Silvester-Angriffe in Bonn: Tatverdächtige sollen Entführung eines Polizisten geplant haben - WELT
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Panorama Netflix-Film als Vorlage

Silvester-Randalierer sollen Entführung eines Beamten geplant haben

Volontärin „Investigation und Reportage“ / Axel Springer Academy
Besonders in Berlin, Sachsen und NRW kam es in der Silvesternacht zu Angriffen gegen Einsatzkräfte Besonders in Berlin, Sachsen und NRW kam es in der Silvesternacht zu Angriffen gegen Einsatzkräfte
Besonders in Berlin, Sachsen und NRW kam es in der Silvesternacht zu Angriffen gegen Einsatzkräfte
Quelle: dpa/Sebastian Willnow
In der Silvesternacht kam es auch in Bonn zu Angriffen gegen Einsatzkräfte. Nach ersten Ermittlungen könnte ein Netflix-Film über gewaltbereite Gangs die jungen Männer zu den Taten inspiriert haben. In einer Chat-Gruppe sollen die Tatverdächtigen sogar die Entführung eines Polizisten geplant haben.

Noch immer werden nach den Silvester-Randalen hitzige Debatten um Integration und Problem-Bezirke geführt. So auch in Bonn. Rund 40 junge Männer sollen dort in der Silvesternacht im Stadtteil Medinghoven Polizisten und Feuerwehrleute attackiert haben – mit Böllern, Pyrotechnik und Molotow-Cocktails.

Das in der Bonner Republik beschauliche Wohnviertel gilt heute – wie etwa Berlin-Neukölln – als Problem-Bezirk. Fast jeder Fünfte hier ist arbeitslos. Rund 55 Prozent leben von Sozialhilfe, knapp 38 Prozent sind dabei unter 25 Jahre alt.

Aus genau dieser Szene sollen sich die Randalierer rekrutiert haben, die die Rettungskräfte in der Silvesternacht mit Böllern und Steinen angegriffen haben. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn gegen acht Männer im Alter von 16 bis 19 Jahren wegen schweren Landfriedensbruchs, des tätlichen Angriffs auf Polizeibeamte, versuchter Körperverletzung, Brandstiftung und Sachbeschädigung.

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Inspiration für die Attacken könnten die Jugendlichen durch den französischen Netflix-Film „Athena“ erhalten haben. Das zumindest legen Chatprotokolle einer Gruppe nahe, aus denen unter anderem der „Spiegel“ zitiert. Der Film handelt von prekären sozialen Strukturen in einem Milieu am Rande einer Stadt, Jugendliche greifen schließlich eine Polizeiwache an, stehlen Waffen, beschießen Einsatzkräfte mit Böllern und nehmen einen Polizisten als Geisel.

Demnach gründete ein Junge, der sich „Le Monde vous Appartient“ („Die Welt gehört euch“) nennt, zwei Tage vor Silvester eine Chatgruppe mit dem Namen „Silvester MV vs. Nazis“. Tatsächlich lassen sich im Internet unter dem Hashtag „MV“ Videos auf Instagram und TikTok finden, die die Krawalle in der Silvesternacht zeigen. Dabei steht „MV“ für „Medinghover Viertel“. Mit den gegnerischen „Nazis“ waren vermutlich Polizisten gemeint.

„Silvester wird brennen MV“

„Le Monde vous Appartient“ lädt weitere acht junge Männer zur Gruppe ein. Diese kommen ebenfalls aus Medinghoven oder benachbarten Vierteln wie Duisdorf. Das Vorhaben scheint klar: „Silvester wird brennen MV“, schreibt er. Schnell macht er deutlich: Wenn jemand „nur halb dabei“ sein wolle, solle er gefälligst aus der Gruppe austreten.

