In Los Angeles ist es ein eher kühler Frühlingstag. Die Temperatur steigt nicht über 21 Grad, Wolken verdecken gerade die Sonne. Nicht gerade das Wetter, an dem man über „weiße Weihnachten“ nachdenkt. Oder aber gerade.
Im großen Studio der Firma Radio Recorders an der Western Avenue haben sich an diesem Freitag die Bigband von John Scott Trotter und die Ken Darby Singers versammelt. Sie wollen zusammen mit Bing Crosby ein halbes Dutzend Lieder für die Soundtrack-Platte des Musicalfilms „Holiday Inn“ einspielen.
Die Profimusiker sind gut vorbereitet: Es dauert gerade einmal 18 Minuten, bis der Song „White Christmas“ zur Zufriedenheit aller Beteiligten festgehalten ist. Im zweiten Refrain seiner Chorus-Singer hat der Bassbariton Bing Crosby einmal spontan das Motiv mitgepfiffen – die Besonderheit macht genau diese Aufnahme direkt erkennbar.
Nur zwei Monate später, mitten im Hochsommer am 30. Juli, erscheint der Song auf einer Sammlung von sechs Platten für 78 Umdrehungen pro Minute – fünf Tage vor dem Kinostart von „Holiday Inn“. Crosby sieht zunächst nichts Besonderes an dem Lied; zum Komponisten des Songs, Irving Berlin, sagt er nur: „Ich glaube nicht, dass wir damit irgendwelche Probleme haben.“ Was für eine Untertreibung: „White Christmas“ wird der mit weitem Abstand erfolgreichste, gemessen an den mehr als 50 Millionen abgesetzten Singles meistverkaufte und für viele Jahrzehnte auch im Radio meistgespielte Song.
Crosby ist im Sommer 1942 bereits seit fast einem Jahrzehnt der größte US-Musikstar. Geboren 1903 (laut seinem Grabstein allerdings erst 1904), stammte er aus einer kleinbürgerlichen Familie schottisch-irischer Herkunft. Die Highschool absolvierte er mit Erfolg, das anschließende College verließ er nach drei Jahren ohne Abschluss.
Mit 19 Jahren beginnt er seine aktive Karriere als Musiker – in einer geplant zusammengestellten Boygroup. Mit mehreren weiteren Gruppen hat er mäßigen Erfolg, bevor ihm mit den Rhythm Boys an der Seite von Harry Barris und Al Rinker der Durchbruch gelingt. Crosby wird schnell zum Star des Trios. 1928 landet er den ersten Nummer-Eins-Hit, eine jazzige Interpretation des Songs „Ol’ Man River“.
1931 trennt sich Cosby von den Rhythm Boys und startet seine Solokarriere – gleich mit einer eigenen Radioshow jede Woche. Schon im ersten Jahr gelingen ihm fünf Top-Ten-Treffer. In jedem fünften der 50 erfolgreichsten Songs dieses Jahres wirkt Cosby mit. Auch dem jungen Medium Tonfilm widmet er sich bald in seiner ersten abendfüllenden Produktion „The Big Broadcast“ von 1932, dem ersten von 79 Filmen, an denen er mitwirkt.
Er wird der männliche Top-Entertainer in den USA; in den zwei Jahrzehnten von 1934 bis 1954 platzieren sich 15-mal (und einige Male mehrfach) Songs von ihm unter den Top Ten der meistverkauften Singles. 13 Lieder mit seiner Leadstimme werden für den Oscar nominiert, vier gewinnen die Auszeichnung. Einschließlich einer posthumen Positionierung von – natürlich – „White Christmas“ erreicht Cosby 43-mal die Top-Position der US-Charts. Also häufiger als die Beatles und Elvis Presley zusammen.
Während des Zweiten Weltkrieges unterhält er US-Soldaten bei zahlreichen Auftritten abseits der Fronten. Das Magazin „Life“ urteilt in seiner Ausgabe vom 18. Juni 1945: „Amerikas Star Nummer Eins, Bing Crosby, hat mehr Fans gewonnen und mehr Geld verdient als jeder Entertainer in der Geschichte. Heute ist er eine Art nationale Institution.“
Als Schauspieler räumt er ebenfalls ab, gewinnt 1945 den Oscar als bester Hauptdarsteller im Film „Der Weg zum Glück“. 1954 nutzt er seinen erfolgreichsten Song „White Christmas“ als Motiv für einen gleichnamigen Film. Mit dem aufkommenden Rock’n’Roll schwindet zwar seine Popularität zumindest beim jüngeren Publikum, aber er bleibt der Topstar vieler reiferer Amerikaner.
Auch als TV-Star, Kinoschauspieler und natürlich Sänger bleibt er bis ins hohe Alter dauerpräsent in der US-Öffentlichkeit. Ende April 1975 gibt sein bekanntestes Lied das Signal für die Evakuierung von Saigon. Noch im Spätsommer 1977, mit 74 Jahren, zeichnet er eine Weihnachtsshow auf – doch bevor sie ausgestrahlt werden kann, stirbt Bing Crosby am 14. Oktober 1977 in Madrid an Herzversagen, nachdem er dort eine Runde Golf gespielt hat und auf dem Grün zusammengebrochen ist.
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