf höhere Ausgaben, die nicht ohne weiteres wieder hereingeholt werden können, weil noch höhere Preise umso mehr Gäste abschrecken würden.

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Stromrechnung über 20.000 Euro

In dem von der Clubcommission veröffentlichten Club-Monitoring gaben 55 Prozent der befragten Clubs an, sich um ihren Fortbestand nach Ende des Jahres 2023 zu sorgen. Die wenigsten von ihnen schlossen tatsächlich ihre Türen – um falschen Alarm habe es sich laut Marcel Weber, dem Vorsitzenden der Clubcommission, dennoch nicht gehandelt. „Die Luft ist weiterhin knapp“, sagt er. Auch in den von ihm betriebenen Club SchwuZ kämen weiterhin weniger Menschen als noch vor 2020. Die Umsätze an der Bar seien zwar ungefähr gleich geblieben, angesichts der Inflation aber de facto gesunken, während größere Posten als zuvor bezahlt werden müssen.

Vor kurzem flatterte eine Rechnung für den Stromverbrauch 2022 herein: rund 20.000 Euro. „Wir wussten, dass das kommen würde, und haben Rücklagen gebildet“, erklärt Weber, der derzeit noch auf Rückzahlungen für Heizung und Wasser wartet. „Aufgrund unserer Größe können wir uns das allerdings eher leisten als andere, die von der Hand in den Mund leben. Bei einem kleinen Club tun 5000 Euro ganz schön weh.“ Auch die großen und gut laufenden Clubs, vermutet er, werden allerdings kaum mit Gewinn aus dem Vorjahr rausgegangen sein.

Das ://about:blank am Markgrafendamm konnte den Energiepreisen ebenfalls beim Steigen zusehen, fast 50 Prozent mehr kosten Strom und Gas im Vergleich zum Jahr 2019. Anders als andere muss der seit 14 Jahren in der Szene etablierte Club immerhin keine Rückforderungen von Coronahilfen oder Krediten abstottern. Doch der Umsatz brach ein. „Wir verdienen uns im Sommer unseren Winterspeck – der Laden ist voll, es kommen viele Menschen von außerhalb. Das war in diesem Jahr nicht so“, erklärt die Clubsprecherin. In der kommenden Frühlings- und Sommersaison soll es deshalb zusätzliche Veranstaltungen im Außenbereich geben, um das Budget aufzustocken.

„Die Stimmung ist hasserfüllt, die Dynamik krass“, sagt die Sprecherin des ://about:blank.
„Die Stimmung ist hasserfüllt, die Dynamik krass“, sagt die Sprecherin des ://about:blank.Marshl Ceron Palomino für Berliner Zeitung am Wochenende

Geruch von Beton und Abgasen

Das Angebot zu verbreitern, anstatt zur Kompensation der erhöhten Ausgaben die Preise an der Tür und der Bar anzuheben, ist sowohl dem SchwuZ wie auch dem ://about:blank ein Anliegen. Für den Eintritt und Getränke muss das Publikum zwar in beiden Clubs mehr bezahlen als in den Jahren zuvor, doch „ewig an der Preisspirale zu drehen“, so Weber, sei weder möglich noch erwünscht: Feiern solle insbesondere für eine Institution, die für die queere Szene der Stadt so eine zentrale Rolle spielt, weiterhin sozialverträglich bleiben.

Ein Club nahm eben jene Preisspirale zum Anlass, den Betrieb einzustellen. Im Dezember fand im Mensch Meier die letzte offizielle Party statt. „Wir sind an dem Punkt angelangt, wo unsere Mitarbeiter nicht mehr zu unseren Partys gehen würden, weil sie zu teuer sind“, erklärte eine Angestellte dem Magazin Groove. „Das ist für uns nicht akzeptabel und ein Grund, weshalb wir nicht mehr weitermachen möchten.“ Das SchwuZ, das ://about:blank sowie das OXI am Ostkreuz reagierten auf diese Dynamik, indem sie Veranstaltungen mit vergünstigtem oder kostenfreiem Eintritt anbieten. Das könnte sich auch positiv auswirken: Vielleicht werden diese Clubs voller und die Kühlschränke hinter der Bar leerer.

