„In der DDR ist viel an Bonzen gescheitert“: Katharina Thalbach über Benno Besson

„In der DDR ist viel an Bonzen gescheitert“: Katharina Thalbach über Benno Besson

Vor 100 Jahren kam der Theatermensch Benno Besson auf die Welt. Seine Tochter Katharina Thalbach erinnert sich an seine Kunst und seine Liebe.

Benno Besson mit Katharina Thalbach bei der Probe zu „Hase Hase“ am Schillertheater, 1992.
Benno Besson mit Katharina Thalbach bei der Probe zu „Hase Hase“ am Schillertheater, 1992.Christian Brachwitz

Mit einer Erkältung in Hals und Nase klingt Katharina Thalbach seltsamerweise noch ein bisschen mehr nach sich selbst als sonst. Wir können das Interview leider nur per Telefon führen, aber sie ignoriert das Virus, und schnell kommt sie in Schwung, den auch längere Schnäuz- und Hustpausen nicht bremsen können. Es soll um ihren Vater gehen, den 2006 im Alter von 84 Jahren in Berlin gestorbenen Theaterleiter, Regisseur und Schauspieler Benno Besson. Der gebürtige Schweizer war an vier Berliner Theatern stilprägend tätig, er hat Brecht Leichtigkeit eingehaucht, Hacks zu Weltruhm verholfen, die Volksbühne mit Spektakeln aufgeweckt und auch nach seinem Weggang in den Westen Theaterglück entfacht. Leben, Liebe und Kunst waren in seinem Leben eng miteinander verbunden; nicht nur diese Theaterfamilientradition will Katharina Thalbach weiterführen. 

Frau Thalbach, Ihr Vater, der Theatermacher Benno Besson, würde am 4. November 100 Jahre alt werden. Woran merken Sie, dass er Ihnen fehlt?

Mir fehlt sein Theater. Die Magie, Intelligenz, Komik und Zärtlichkeit seines Theaters. Das hat mich geprägt, da habe ich alles gelernt. Und vor allem hat es mich maßlos beglückt. Sein Theater war wie ein anderer Kontinent. Dieser ganze Kontinent ist weggebrochen.

Wie war er denn als Vater?

Das Private ist schnell erzählt. Brecht hat meinen Vater nach dem Krieg in Zürich angesprochen, ob er Lust hätte, mit nach Ost-Berlin zu gehen und dort ein neues deutsches Theater aufzubauen. Er sagte ja, da war er 27. Und so blutjung, wie er war, traf er dort, am Brecht-Theater, meine noch wesentliche blutjüngere Mutter, die süße 17 Jahre alt war. Ich bin das Resultat einer heftigen und langjährigen, aber geheimen Liaison. Er hat mich offiziell als seine Tochter anerkannt, aber wir haben nie unter einem Dach gelebt. Ich habe ihn auch immer Benno genannt und nie Papa. Mein Verhältnis zu meinem Vater ist immer mit Theater verbunden. Das ist kein Wunder. Ich bin entstanden, während er „Don Juan“ inszeniert hat, die Inszenierung, mit der Bertolt Brecht und Helene Weigel ihr Theater am Schiffbauerdamm eröffneten. Weil nach dem Krieg alles zerstört war, war das Berliner Ensemble bis dahin in den Kammerspielen am DT zu Gast.

Infobox image
Pascal Bünning
Theatertochter
Katharina Thalbach wurde 1954 in Ost-Berlin geboren, der Vater war der eben aus der Schweiz gekommene Regisseur Benno Besson (1922–2006), die Mutter, Sabine Thalbach (1932–1966), Schauspielerin im Berliner Ensemble.

Helene Weigel kümmerte sich nach dem Tod der Mutter um die Schauspielausbildung von Katharina Thalbach, sie wurde Meisterschülerin am BE, nach dem Abitur 1971 ging sie an die Volksbühne und 1975 wieder zurück ans BE. 1976 reiste sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Thomas Brasch in den Westen aus.

