�Ein Drama um Leben und Tod in der juristischen Grauzone: Weil ihre Mutter nach einer Gehirnblutung ins Wachkoma f�llt, aber keine Patientenverf�gung ausgef�llt hat, geraten die beiden T�chter in dem ZDF-Montagsfilm „Bring mich nach Hause“ (Rowboat) in einen existenziellen Konflikt und in ein moralisches Dilemma. Sollen die lebensverl�ngernden Ma�nahmen trotz des zunehmenden k�rperlichen Verfalls der Mutter (eindrucksvoll: Hedi Kriegeskotte) aufrecht erhalten werden? Und: Was d�rfen die T�chter unternehmen, ohne sich strafbar zu machen? Silke Bodenbender und Anneke Kim Sarnau bew�ltigen �berzeugend den emotionalen Parforceritt in einem bedr�ckenden Fall. Eine verdienstvolle Filmarbeit, die dazu motivieren k�nnte, sich endlich mit der leidigen Patientenverf�gung zu besch�ftigen.
Foto: ZDF / Hannes HubachVerdienstvoll, aber auch ein Film der scharfen Kontraste. Starke Leistungen aller drei Hauptdarstellerinnen: Silke Bodenbender, Anneke Kim Sarnau und Hedi Kriegeskotte
Als Martina Hartwig (Hedi Kriegeskotte) in ihrer K�che zusammenbricht, ist sie gl�cklicher Weise nicht allein: Tochter Ulrike (Silke Bodenbender) liefert gerade den j�ngsten Enkel ab, auf den die Oma in den n�chsten Stunden aufpassen sollte. Die sofort alarmierten Not�rzte schaffen es in dem Drama mit dem etwas missverst�ndlichen Titel „Bring mich nach Hause“, die alte Dame wiederzubeleben. Aber war die Rettung wirklich ein Gl�ck? Martina Hartwigs Gehirn ist nach einer Blutung schwer gesch�digt. Sie kann zwar nach einiger Zeit wieder selbst�ndig atmen, was Ulrike ebenso Mut macht wie der bizarre Moment, in dem ihre Mutter pl�tzlich die Augen aufschl�gt. Aber aus dem Wachkoma jemals wieder genesen ins Leben zur�ckzukehren, w�rde an ein Wunder grenzen. Nimmt Martina Hartwig ihre Umgebung noch wahr? Was empfindet sie? F�r die Angeh�rigen ist die Ungewissheit schwer ertr�glich. Sie sprechen mit ihr, streicheln ihre H�nde und das Gesicht, bringen Geschenke mit, spielen ihre Lieblingsmusik, doch das Wunder bleibt aus.
Foto: ZDF / Hannes HubachVerstandesmensch. Die Astrophysikerin Sandra (Anneke Kim Sarnau) informiert sich im Netz �ber Hirnsch�den, wie ihre Mutter sie bei dem Zusammenbruch erlitten hat.
Eines muss vor allem anderen bemerkt werden: Die Rolle einer Wachkoma-Patientin, die praktisch regungslos im Bett liegt und deren k�rperlicher Verfall nach und nach zunimmt, ist f�r eine Schauspielerin gewiss eine au�ergew�hnliche Herausforderung. Der 1949 geborenen Hedi Kriegeskotte geb�hrt f�r diese enorme physische wie mentale Anstrengung gro�er Respekt. Auch Maske, Ausstattung und die feinf�hlige Regie von Christiane Balthasar tragen nat�rlich ihren Teil dazu bei, dass die Darstellung des Lebens einer Wachkoma-Patientin sicher nicht in allen Einzelheiten, aber doch ausreichend schonungslos und pr�zise gelingt. Neben dieser „stummen“ Hauptrolle gibt es zwei weitere mit umso mehr Text sowie gro�er emotionaler Bandbreite: Ulrike ist eine gl�ubige Christin, Religionslehrerin, Ehefrau und gestresste Mutter von drei Kindern. Martina Hartwigs zweite Tochter Sandra (Anneke Kim Sarnau) reist aus Berlin zur�ck in den Heimatort und ist als alleinstehende Astrophysikerin mit ihrem naturwissenschaftlich geschulten Verstand der passende Gegenentwurf. Man k�nnte sagen: Beide blicken zum Himmel empor, sehen aber ein unterschiedliches Bild.
