Brigitte Hobmeier hat für das Interview einen der schönsten Orte Münchens ausgesucht: den Innenhof der Glyptothek am Königsplatz. Doch es regnet und Handwerker hämmern lautstark an einem Holzpodest herum. Die Enttäuschung darüber ist der Schauspielerin aber nur kurz anzumerken, schließlich sollen widrige Umstände nicht vom Grund des Treffens ablenken: ihre Hauptrolle in der sechsteiligen Mystery-Serie „Schnee“, die ARTE im November ausstrahlt. Wir ziehen uns ins Innere der Antikensammlung zurück und sprechen über Dreharbeiten am Abgrund und die Grenzen des Rationalen.
WELT: In der Serie „Schnee“ spielen neben real existierenden Problemen wie dem Klimawandel jede Menge unheimliche Begebenheiten eine tragende Rolle. Wozu dienen diese Mystery-Elemente?
Brigitte Hobmeier: Die Sehnsucht nach Mythen ist tief in uns drinnen. Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, dienten Mysterien oft dazu, Unerklärliches zu erklären. Aktuell leben wir wieder in einer komplexen und unübersichtlichen Welt. Es ist viel Angst da. Das MysteryGenre ermöglicht eine größere Bandbreite, das zu thematisieren.
WELT: Es geht also darum, Seelenzustände sichtbar zu machen?
Hobmeier: Es gibt dieses Buch von David Lynch, „Catching the Big Fish“. Darin erklärt er, dass man tief in die Mysterien hinabtauchen müsse, um die großen Fische zu entdecken. Das war auch unser Ziel: davon zu erzählen, was hinter dem Sichtbaren steckt.
WELT: Sie haben in den Dolomiten gedreht, teilweise auf 3.000 Metern Höhe. Inwiefern beeinflussen solche Extreme Ihr Spiel?
Hobmeier: Es war sehr herausfordernd, ich hatte permanent knallrot gefrorene Hände und habe Neoprenanzüge unter der Kleidung getragen. In einer Szene erwischt mich eine Lawine, dafür wurde ich in den Schnee eingegraben. Diese Schwere auf mir zu spüren, war eine existenzielle Erfahrung. Aber ich habe es geliebt, mich so zu verausgaben. Daraus ziehe ich Kraft.
Ein Bild
WELT: Die Serie zeigt ein Dilemma: Teile eines Gletschers sollen gesprengt werden, um eine Gondel zu bauen, die das Überleben des nahe gelegenen Dorfes sichert. Gleichzeitig bleibt der Schnee aufgrund des menschengemachten Klimawandels weg. Gibt es einen Ausweg?
Hobmeier: Das ist die Schwierigkeit, in der wir heute leben. Können wir überhaupt „gut“ sein? Oder verschlimmern wir mit jeder Handlung unseren ökologischen Fußabdruck? Ich habe Verwandte in Österreich, die bestätigen das, was die Dorfbewohner in der Serie sagen: Wovon sollen wir leben, wenn keine Touristen mehr kommen?
WELT: Sie spielen eine Ärztin, die mit ihrer Familie aus Wien nach Rotten, im Film das Heimatdorf ihres Mannes, zieht. Was ist sie für eine Frau?
Hobmeier: Als Medizinerin ist Lucia ein rationaler Mensch, keine esoterische Hippietänzerin. Für sie ist die Lösung klar: Eins plus eins ergibt zwei. Doch in Rotten geht diese Gleichung auf einmal nicht mehr auf.
WELT: Lucias Mann Mathi hingegen, gespielt von Robert Stadlober, verschließt vor der Wahrheit lieber die Augen. Ist das eine gute Strategie?
Hobmeier: Es gibt solche Menschen, aber weder ich noch meine Figur sind so. Fairerweise sollten wir uns kurz in ihn hineinversetzen. Für ihn ist es schwer verständlich, warum seine Frau plötzlich alles so ernst nimmt. Er findet, sie könnte sich ruhig mal ein bisschen locker machen.
WELT: Anfangs wirken die beiden sehr innig miteinander. Doch das bleibt nicht lange so. Was treibt sie auseinander?
Hobmeier: Es berührt mich, wie schnell die Liebe zweier Menschen durch den steten Tropfen der Missgunst zerstört werden kann. In Rotten ist viel gelebtes Leben von Mathi. Da ist seine Exfreundin. Da ist sein Vater, der größte Hotelier am Ort. Und dann wird auch noch eine Leiche gefunden, die 40 Jahre lang verschollen war. Lucia stolpert als Außenseiterin in ein System des Klüngels und Verschweigens – das hat Sprengkraft. Sie wird daraus als ein anderer Mensch hervorgehen.
Dieser Text erscheint auch im Arte-Magazin für den Monat November. „Schnee“ läuft in der Mediathek von Arte und ARD.