Katharina Thalbach setzte ihre Bühnen- und Filmkarriere fort, führte seit den 90ern selbst Regie im Musiktheater und verwirklichte mehrere große freie Theaterproduktionen mit ihren Halbgeschwistern, ihrer Tochter Anna Thalbach und ihrer Enkelin Nelli Thalbach. Sie ist in unzähligen Filmen zu sehen und erfreut besonders im Kinderkino.

Dass Besson 1958 das Berliner Ensemble verließ und ans Deutsche Theater ging, damit haben Sie nichts zu tun?

Nein, damit haben meine Mutter und ich gar nichts zu tun. Das hatte andere Gründe. Nach dem Tod von Brecht 1956 gab es Auseinandersetzungen mit den anderen Brecht-Schülern, insbesondere mit Manfred Wekwerth, glaube ich. Aber das sind alles Vermutungen. Ich war ja erst drei oder vier.

Ihre Mutter starb, als sie zwölf waren. War Ihr Vater danach für Sie da?

Ja, aber ich wollte nicht bei ihm leben. Ich wollte gern zu meiner Großmutter nach Charlottenburg, das wurde mir verboten. Deswegen bin ich in einer Pflegefamilie gelandet. Aber ich möchte nicht über mich reden, das können wir ein andermal machen.

So ganz kommen wir an der Familie nicht vorbei. Heute stehen Sie als Matriarchin selbst im Zentrum einer Theaterfamilie, die viel mit Ihrem Vater zu tun hat.

Ich würden den Begriff Familie gern etwas weiter auffächern und zähle auch Wahlverwandtschaften dazu. Benno hat das Ensemble wie eine Zirkuscompagnie gesehen, wo man ganz selbstverständlich miteinander lebt und liebt und arbeitet. Das ging Hand in Hand. Da kamen dann einige Frauen mit ins Spiel und dadurch auch Nachwuchs. Benno hat sechs Kinder in die Welt gesetzt, wobei die Mutter von Philippe und Marie, den beiden Jüngsten, ausnahmsweise mal nicht aus dem Kunstbereich stammt.

Infobox image
dpa/Max Vaterlaus
Theatervater
Benno Besson kam 1922 in Yverdon, französische Schweiz, als Sohn eines Lehrerpaares auf die Welt. Er nahm Schauspielunterricht und studierte Romanistik und Anglistik in Zürich.

1949 ging er auf Einladung von Bertolt Brecht nach Ost-Berlin und arbeitete am Berliner Ensemble. 1962 wurde er Chefregisseur am Deutschen Theater, wo er mit „Der Frieden“ (Peter Hacks nach Aristophanes) „Die schöne Helena“ (Hacks nach Offenbach) oder „Der Drache“ (Jewgeni Schwarz) Legenden schuf.

1969 war er künstlerischer Oberleiter und ab 1974 Intendant der Volksbühne Berlin, baute das Theater um und veranstaltete die großen Spektakel. 1977 ging er nach Paris. Er inszenierte außerdem am Burgtheater Wien, am Berliner Schillertheater und leitete die Genfer Comédie. 2006 starb er in Berlin.

Es gab also auch ein Leben außerhalb des Theaters! Aus welchem Bereich kommt sie denn?

Sie ist medizinisch-technische Assistentin gewesen, er hat sie beim Zahnarzt kennengelernt. Spätestens wenn körperliche Schmerzen ins Spiel kommen, macht es sich deutlich bemerkbar, dieses Leben außerhalb des Theaters.

Sie haben seit dem frühen Beginn Ihrer Karriere viel als Schauspielerin mit Besson zusammengearbeitet. Kann man das auseinanderhalten: den Theaterleiter, den Regisseur und den Vater?