Ob das insbesondere bei den beiden letztgenannten Clubs den Rave dauerhaft retten wird, ist fraglich. Über der Existenz beider hängt seit jeher ein Damoklesschwert. Der Bau des 17. Bauabschnitts der A100 würde ihren Betrieb, ebenso wie auch den der Wilden Renate und einiger anderer beliebter Adressen in Ostkreuznähe, entweder stark beeinträchtigen oder sie zur Schließung zwingen. Der vom Bund beschlossene Autobahnausbau wurde zwar von vorigen Stadtregierungen geduldig ausgesessen, doch hat sich mit der letzten Berlinwahl der politische Wind in der Stadt gedreht. Er lässt den Geruch von Beton und Abgasen durch eine der beliebtesten Ausgehmeilen der Stadt wehen.

Blick aus dem Wohnwagen auf dem Hof des ://about:blank - drinnen bunt, draußen die graue Realität.
Blick aus dem Wohnwagen auf dem Hof des ://about:blank - drinnen bunt, draußen die graue Realität.Marshl Ceron Palomino

Die CDU hat den Ausbau wieder priorisiert und will ihn trotz Protesten aus der Bevölkerung und der Kulturszene voranbringen. Zwar stellt die Partei den je nach Zählung zwischen 20 und 30 potenziell betroffenen Clubs und Kultureinrichtungen einen Umzug in Aussicht. Doch wohin genau es gehen könnte, weiß niemand so recht. Christian Goiny, clubpolitischer Sprecher der CDU, gibt auf Anfrage zu Protokoll, dass es bereits „eine Liste von Grundstücken, die bei der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH liegen“, gebe. Deren Eignung als neue Clubstandorte müsse im Einzelfall allerdings noch geprüft werden. Konkrete Pläne gibt es also nicht.

Goiny betont, dass es in der Vergangenheit häufiger gelungen sei, den Fortbestand diverser Clubs durch politischen Einsatz zu retten. Im Falle eines neben dem Mensch Meier im Vorjahr ebenfalls geschlossenen Clubs trifft das tatsächlich zu. Nachdem die Re:mise in der Köpenicker Straße mit ihrem Vermieter keine Einigung zur Verlängerung ihres Mietvertrags erzielen konnte, kam es dank des Einsatzes der Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson zum nachträglichen Kompromiss: In Zukunft soll die Kulturraum GmbH das Gelände anmieten und für Veranstaltungen zur Verfügung stellen.

Goiny weist überdies darauf hin, dass sich auch anderswo für unter anderem eine Mietverlängerung des YAAM, die Lösung rechtlicher Probleme des Holzmarkts 25, die Sicherung der Clubs Tresor und Ohm im Kraftwerk sowie den Erhalt und die Weiterentwicklung der Alten Münze als subkultureller Standort eingesetzt würde. Doch waren die Mühen im letzten Fall wohl vergeblich: Vor kurzem wurde bekannt gegeben, dass nach Streichung der Haushaltsgelder für das ambitionierte Projekt das gesamte Areal dauerhaft an ein privates Unternehmen vermietet wird, das dort ebenfalls einen Club betreibt.

„Die Dramatik der Situation wird nicht erkannt“

Die Entscheidung steht symbolisch für eine Stadtpolitik, die mehr Geld denn je zur Förderung von Kultur bereitstellt und deren Entscheidungen dennoch den Markt zu übervorteilen scheinen. Die hiesige Clubszene konnte lange Zeit politisch davon profitieren, dass sie als Standortfaktor und Tourismusmagnet gilt: 1,5 Milliarden Euro flossen laut einer Studie dank Clubtourismus im Jahr 2018 in Sparten wie Gastronomie und Hotellerie. Doch inmitten multipler wirtschaftlicher Krisen droht die voreinst stolze Summe – wenn sie denn überhaupt noch in dieser Höhe eingenommen wird – als politisches Argument zumindest für die kleineren und weniger zugkräftigen Clubs an Schlagkraft zu verlieren.