In der Gruppe wurde sich nicht nur über den Bau von Molotowcocktails ausgetauscht. Ein Mitglied soll etwa gefragt haben, „wie viele Bullenwagen“ angezündet werden sollen. Ein anderer hatte auch die Idee, einen Polizeibeamten zu entführen: „Jungs. Sollen wir einen Bullen entführen?“ Jemand antwortet: „Bei Allah meine ernst. Wie bei Athena“ – dem Film.

Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk in Berlin-Neukölln in der Silvesternacht
Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk in Berlin-Neukölln in der Silvesternacht
Quelle: dpa/Julius-Christian Schreiner

Die Gruppe hatte auch schon einen bestimmten Polizisten ins Visier genommen: den „Hurensohn“. Die Jugendlichen wussten, wo dieser immer sein Auto parkt. Die Polizei Bonn vermutet, dass es sich dabei um einen Beamten handelt, der oft im Dienst in Medinghoven unterwegs ist. Das weitere Vorhaben aber wurde nicht mehr im Chat geplant. Die letzte Konversation endete ein Tag vor Silvester.

Schließlich kam es in der Silvesternacht tatsächlich zu den wie im Chat angekündigten Ausschreitungen. Die Bonner Polizei berichtete später, Unbekannte hätten die Beamten mit Pyrotechnik gezielt beschossen. Einige der Verdächtigen hatten sich mit Masken und Tüchern vermummt. Zuvor seien Mülltonnen und Autoreifen angezündet worden. Als die Feuerwehr die Brände zu löschen versuchte, wurde sie mit Steinen und Böllern attackiert. Genauso wie die Polizisten, die die Feuerwehrleute schützen wollten. Medinghoven brannte tatsächlich.

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Als die Ausschreitungen eskalierten, zogen sich Polizei und Feuerwehr zunächst zurück. Nachdem ein Zug der 13. Hundertschaft der Bereitschaftspolizei alarmiert worden war, wurden die Verdächtigen umstellt. Ein Mitglied der Chatgruppe konnte noch am Tatort gefasst werden; alle anderen konnten zunächst entkommen.

Bereits einige Tage nach den Angriffen auf die Einsatzkräfte wurden die Wohnungen der Tatverdächtigen in Medinghoven und Duisdorf durchsucht. Dabei wurden die Handys sichergestellt. Neben Böllern wurden eine Schreckschusspistole und eine Gaskartusche gefunden. Den ausschlaggebenden Hinweis auf die Grupp gab jedoch ein 19-jähriger Rumäne, der noch am Neujahrsmorgen festgenommen worden war. Auf seinem Handy fanden die Ermittler laut „Focus“ Hinweise zu der besagten Chatgruppe.

Was man über die Verdächtigen weiß

Die Tatverdächtigen sollen laut Polizei Bonn allesamt einen Migrationshintergrund haben. In der Chatgruppe waren nach Angaben der Bonner Polizei „fünf deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund und jeweils einer weiteren Staatsbürgerschaft. Drei weitere sind Ausländer. Alle acht wurden in Bonn geboren.“ Was die Aussage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser stützt, der Staat habe ein „Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund“, die ebendiesen „verachten“.

Alle der acht Tatverdächtigen seien zudem bereits polizeibekannt. Einer von ihnen sei wegen zahlreicher Beleidigungen und einem Drogendelikt aktenkundig. Bei anderen stünden Diebstähle, der Missbrauch von Notrufen und Bedrohungen im Strafregister. In einem Interview mit dem Bonner „General Anzeiger“ sagte Polizeisprecher Robert Scholten, dass die Medinghoven-Ermittlungsgruppe weiter aktiv sei und in engem Kontakt mit dem Kriminaltechnischen Institut des LKA stehe.

Der Strafverteidiger Marc Piel aus Bonn vertritt einen Tatverdächtigen. Er bezeichnet die Planungen im Chat als eine „absurde Spinnerei von jungen Menschen“. Junge Männer, die sich gegenseitig anstacheln und brüsten wollten. Für ihn stelle diese WhatsApp-Gruppe „keinen Nachweis konkreter strafrechtlich relevanter Handlungen dar.“

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