In der Arbeit hat es nie eine Rolle gespielt, dass ich seine Tochter war. Bei den Proben ist er mit mir genauso umgegangen wie mit allen anderen. Als er an der Volksbühne Intendant wurde, kamen aber natürlich auch Begriffe wie Intendantentöchterchen, und weil ich dieses Etikett loswerden wollte, bin ich damals zurück ans BE. Es war nur das Etikett, das mich gestört hat. Es wurde nur von außen problematisiert. Diese Frage finden nur Leute von außen interessant, wir reden jetzt auch schon wieder darüber.

Es ist mit Bezug auf die jetzigen Machtdebatten am Theater ein Thema. Die patriarchalen, feudalen und tribalen Strukturen wollen nicht so richtig zu den Werten unserer Demokratie passen, die das Theater auf der Bühne gern feiert.

Ja, das kann sein, aber für mich war das nicht spürbar und damit ist das Thema für mich eigentlich abgefrühstückt. Ich finde es gut, dass sich die Leute darum kümmern, die es betrifft. Aber das müssen wir nicht an Benno abhandeln. Seine Art, Theater zu machen, war das Phänomenale, nicht diese Nebenschauplätze. Lassen Sie uns lieber darüber sprechen, was Benno am Theater in Deutschland und Europa erreicht hat. Er und Giorgio Strehler waren die beiden großen Regisseure in den 60er- und 70er-Jahren. Was wäre das Berliner Theaterleben ohne ihn?

Bitte, ganz kurz noch: Wie hält man es aus, wenn man künstlerische Konflikte mit Familienangehörigen oder mit Leuten, die man liebt, ausfechten muss?

Ach, das ist nicht so schwierig im Fall unserer Familie. Das hat auch was mit Benno zu tun, dass alle so erzogen und großgeworden sind, dass wir den Boss nicht infrage stellen. Es muss schon den Kapitän geben im Theater, ob das nun Benno ist oder ob ich es bin. Einer muss sagen, wie es richtig ist. Diskutieren kann man gern, aber man geht einander nicht an die Gurgel.

Kommt man da nicht durcheinander mit seinen Befangenheiten?

Ach, papperlapapp, Befangenheit. Wir haben die Zeit zusammen verbracht und genossen. Das hat etwas mit Lebensfreude und Lebensgier zu tun. Benno hat ja auch so gern gegessen. Und nach den Proben wurden große kulinarische Gelage abgehalten, so oft es ging – das war natürlich in Paris oder Zürich leichter zu bewerkstelligen als in Ost-Berlin. Und dann redete man bei gutem Wein und gutem Essen über das Gute oder nicht so Gute der Kunst, die man gerade gemeinsam am Wickel hatte. Ab und zu hat Benno sogar seine Meinung revidiert. Aber das war selten.

Bessons integrative Kraft scheint noch immer zu wirken. Gleich drei Berliner Theater haben sich zusammengetan, um seinen 100. Geburtstag zu begehen.

Ich finde es schön, dass René Pollesch an der Volksbühne die Initiative ergriffen hat und dass das Deutsche Theater und das Berliner Ensemble mitmachen.

Das Schillertheater müsste auch mitmachen, wenn es das noch gäbe, oder?

Stimmt. Es hat allerdings einige Überredungskünste meinerseits gekostet, Benno nach West-Berlin zu locken. Er hat West-Berlin immer als reaktionäre Frontstadt gesehen. 1992 inszenierte er dann „Hase Hase“, das Stück seiner Lebensgefährtin Coline Serreau. Es wurde ein gesamtberliner Erfolg, der durch alle Klassen ging. Sogar in unserer Neuproduktion von 2019, das war faktisch wie eine Modellinszenierung, war der Geist von Besson zu spüren. Benno war da noch immer drin – sein Umgang mit den Schauspielern, diese sprachliche, szenische und psychologische Brillanz.

Wie viel Brecht steckt in Besson?

