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Kopf des Tages Thomas Becket

Vor dem Altar wurde dem Bischof der Schädel gespalten

Als Kanzler exekutierte Thomas Becket die Machtpolitik Heinrichs II. von England. Zum Erzbischof von Canterbury aufgestiegen, opponierte er jedoch. Bis vier Ritter 1170 auf die Idee kamen, den König „von diesem lästigen Priester“ zu befreien.
Freier Autor Geschichte
The murder of Thomas Becket in 1170 by the four knights, Reginald FitzUrse, Hugh de Morville, William de Tracy and Richard le Breton. Thomas Becket, aka Saint Thomas of Canterbury, Thomas of London and Thomas à Becket, c. 1119/1120 – 1170. Archbishop of The murder of Thomas Becket in 1170 by the four knights, Reginald FitzUrse, Hugh de Morville, William de Tracy and Richard le Breton. Thomas Becket, aka Saint Thomas of Canterbury, Thomas of London and Thomas à Becket, c. 1119/1120 – 1170. Archbishop of
29. Dezember 1170: Thomas Becket (geb. 1118) wird in der Kathedrale von Canterbury erschlagen
Quelle: picture alliance / Design Pics
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Diesmal soll er dem Tod gefasst ins Auge geblickt haben. Sechs Jahre zuvor war Thomas Becket (1118 bis 1170) noch vom Hof des englischen Königs geflohen, um sein Leben zu retten. Diesmal wollte er standhaft bleiben: „Wir müssen alle sterben, und wir dürfen nicht aus Angst vor dem Tod vom Recht abweichen. Ich bin eher bereit, für Gott sowie für Recht und Freiheit der Kirche Gottes den Tod auf mich zu nehmen, als jene es sind, mir diesen zuzufügen“, erklärte er seiner konsternierten Gefolgschaft. Wenige Minuten später war Becket tot – und keine drei Jahre später ein Heiliger.

Das Beispiel des Erzbischofs von Canterbury hat eine Debatte angestoßen, die bis heute anhält. Sie dreht sich zum einen um die Persönlichkeit eines Mannes, der als engster Berater des Königs zu Macht und Reichtum aufstieg, um als Kirchenfürst zum Inbegriff des Widerstands zu werden. Und es geht um die Frage des rechten Verhältnisses zwischen Kirche und Herrschaft, christlichen Werten und säkularer Staatsräson.

Circa 1162, Thomas a Becket (1118 - 1170), Archbishop of Canterbury whose murder at the orders of Henry II lead to the cathedral becoming a popular place of pilgrimage. (Photo by Hulton Archive/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Stieg zum Kanzler von England auf: Thomas Becket
Quelle: Getty Images

In der feudalen Welt des mittelalterlichen England war Becket ein Aufsteiger. Der wohl kurz vor 1120 geborene Sohn eines normannischen Kaufmanns aus London (der sich übrigens selbst Thomas von London nannte) verdankte es dem Vermögen seiner Familie, dass er auf guten Schulen und der Universität von Paris eine exzellente Ausbildung erhielt. Anschließend fand er eine Stelle bei einem vermögenden Verwandten, der als Bankier gute Verbindungen zum Königshof unterhielt. Ein weiterer Verwandter war Theobald, der Erzbischof von Canterbury und damit Primas von England, der Thomas in seinen Beraterstab aufnahm.

Als Archidiakon an der Kathedrale von Canterbury und Propst von Beverley stand ihm eine kirchliche Karriere offen, die durch einen Zufall einen ungemeinen Schub erhielt. 1154 war mit Heinrich II. ein neuer König auf den Thron von England gelangt. Gerade einmal 22 Jahre alt, ging es Heinrich vor allem darum, die Folgen des vorangegangenen Bürgerkrieges zwischen seiner Mutter Matilde und seinem Onkel Stephan zu beseitigen. Dafür brauchte er loyale Verbündete. Auf Vorschlag Theobalds wurde Thomas Becket zum Kanzler berufen.