Kaum jemand repräsentiert den kulturpolitischen Umschwung Berlins so sehr wie Joe Chialo (CDU), der ehemalige Türsteher, Metal-Sänger, Manager unter anderem der Kelly Family und Labelbetreiber beim größten Musikkonzern der Welt, der im vergangenen Frühling den Posten des Kultursenators von Klaus Lederer (Die Linke) übernahm. Er gibt sich als Freund der Clubszene, hält aber bei Veranstaltungen Lobreden auf den Ausbau der A100 vor Menschen, deren eigene Clubs und Existenzen davon bedroht sind, oder schnalzt mit der Zunge, wenn er darauf angesprochen wird, dass sich das Publikum die Kosten eines Clubbesuchs immer weniger leisten könne: Das sei ein Problem der Clubbetreibenden.

Was betriebswirtschaftlich gesprochen wohl nicht falsch ist, mutet aus dem Mund eines Kulturpolitikers mindestens seltsam an. Schließlich sind Clubs eben nicht privatwirtschaftliche Vergnügungsstätten wie Spielhöllen oder Bordelle, sondern „Anlagen für kulturelle Zwecke.“ Seit wenigen Jahren sogar ganz offiziell. Oder so halb zumindest. Das Berliner Abgeordnetenhaus war federführend darin, den Status von Clubs aufzuwerten: Im November 2020 beschloss es, sie als Kulturstätten anzuerkennen. Der Bundestag folgte dem ein halbes Jahr später und entschied, dass die Anerkennung auch in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) festgehalten werden solle. Seitdem jedoch passierte: nichts.

Nachtschwärmer auf der Köpenicker Straße. Wird Berlin bald ohne sie auskommen müssen?
Nachtschwärmer auf der Köpenicker Straße. Wird Berlin bald ohne sie auskommen müssen?

Caren Lay seufzt, wenn sie auf das Thema angesprochen wird. Die Linke-Politikerin setzt sich Jahren für die Clubszene Deutschlands ein, ist Mitbegründerin des Parlamentarischen Forums für Clubkultur auf Bundesebene und war maßgeblich daran beteiligt, Clubs durch die ersten Jahre der Pandemie zu retten. Der Entschluss des Bundestags war ein Teilerfolg, sagt sie. „Seitdem aber die Ampel verantwortlich ist, stockt es leider.“ Sie verweist auf die zahlreichen Schließungen von Clubs in der gesamten Republik sowie auf Clubs, die sich derzeit wirtschaftlich und anderweitig existenziell bedroht sehen. „Die Dramatik der Situation wird nicht erkannt“, lautet ihr Urteil.

In der Festschreibung in der BauNVO sieht Lay vor allem einen Hebel gegen drohende Verdrängung. „Würden Clubs genauso behandelt wie Konzerthäuser oder eine Oper, wäre es schwieriger, sie wegzuekeln.“ Oder aber: einfacher, neue zu errichten, und zwar im Herzen der Stadt. Auch Marcel Weber von der Clubcommission, Mitinitiator der Kampagne #clubsAREculture, unterstreicht die Wichtigkeit der Maßnahme: „Diese Definitionsfrage wird entscheiden, wie vielfältig unsere Kulturlandschaft in Zukunft sein wird.“ Neben Schutz vor Verdrängung würde ein Einlenken des sich bisher noch gegen eine Implementierung des Beschlusses sträubenden Bauministeriums ebenfalls „die Möglichkeit, Förderstrukturen zu etablieren“ eröffnen.

Wie hilfreich es wäre, über mehr öffentliche Gelder zu verfügen, weiß Weber aus erster Hand zu berichten. Der von der Clubcommission im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe verwaltete Schallschutzfonds ermöglicht es, Clubs in dicht besiedelten Wohngebieten aufzurüsten und damit Lärmbeschwerden abzuwenden, die seit Wiedereröffnung der Clubs wieder zugenommen haben. Denn auch eine von Lay ebenso wie von #clubsAREculture vehement geforderte Änderung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) auf Bundesebene steht weiterhin aus: Was aus Clubs zu hören ist, wird weiterhin als Industrielärm, nicht aber als Kulturschall gewertet.