Benno hat sich bis zum Schluss immer auch an Brecht abgearbeitet. Aber das hat wenig mit dem zu tun, was man in der Schule über Brecht lernt, wenn man überhaupt noch was über ihn lernt. Dieses ganze Verfremdungsgerede hat Benno nicht interessiert, das gab es schon lange vor Brecht – bei Molière, Shakespeare, Gozzi und natürlich bei den antiken Dichtern, nur ohne Theorie. Die beiden wollten dahin zurück, weg vom bürgerlichen Theater und der vierten Wand. Interessiert hat Benno das Archaische in den Konflikten zwischen den Figuren auf der Bühne. Angefangen mit Ödipus.

Kann es sein, dass Besson geholfen hat, das Brecht-Theater am Leben zu erhalten?

Dazu hat Benno mit Sicherheit einen Riesenbeitrag geleistet. Er hat in ganz Europa klargemacht, dass Brecht kein marxistisch-leninistischer Schulmeister ist, dass seine Stücke kein langweiliges Lehr- und Schnarchtheater sind, sondern äußerst vergnüglich, intelligent, modern und lebendig. Bennos Inszenierung von „Der gute Mensch von Sezuan“, 1970, mit Ursula Karusseit als Shen Te, hat in Europa in fast jedem Land gastiert, und das ist wirklich kein leichtes Stück. Das ging auf der Bühne einmal quer durch die ganze Theatergeschichte in der Spielweise, auch mit Masken, aber vergnüglich.

Hat Besson den politischen Anspruch von Brecht weitergetragen, Theater als Klassenkampf?

Ach, Klassenkampf, Arbeiterklasse. Immer noch gültige Begriffe und trotzdem klingen sie wie aus einer anderen Welt. Benno war ein Kommunist, ja. Er ist als junger Mann in der Schweiz in die kommunistische Partei eingetreten, das hat ihn sicher auch mit Brecht zusammengeführt. Dass die Welt veränderbar ist, das war und ist ein produktiver Gedanke. Welch eine Schönheit liegt in der Idee, dass die Herrschenden abgelöst werden können und der Kapitalismus vielleicht doch nicht das alleingültige System ist. Das hat Benno immer beschäftigt, das Oben und Unten, das Utopische, und da hat er auch Brecht weitergetragen. Aber er hat es immer auch ein wenig wie durch ein Märchenglas betrachtet. Das Spielerische war die Hauptsache, das Kämpferische war verführend.

Sie sind 1976 zusammen mit Ihrem Lebensgefährten Thomas Brasch in den Westen gegangen, Ihr Vater ging 1977. War das nicht ein Schritt zurück in die Unveränderlichkeit des Kapitalismus?

Bennos Weggang hatte sicher auch etwas mit dem real existierenden Sozialismus in den Köpfen der Parteifunktionäre zu tun. Ganz praktisch aber auch wieder mit Brecht: Es war ja in Ost-Berlin gesetzt, dass Brecht nur im Berliner Ensemble gespielt werden durfte mit Ausnahme von „Sezuan“ – Brecht hat Benno noch persönlich das Recht eingeräumt, das Stück überall zu spielen. Benno wollte auch in der Volksbühne unter dem Label des Volkstheaters weiter Brecht machen, was eigentlich eine großartige Idee ist. Dass das verhindert wurde, darüber war er sehr verbittert. Aber wichtiger als die vermeintliche historische Enttäuschung und der politische Ärger war natürlich die Liebe. Die Liebe ist immer wichtiger. Er ist vor allem nach Frankreich gegangen, weil er sich in Coline Serrault verliebt hatte – und weil er eine Riesensehnsucht nach seiner Muttersprache hatte. Da kamen viele Dinge zusammen.

Die Liebe ist heißer als Klassenkampf.

Und wenn schon. Man wird doch auch im Kapitalismus gebraucht. Benno hatte auch im Westen unter den Künstlern viele Verbündete und alte Weggefährten an seiner Seite. Er war sehr mit Max Frisch und Dürrenmatt befreundet. Und er hat ja dann auch in Frankreich, in der Schweiz und in Italien wunderbares Theater gemacht.