1EN-713-C1-B (641983) Heinrichs II.v.England / Freeman n.Vert. Heinrich II. Plantagenet, König von Eng- land (1154-89); Le Mans 5.3.1133 - Chi- non 6.7.1189. - Porträt. - Punktierstich, um 1830, von Samuel Free- man (1773-1857) nach George Vertue (1684 -1756). Spätere Kolorierung. E: Henry II / Engraving / Coloured Henry II Plantagenet, King of England (1154-89); Le Mans 5.3.1133 - Chinon 6.7.1189. - Portrait. - Engraving, c.1830, by Samuel Freeman (1773-1857) after George Vertue (1684 - 1756). Colour added later.
Heinrich II. Plantagenet von England (1133–1189)
Quelle: picture alliance / akg-images

Trotz oder vermutlich gerade wegen des Altersunterschieds von 15 Jahren entwickelte sich zwischen beiden Männern bald ein tiefes Vertrauensverhältnis. Thomas wurde zum verlässlichen Gehilfen des Königs bei dem Versuch, seine Rechte gegenüber Adel, Kirche und Städten durchzusetzen und auszuweiten. Selbst als der König für seine Kriege in Frankreich von Kirchen und Klöstern erhebliche Summen einforderte, setzte der Kanzler diese Anordnung durch. Dafür machten ihn Titel und Dotationen zu einem der reichsten Feudalherren des Königreichs, dessen Mittel ausreichten, um sich gegenüber dem König mit drei Schiffen zu revanchieren. Auch wurde er zum Erzieher des Kronprinzen berufen.

Nachdem Erzbischof Theobald 1161 gestorben war, lag es auf der Hand, dass Heinrich auf die Idee verfiel, seinen Kanzler zum Nachfolger in Canterbury zu machen. Das folgte der königlichen Linie, stärkeren Einfluss auf die Kirche zu nehmen. Zwar war es bislang Tradition gewesen, einen Mönch mit dem einflussreichen Posten zu betrauen. Und gegen Thomas Berufung sprach dessen betont weltlicher Lebensstil am Hofe. Aber der König ließ sich nicht beirren und setzte Thomas’ Wahl schließlich durch.

'Canterbury Cathedral, Kent', c1845. View of the cathedral at Canterbury in Kent which was founded in 597 AD. It was largely rebuilt in Gothic style following a fire in 1174, with extensions to accommodate the flow of pilgrims visiting the shrine of Thomas Becket. From "Curiosities of Great Britain. England & Wales Delineated" by Thomas Dugdale. (The Print Collector/Heritage Images)
Die Kathedrale von Canterbury Mitte des 19. Jahrhunderts
Quelle: picture alliance / Heritage-Imag

Doch auf einmal verweigerte sich Thomas dem Ansinnen Heinrichs, sein williger Anwalt zu sein. Stattdessen übernahm er unvermutet einen geistlichen Lebensstil und begann, dem Herrscher zu widersprechen. Es ging um die Frage, ob kriminell gewordene Kleriker von einem weltlichen oder einem kirchlichen Gericht abgeurteilt werden sollten. Thomas beharrte zunächst auf dem geistlichen Gerichtsstand, fand sich aber schließlich dazu bereit, im Namen der Bischöfe Englands das bisher geübte Gewohnheitsrecht des Königs zu akzeptieren. Als Heinrich dieses Verfahren jedoch schriftlich fixieren wollte, verweigerte Thomas die Unterschrift.

Das königliche Gericht verurteilte ihn daraufhin wegen Hochverrats, worauf üblicherweise Hängen, Ausweiden und Vierteilen stand. Thomas floh 1164 nach Frankreich, wo man ihm gern Asyl gewährte. Da Papst Alexander III. aber sein Angebot des Rücktritts von seinen Ämtern ablehnte, kam es zu langen, fruchtlosen Verhandlungen.