Foto: ZDF / Hannes HubachIm Wachkoma. Martina Hartwig (Hedi Kriegeskotte) kann wieder selbst�ndig atmen. Ihre T�chter, Ulrike (Silke Bodenbender) und Sandra (Anneke Kim Sarnau), haben v�llig gegens�tzliche Vorstellungen, was das (Weiter-)Leben der Mutter angeht.
So wirkt die Figuren-Konstellation von Drehbuchautorin Britta St�ckle („Rufmord“) doch etwas konstruiert. Die Schwestern stehen f�r die beiden Pole in den nun heraufziehenden Konflikten, und so entwickelt sich das Drama in der ersten H�lfte recht erwartbar. Ulrike, der gl�ubige „Bauchmensch“, und Sandra, der skeptische „Kopfmensch“, geraten zunehmend aneinander. Wenn die eine von Globuli spricht, runzelt die andere die Stirn. Dennoch sind die Figuren keine plumpen Klischees, und ihre Konflikte konfrontieren das Publikum auf eine wirkungsvolle, emotionale Weise mit dem existenziellen Grundthema: Wie k�nnen Angeh�rige, wenn keine Willensbekundung mittels einer Patientenverf�gung vorliegt, guten Gewissens �ber die medizinischen Ma�nahmen bei einer Wachkoma-Patientin entscheiden? Das moralische Dilemma beginnt schon bei scheinbar einfachen Fragen. Sandra m�chte die monatlichen Spenden ihrer Mutter f�r den Tierschutzverein stoppen und den Leasingvertrag f�rs Auto k�ndigen. F�r Ulrike w�rde dies jedoch bedeuten, dass sie ihre Mutter aufgeben.
Silke Bodenbender gibt der gl�ubigen Ulrike warmherzige, aber auch leicht naive und aufbrausend-intolerante Z�ge. Anneke Kim Sarnau darf etwas leiser und rationaler auftreten, aber ihre Figur ist auch nicht ohne Ecken und Kanten. Sandra steht beruflich geh�rig unter Druck, muss dringend an ihrer Habilitation arbeiten, um den Zuschlag zur Forschung am weltweit gr��ten Teleskop in Chile zu bekommen. Au�erdem tr�gt sie das Ultraschallbild ihres ungeborenen Kindes mit sich herum – und hat Henry (Nicholas Reinke), dem Vater, noch nicht einmal von der Schwangerschaft erz�hlt. Im H�rsaal redet Sandra fachkundig �ber elementare Fragen („Woher kommen wir? Aus was sind wir gemacht?“), im eigenen Leben scheint sie noch keine Gewissheiten gefunden zu haben. Unter dem Eindruck der Erkrankung der Mutter gewinnt Sandra jedoch mehr Klarheit – w�hrend Ulrikes feste Verankerung im Glauben Risse bekommt.
Foto: ZDF / Hannes HubachDer Gef�hlsmensch. Die Religionslehrerin Ulrike (Silke Bodenbender) will die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihre komat�se Mutter (Hedi Kriegeskotte) zu retten ist.