Man hört oft, dass Künstler, die in den Westen gegangen sind, feststellen mussten, dass Desinteresse schwerer zu ertragen sein kann als Feindschaft. Nach dem Untergang der DDR hat es dann sehr viele gleichzeitig erwischt.

Von Desinteresse konnte bei Benno keine Rede sein. Und seine Feinde aus der DDR hat er sicher nicht vermisst. Es war mühselig und zermürbend, sich mit den sehr kleinbürgerlichen und spießigen Ansichten der Partei auseinanderzusetzen. Da ist so viel am Bonzentum gescheitert und so viel Energie draufgegangen. Man durfte nicht größer denken als diese piefigen Leute. Dass eine kommunistische oder sozialistische Idee auch ihre umstürzende Ästhetik sucht und braucht, dass man dazu auf das künstlerische Erbe zurückgreifen muss, auf das, was Menschen seit Anbeginn bewegt und nicht nur hier in der DDR, sondern überall auf der Welt – das war dann immer ein bisschen schwierig zu verklickern, wenn man damit an einen zuständigen Funktionär geriet.

Was haben Sie von Besson für Ihr Theater übernommen?

Nun ja, ich konnte nur versuchen, Dinge zu übernehmen; was da gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt. Das strenge Untersuchen der Fabel eines Stücks, die Freude an Dialektik, die Liebe zu den Schauspielern, die Abwesenheit von Zynismus, die Liebe für Utopien und das ständige Bemühen um Spaß bei der Arbeit. Er hat oft gesagt, dass er eigentlich Theater für Kinder macht. Das sind für ihn die unbestechlichsten Zuschauer. Er wollte sich auf keinen Fall langweilen im Theater, es sollte ein Spielplatz sein. Er wollte sich intelligent amüsieren, sonst war es ihm zu schade um die Lebenszeit.

War er streng in seinem Urteil?

Ach, streng. Für ihn war einfach alles wertvoll auf der Bühne, jede Handbewegung, jede Betonung wurde stundenlang geprobt, ein Vers war ein Vers und nicht Prosa. Es war nichts zufällig. Da war er schon sehr streng.

Das klingt nach hart erarbeiteter Leichtigkeit.

Ja, aber auch das harte Erarbeiten war ein Vergnügen ... Benno war ein göttlicher Vorspieler. Was ich da schon als Kind gelacht und mich gewundert habe, warum die Schauspieler nicht gleich begreifen, was er meinte. Als ich es dann selbst machen musste, verstand ich, wie schwer das war.

Was hat er gemacht, wenn ein Schauspieler nicht verstand, was er meinte, oder es nicht hinbekam?

Dann hat er so lange probiert, bis der das konnte.

Gab es da Tränen?

Natürlich gab es Tränen. Männliche und weibliche Tränen. Mehr männliche. Und irgendwann folgten die euphorischen Momente des Gelingens. Ich kann nur sagen, dieser Zauber des Theaters, der fehlt mir schon.

Was würde er denn heute für Theater machen?

Sein Theater. Er hat sich um Moden und Vorgaben wenig gekümmert. Er hat sich an Stücken festgebissen, bei denen er der Meinung war, dass er noch nicht fertig war, dass er sie noch nicht geknackt hat. Da würde er heute sicher weitermachen. Wie oft Benno zum Beispiel „Hamlet“ inszeniert hat! In wie vielen Sprachen! Er hätte sich immer wieder unter anderen Aspekten mit ähnlichen Stücken befasst.

Woran hat er denn zuletzt gearbeitet?

An „Ödipus“ von Sophokles an der Comédie-Française. Wir hatten darüber gesprochen, dass er das auch noch einmal in Berlin macht. Er wurde in Paris bei den Proben krank, und es war leider klar, dass er sterben muss. Wir haben ihn nach Berlin geholt. Es war sein Wunsch, hier zu sterben. Wir haben einen Gedenkstein auf dem Dorotheenstädtischen für ihn gesetzt. Die Asche wurde bei ihm zu Hause verstreut im Neuchateler See.