Auch diese Frage ist nicht allein eine definitorische, sondern hätte konkrete bürokratische Auswirkungen. „Damit stehen und fallen viele Veranstaltungen“, erklärt Marcel Weber. Genehmigungen würden erleichtert, ein Eingreifen der Polizei in den laufenden Betrieb wegen Lärmbeschwerden vereitelt. Caren Lay fordert als Lösung eine Lockerung der Lärmrichtlinien, Christian Goiny wünscht sich mehr Dialog zwischen Ordnungsbehörden und Clubs. Solange aber keine verbindlichen Lösungen gefunden werden, können ein paar Anrufe aus der Nachbarschaft Clubs auf lange Frist den Garaus machen.

Während die hiesige Clubszene ums wirtschaftliche Überleben kämpft, schwinden die Perspektiven für ihren Erhalt oder gar Ausbau, weil es politisch nicht vorangeht. Obendrein geht es in der Szene zugleich hoch her. Seit dem 7. Oktober 2023 kommt es in der gesamten Kulturbranche zunehmend zu Zerwürfnissen über ideologische Fragen, in der Clubszene aber intensiver als anderswo. Denn die Sache hat, vor allem dank des zunehmenden Einflusses der vielfach als antisemitisch kritisierten Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) und anderer, eine Vorgeschichte.

Das RAW-Gelände an einem Samstagabend
Das RAW-Gelände an einem Samstagabend

Das ://about:blank setzt sich seit seinem Bestehen offen gegen Antisemitismus ein und reagierte in diesem Sinne auch im Jahr 2018 auf eine Kampagne, in deren Rahmen DJs aus aller Welt ihr Publikum wissen ließen, dass sie nicht mehr in Israel spielen würden. Weil ein externes Veranstaltungskollektiv ebenfalls teilnahm, sagte der Club eines seiner anstehenden Events im ://about:blank ab. Ein gemeinsam veröffentlichtes Statement glättete die Wogen nicht mehr. Seitdem wurde der Club immer wieder Ziel von Boykottaufrufen und harscher Kritik. „Weil wir bestimmte Narrative nicht mittragen und als antisemitisch kritisieren, werden wir als pro-israelisch beziehungsweise zionistisch angesehen“, erklärt die Sprecherin.

Im ://about:blank finden zwar regelmäßig israelische und palästinensische DJs zusammen und immer wieder Veranstaltungen statt, die sich mit dem Thema beschäftigen und versuchen, zu Austausch und Verständigung beizutragen, wie etwa vom Parents Circle, einem um Versöhnung bemühten Zusammenschluss von Hinterbliebenen der Opfer des Nahostkonflikts. In den Augen vieler gilt das aber offenkundig wenig. Die Sprecherin des Clubs betont, dass der Konflikt nicht auf dem Dancefloor geklärt werden könne und das ://about:blank deshalb versuche, das Augenmerk auf die Auseinandersetzung darüber zu richten. Das scheint heute notwendiger denn je.

Öffentliche Diskussionsangebote

Seit dem 7. Oktober hat sich die Diskussion auf die gesamte Szene ausgeweitet. Ständig werden vereinzelte Auftritte oder ganze Veranstaltungen mit Berufung auf verschiedene Positionierungen über oder vor dem Hintergrund des Nahostkrieges abgesagt. In koordinierten Aktionen werden DJs bisweilen sogar dazu aufgefordert, bestimmte Clubs zu meiden. „Die Stimmung ist hasserfüllt, die Dynamik krass“, sagt die Sprecherin des ://about:blank. „Was ändert das konkret an der Situation von Palästinenser:innen in Gaza oder jüdischen Menschen überall auf der Welt? Und was für Künstler:innen, deren Auftritte abgesagt werden – ob nun von ihnen selbst oder anderen?“, fragt Weber angesichts der zunehmenden Eskalation.

