Bibiana Beglau: „Ich differenziere nicht, was in der Hose ist“
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Bibiana Beglau: "Ich differenziere nicht, was in der Hose ist"

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Gerade heraus und um kein Wort verlegen: Schauspielerin Bibiana Beglau
Gerade heraus und um kein Wort verlegen: Schauspielerin Bibiana Beglau © Konrad Fersterer

Egal ob im Residenztheater, bei Gastauftritten im Tatort oder auf der Kinoleinwand: Die Münchnerin begeistert mit facettenreichem Schauspiel.

Frau Beglau, auf der Bühne spielen Sie oft laute Charaktere, im Film „1000 Arten Regen zu beschreiben“ eine leise leidende Mutter. Was kostet Sie als Schauspielerin mehr Kraft, körperlich wie mental?

Das sind ja zwei verschiedene Berufe. Im Kino hat man ganz andere Räumlichkeiten. Auf der Bühne hingegen gibt es auch abstrakte Momente und eine ganz andere Entfernung. Das kann man nicht vergleichen.

Der Film befasst sich mit dem Phänomen Hikikomori, bei dem sich Jugendliche als Flucht vor der Gesellschaft monatelang in ihr Zimmer einschließen. Mike ist 18, als er sich einsperrt – Sie spielen seine Mutter. Können Sie Mikes Handeln nachvollziehen?

Das fällt mir ganz ganz schwer. Ich kann mir vorstellen, meine Sachen zu packen und weg bin ich. In dem Film erscheint mir das unheimlich, dass dieses Phänomen vor den Augen der Familie passiert. Die muss irgendwie versuchen, mit ihm zu kommunizieren. Es ist unfassbar. Es ist so, wie es Fassbinder gesagt hat: „Die Ungewissheit erträgt keiner lange.“ Genau das ist dieses Sich-Entziehen vor den Augen der Familie, dem Herzstück der Gesellschaft.

Sie sind aktuell parallel in vielen verschiedenen Produktionen im Kino, Fernsehen und Theater zu sehen. Wie bereiten Sie sich auf die Rollen vor? 

Lesend, zweifelnd, nachdenkend. Manchmal ist es notwendig, jemanden vorher zu treffen, aber ich versuche das nicht immer zu machen, um meine eigene Wahrheit finden zu können. Es ist ganz viel lesen, lesen, lesen – um herauszufinden: Was meint das geschriebene Wort? Was bedeutet es für mich?

Was muss eine Rolle haben, dass Sie sie spielen wollen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, mich interessieren die Geschichten, in denen die Figur eine Farbe ist. Da hat mich die Mutter unglaublich interessiert. Natürlich auch, wie der Vater reagiert oder wie die Tochter damit umgeht. Die Geschichte im Ganzen ist wie ein Gemälde. Wenn ich mich ganz dicht vor ein Bild, zum Beispiel einen Rembrandt, stelle, dann sehe ich nicht mehr einen Hof oder ähnliches, sondern ganz viele Farben. Und dieser eine Tupfer, weswegen beispielsweise das rote Kleid so strahlt, der ist es. Das ist der Teil, der in mir Begehrlichkeiten weckt, diese Rolle zu spielen.

"Ich schaue auch viel Fernsehen"

Auf der Bühne verausgaben Sie sich oft und gerne. Wie tanken Sie Kraft für diese Auftritte?

Das weiß ich gar nicht. Ich mache nichts anders als der Bäcker, bei dem der Wecker um vier Uhr klingelt. Der macht dann mal Urlaub. Ich bin gerne in der Natur und ganz für mich. Was schauen Sie gerne privat? Alles! Ich schaue ganz ganz viel und kann den Hals nicht voll kriegen. Ich schaue auch viel Fernsehen, wenn ich Filme empfohlen bekomme. Außerdem war ich frisch im Kino und hingerissen von „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ und „The Shape of Water“. Die Welt um mich berührt und interessiert mich. 

Manche sehen Sie als Vorreiterin in Zeiten von #metoo, weil Sie mit Mephisto eine Männerrolle spielen. Was halten Sie davon?

Manchen Frauen in anderen Zeiten wurde gesagt, dass man hübsch sein muss, zart und weinen soll – als Ausdruck von Sensibilität und weiblicher Anmut. Wir leben in einem Patriarchat und das seit über 2000 Jahren. Das hat Einfluss auf die Rollenverteilung. Wäre es ein Matriarchat wären es andere Strukturen. Ich weiß nicht, ob die besser oder schlechter sind: Menschen verändern sich, so bald sie Macht haben – unabhängig ihrer Geschlechter. Ich orientiere mich an solchen Aufteilungen nicht so stark wie vielleicht andere. Ich differenziere nicht so stark, was in der Hose ist.

Wie stehen Sie zu den Kampagnen „metoo“ und „Time’s up“?

Ich finde es super, dass die Münder jetzt aufgehen und bekannt wird, dass das Sexuelle mit Macht verbunden ist. Und dass das ausgenutzt wird: Wenn du diese Rolle möchtest, musst du das Schwänzchen lecken. Das liegt am Patriarchat. Allerdings soll das auch keine Hexenjagd werden. Ich glaube, dass es viel mehr um die Aufklärung geht, dass man nicht in der Besenkammer die Beine breit machen muss, um eine bestimmte Rolle zu bekommen. Sondern dass die Menschen stattdessen an anderen Dingen gemessen werden, zum Beispiel, wie man der Welt begegnet, und wie intelligent, empathisch und begabt der/die/das Einzelne ist. 

SABINA KLÄSENER

Zur Person

Sie ist aus dem Ensemble des Residenztheaters nicht mehr wegzudenken: Bibiana Beglau. 1971 in Braunschweig geboren, schaffte sie mit dem Film „Die Stille nach dem Schuss“ im Jahr 2000 ihren Durchbruch. Es folgten zahlreiche Auftritte in Film und Fernsehen, beispielsweise im Tatort, sowie Theaterengagements in Berlin, Zürich und Wien. Die Zeitschrift „Theater heute“ kürte sie 2014 zur Schauspielerin des Jahres. Ein Jahr später gewann Beglau den Faust Theaterpreis für ihre Interpretation des Mephistos. Bayerisch und Ruhrpott: Diese Dialekte kann die Schauspielerin. Warum ausgerechnet diese? „Meine Mutter ist aus Niederbayern und ich war längere Zeit in Dortmund, was mir gefallen hat“, lautet ihre Erklärung.

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