Haben Sie mal überlegt, sein Erbe auch als Theaterleiterin anzutreten?

Das wurde mir schon einige Male angeboten, aber das habe ich abgelehnt. Das ist ein Job, den muss man wollen. Das ist mehr als ein künstlerischer Alltag. Ich finde es schon schwierig genug, bei einer Inszenierung Verantwortung für die ganzen Leute zu übernehmen, und dann ein ganzes Haus? Mich wegen Geld mit Politikern rumzuschlagen, ach, das könnte ich nicht. Dafür hätte ich nicht die Nerven.

Ihr Vater hat als künstlerischer Leiter und Intendant nicht nur einfach zum Beispiel in der Volksbühne gearbeitet, sondern das ganze Haus inszeniert.

Ja, das war diese große Spektakel-Idee. Gigantisch. Er hat die Volksbühne auch umgebaut und das Parkett amphitheaterartig hochgezogen zum Rang, sodass man von jedem Platz aus gut sehen und besser hören kann – ein demokratischer Zuschauerraum ohne Königsloge. Das meine ich mit „groß denken“. Gepaart mit dem Gedanken, dass Theater auf jedem Nudelbrett und auf jeder Toilette stattfinden kann. Es war großartig. Und er hat sich dann schlauerweise Regisseure geholt wie Manfred Karge und Matthias Langhoff, die ganz anders arbeiteten und dachten als er, auch ästhetisch, sodass die Vielfalt gegeben war auch mit einer großen Schar von tollen jungen Schauspielern. Und Dichter mit sehr eigenen Köpfen wie Heiner Müller, Peter Hacks oder Christoph Hein. Das war auf sehr eigene Art und Weise ein sehr produktives, lebendiges Haus, und das Publikum strömte.

Wo ist diese Lebendigkeit hin?

Theater hat es jetzt schwerer als noch vor 50 Jahren. Der gesellschaftliche Stellenwert hat sich geändert durch die neue globale und mediale Welt. Aber Theater ist nicht totzukriegen. Benno erzählte manchmal von einem großen Stein in seinem Schweizer Heimatort vor einer Rieseneiche, auf diesem Stein haben er und seine Freunde schon Theater gespielt, verkleidet als Steinzeitmenschen und nur mit Urlauten. Vielleicht war das sein Urknall fürs Theater. Katharsis stellt sich eben nicht nur durch das Leiden ein – das auch, und da sind wir Deutschen bestimmt ganz gut –, sondern auch durch das Lachen. Das spielte bei Benno eine Riesenrolle. Er konnte geduldig und tief in den tragischsten Versen von Shakespeare bohren. Irgendwann trat das Komische hervor und damit eine Bedeutung, die einen erschauern ließ ob all der Tragik des Menschseins.

Finden Sie es schade, dass man Theater nicht festhalten kann?

Theater ist eine sehr vergängliche Kunst und darum glaube ich, dass es wichtig ist in der Kunst, gegen das Vergessen anzugehen. Traditionen sind auch was Schönes und Erwärmendes. Man muss das Pulver nicht immer neu erfinden, sondern kann auch mal versuchen, mit den Rezepten, die schon da sind, ein Feuerwerk anzuzünden und etwas in die Luft jagen. „Das haut“ sagte mein Vater oft. Ich fänd es wunderschön, wenn Benno Besson nicht vergessen wird. Dafür hat er über Jahrzehnte einfach zu viel Glück in die Welt gebracht.

Spielen! Spielen! Spielen! Am 4. November veranstaltet die Volksbühne unter Mitwirkung des Deutschen Theaters und des Berliner Ensembles ein Theaterfest zum 100. Geburtstag von Benno Besson mit Katharina Thalbach, Pierre Besson und anderen. Karten und Informationen unter Tel.: 24065777 oder volksbuehne.berlin