Als Vorstandsvorsitzender der Clubcommission will Weber eine Vermittlerrolle einnehmen, doch zog der Verband wegen eines öffentlichen Statements sowie privaten Aussagen einzelner Mitglieder selbst Kritik auf sich. „Wir befinden uns in einem Prozess, um herauszufinden, wie wir damit umgehen sollen“, erklärt er. Der Auseinandersetzung sollen bald öffentliche Diskussionsangebote folgen, um Raum für mehr Dialog und Verständigung zu schaffen. Ob das gelingen kann, ist eine andere Frage.

„Es kann schon sein, dass es die Szene spaltet. Und auch Themen wie Rassismus und Sexismus können ähnliche Effekte haben, und wir müssen sie dennoch problematisieren.“

Marcel Weber, Clubcommission und Schwuz

Nachdem Kultursenator Chialo mit der mehr als umstrittenen und mittlerweile wieder zurückgezogenen Einführung einer Anti-Diskriminierungsklausel für Kulturförderung noch mehr Öl auf den Flächenbrand gegossen hatte, wurde selbst das CTM Festival for Adventurous Music and Art (ehemals Club Transmediale) zur Zielscheibe einer weiteren Kampagne. Über 20 Acts sagten ihre Auftritte ab, obwohl sich das Festival kritisch gegen die Klausel äußerte, zum Spenden an Hilfsorganisationen in den palästinensischen Gebieten aufrief und seit 25 Jahren als vorurteilsfreie Plattform für den Dialog zwischen den unterschiedlichsten Perspektiven dient. Bisweilen hat es den Anschein, als solle ein solcher bewusst und gezielt unterbunden werden.

Ist die jahrelange Party vorbei? Katerstimmung im Berliner Nachtleben
Ist die jahrelange Party vorbei? Katerstimmung im Berliner NachtlebenMarshl Ceron Palomino für Berliner Zeitung am Wochenende

Die Situation ist nicht nur für israelische und jüdische Menschen in der Stadt, die sich von der Clubszene im Stich gelassen fühlen, und palästinensische, die das politische Klima als repressiv empfinden, emotional aufreibend. Die Zerwürfnisse schaffen auch immer mehr Konflikte innerhalb der Belegschaften von Clubs, für die wegen abgesagter Auftritte und Veranstaltungen obendrein mehr Arbeit anfällt. Der Druck nimmt zu, der Stress zermürbt. Welche Perspektiven wirft dieser zusätzliche Brandherd in Zeiten einer veritablen Polykrise auf?

Weber, dessen Club selbst Ziel eines Boykottaufrufs wurde, will der Diskussion nicht ausweichen. „Es kann schon sein, dass es die Szene spaltet. Und auch Themen wie Rassismus und Sexismus können ähnliche Effekte haben, und wir müssen sie dennoch problematisieren.“ Er wünscht sich mehr „Ambiguitätstoleranz“ auf allen Seiten und fordert konstruktiven Optimismus: „Es geht jetzt darum, Perspektiven der Hoffnung zu entwickeln.“ Die Sprecherin des ://about:blank denkt nicht, dass die Zerwürfnisse über geopolitische Ereignisse die kollektive Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene hemmen werden. Sie hofft darauf, dass neue Allianzen entstehen. „Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft in dieser Stadt miteinander Kultur machen wollen – und was dabei tragbar ist und was wir ablehnen.“

Also eine neue Geschlossenheit in Zeiten zunehmender Spaltung? Das wäre wünschenswert. Denn noch sind die meisten der Clubs, die im Herbst über die Clubcommission ein Alarmsignal an Politik und Bevölkerung aussandten, geöffnet. Die Schlangen mögen nicht so lang sein wie noch vor Jahren und die Kassen nicht mehr so voll. Der Wille aber bleibt ungebrochen, selbst wenn sich auf dem Weg nach vorne einige verabschieden müssen. Versinnbildlicht wird das wohl am ehesten vom Trabi, der nach der Schließung des Mensch Meier von dort in den Garten des ://about:blank umzog. Der Club würde so bei ihnen weiterleben, sagt die Sprecherin. Und fügt mit Blick auf die kommende Zeit hinzu: „Wir haben die Puste noch!“