So nimmt der Film in der zweiten H�lfte eine Wendung, in der die Beziehung der Schwestern in den Hintergrund r�ckt, das Drama aber noch intensiver wird und geradezu haarstr�ubende Z�ge annimmt. Die Mutter wird auf Vermittlung von Ulrikes Mann Matthias (Christian Erdmann) in ein katholisches Pflegeheim aufgenommen, in dem auch das Dasein von Komapatientinnen als „lebenswert vor Gott“ gilt, wie die Leiterin (Anna Grisebach) betont. Dass es Martina Hartwig auch nach Wochen noch „sehr gut bei uns“ gehe, daran beginnt aber selbst Ulrike zu zweifeln. Oder will das Heim schon deshalb nicht die lebensverl�ngernden Ma�nahmen einstellen, weil es nach Martina Hartwigs Tod keine Pflegepauschale mehr f�r eine Bewohnerin kassieren kann, deren Pflege vergleichsweise wenig Aufwand bereitet? Der b�se Verdacht wird in den Raum gestellt, aber zugleich ist unstrittig, dass in dem Heim �berzeugungst�terinnen am Werk sind. Insbesondere die Figur der Schwester Olga (Berit K�nnecke) steht f�r einen unnachgiebigen christlichen Glauben, der die eigenen Dogmen �ber alles stellt. Dagegen zeigt sich Pfarrer Oppel (Falilou Seck), bei dem Ulrike Rat sucht, unsicher �ber den richtigen Umgang mit Komapatientinnen.
Foto: ZDF / Hannes HubachUlrike (Silke Bodenbender) spricht mit Pfarrer Oppel (Falilou Seck) �ber die fehlende Patientenverf�gung und den Zweifel an den lebenserhaltenden Ma�nahmen f�r ihre Mutter. Selbst der der Mann des Glaubens zweifelt, ob Gott diesen Weg gewollt h�tte.
Auch die �rzteschaft wirkt verunsichert: Da ist die eilige und wenig sensible Krankenhaus-�rztin (Helena Hentschel), die die Schwestern mehrfach quasi im Vorbeigehen auf dem Flur �ber den Gesundheitszustand der Mutter informiert. Der Hausarzt (Thilo Prothmann) dagegen kommt besser weg, weil er sich schlie�lich auf die Seite der Schwestern schl�gt, aber seine Ratschl�ge wirken auch zunehmend abenteuerlich. Am Ende fragt man sich, wie eine solche Eskalation wie in diesem Fall m�glich sein kann. Verst�ndlicher Weise bem�ht sich ein fiktionaler Film eher um die emotionalen, dramatischen Aspekte statt um juristische und politische Hintergr�nde, dennoch ger�t die Nachvollziehbarkeit im Finale etwas unter die R�der. Vielleicht vermag die Dokumentation „Zwischen den Welten: Leben und Sterben im Wachkoma“, die das ZDF im Anschluss an „Bring mich nach Hause“ ausstrahlt, f�r ein besseres Verst�ndnis sorgen. Die Schrifttafeln sind da nur bedingt eine Hilfe. „Frei nach wahren Begebenheiten“, hei�t es am Anfang. Doch der Nachspann suggeriert, dass der Film einen einzelnen, konkreten Fall in Szene gesetzt hat, der juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesgerichtshof (BGH) zur Folge hatte. Klingt widerspr�chlich, aber beides ist wohl richtig. Grundlage war nach ZDF-Angaben ein Fall, mit dem der Medizinrechtler und Anwalt Wolfgang Putz bei einem BGH-Verfahren zu tun hatte. „Ich habe den Stoff dann stark fiktionalisiert und eine eigene Geschichte daraus geformt“, sagt Autorin St�ckle.
Foto: ZDF / Hannes HubachNacht der Entscheidung. Ulrike (Bodenbender) hat sich mal wieder im Ton vergriffen und muss sich bei ihrer Schwester (Sarnau) entschuldigen. Die Beziehung der Schwestern ger�t in der zweiten H�lfte des Films in den Hintergrund. Im Zentrum stehen jetzt die bedr�ckenden Vorkommnisse in einem katholischen Pflegeheim.
Thomas Gehringer, freiberuflicher Journalist aus K�ln, schreibt f�r epd medien, den "Tagesspiegel" und andere regionale Tageszeitungen, Mitglied in Jurys und Nominierungskommissionen des Grimme-Preises.