St Thomas Becket. (Photo by Museum of London/Heritage Images/Getty Images)
Thomas Becket als Erzbischof
Quelle: Heritage Images/Getty Images

Erst eine politische Wendung brachte Bewegung in die Sache. Um seine Nachfolge zu sichern, verfiel Heinrich auf den Plan, seinen gleichnamigen Sohn krönen zu lassen, während er noch das Zepter in der Hand hielt. Dieses Recht aber kam nur dem Erzbischof von Canterbury zu. Erneut verweigerte sich Thomas jedoch Heinrichs Forderungen, sodass der Erzbischof von York die Krönung übernahm.

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Daraufhin erteilte Papst Alexander Thomas die Vollmacht, die an der Krönung beteiligten Kleriker zu exkommunizieren. Um das abzuwenden, versprach Heinrich die erneute Krönung seines Sohnes durch den Erzbischof von Canterbury. Außerdem fand sich der König bereit, Thomas die eingezogenen Güter zurückzuerstatten und zudem gegen die Bischofsfronde vorzugehen, die sich inzwischen gegen Thomas gebildet hatte. Im Sommer 1170 fanden beide wieder „in großer Vertrautheit“ zusammen.

„Befreit mich von diesem lästigen Priester“

Doch das Bündnis hielt nur kurz. Zum einen stockte die Restitution der Güter, zum anderen sprach Thomas die Exkommunikation des Erzbischofs von York und der Bischöfe von London und Salisbury wegen ihrer Beteiligung an der Krönung des Kronprinzen aus. Auch begann Thomas, seine Rückkehr mit publikumswirksamen Umzügen zu feiern.

Das Ergebnis war der berühmte Wutanfall Heinrichs: „Was für Faulpelze und Feiglinge habe ich an meinem Hof herangezogen? Denen, die Loyalität zu ihrem Herrn nichts bedeutet? Gibt es denn niemanden, der mich von diesem lästigen Priester befreit?“ Vier Ritter – Reginald FitzUrse, Hugh de Moreville, William de Tracy und Richard Brito – interpretierten das als Mordbefehl und machten sich umgehend auf nach Canterbury.

Assassinat de Thomas Becket (1118-1170), évêque de Canterbury. Miniature du XIII siècle. British Museum Londres
Beckets Ermordung auf einer mittelalterlichen Darstellung
Quelle: picture-alliance / Leemage

Am Nachmittag des 29. Dezember 1170 erklärten sie dem Erzbischof, ihm eine wichtige Botschaft des Königs zu bringen. Zugleich überschütteten sie ihn mit Klagen und Forderungen, die Exkommunikation der Kirchenfürsten aufzuheben. Thomas wies ihnen darauf hin mit den Worten die Tür: „Wisst, das ich nicht zurückgekehrt bin, um zu fliehen. Hier werdet ihr mich finden“, und zog sich für den Vespergottesdienst in die Kathedrale zurück.

Dort fanden ihn die Ritter am Altar. Ein Augenzeuge berichtet, dass FritzUrse ihn einen „Verräter des Königs“ genannt habe, worauf Thomas antwortete: „Hier bin ich, nicht Verräter des Königs, sondern Priester“. Dann begannen die Bewaffneten mit ihren Schwertern auf ihn einzuschlagen. Schließlich spaltete ein Hieb den Schädel des Erzbischofs. Dessen Gefolge ließ sich von den Drohungen der Ritter überzeugen, den Leichnam ohne Aufsehen zu bestatten.

Die Reaktionen in ganz Europa waren enorm. Nicht nur, weil das Opfer der ranghöchste Kirchenfürst Englands war, sondern weil sich der Mord auch auf heiligem Boden ereignet hatte. Umgehend wurden dem Toten und seinen Reliquien wundertätige Dinge zugeschrieben. Bereits im Februar 1173 wurde er vom Papst heiliggesprochen, während seinen Mördern eine Kreuzfahrt ins Heilige Land auferlegt wurde.

Für die Frage, was des Staates und was der Kirche ist, bietet Thomas Becket seitdem ein eindrucksvolles Beispiel.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Dezember 2021 veröffentlicht.

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