Beate Matteoli: Wie Ulbrichts Adoptivtochter dem Alkohol verfiel - WELT
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Wie Ulbrichts Adoptivtochter dem Alkohol verfiel

Ulbricht, Familie Ulbricht, Familie
Scheinbare Idylle: Starr und steif sitzt Walter Ulbricht 1965 mit seiner Frau Lotte und Tochter Beate (Mitte) in einer Hollywoodschaukel im Garten seines Hauses in Wandlitz
Quelle: ullstein bild - P/F/H/ullstein - P/F/H
Beate Matteoli, Adoptivtochter der Ulbrichts, brach mit der sozialistischen Musterfamilie und bäumte sich gegen die DDR-Nomenklatura auf. Schließlich flüchtete sie in den Alkohol. Nach dem Fall der Mauer wurde sie in ihrer Berliner Wohnung erschlagen aufgefunden. Die Bluttat wurde niemals aufgeklärt.

Der Brief, der auf dem Schreibtisch von Wolfgang Schwanitz, zu dem Zeitpunkt erster Mann der Berliner Bezirksverwaltung des MfS, landete, –abgestempelt auf den 9. Juli 1980 und den Verlust des Personalausweises einer 36-Jährigen anzeigend – schien auf den ersten Blick blanke Routine. Immerhin kam er aus der Zentrale der Ostberliner Volkspolizei, genauer von deren Präsidenten. Und so schien ein zweiter Blick wohl angebracht: Die Frau ohne Ausweis mit Namen Beate Matteoli, hieß es von Chef zu Chef, sei nach zwei Flaschen Sekt im Restaurant „Moskwa“ auf der Straße orientierungslos aufgegriffen worden. Da sie sich nicht ausweisen konnte, hätten sie zwei Volkspolizisten mitgenommen. Beate Matteoli? Schwanitz kannte die Geschichte…

Maria Pestunowa wurde am 6. Mai 1944 als Tochter einer ukrainischen Zwangsarbeiterin und eines unbekannten Vaters in Leipzig geboren. Im Sommer 1944 kam die Mutter bei einem Bombenangriff ums Leben und das Mädchen zunächst in ein Waisenheim, kurze Zeit später zu Pflegeeltern. Im Januar 1946 wurde die anderthalbjährige Maria mithilfe des sächsischen Jugendamtes von Lotte Kühn und Walter Ulbricht, zu der Zeit sächsischer Landtagsabgeordneter und Kopf der Gruppe kommunistischer Moskau-Überlebender, adoptiert. In einem Schreiben ans Jugendamt knapp zwei Jahre später gab die neue Mutter an, dass das Mädchen „von ständig gleichbleibender Liebe umgeben“ sei und zu einem „wertvollen Glied unseres neuen Deutschlands“ heranwachsen werde. Bis dahin müsse allerdings noch einiges an „Schaden“ behoben werden, denn die Kleine habe noch mit knapp zwei Jahren nicht gewusst, was „beißen und kauen“ sei. Sich daraus ergebende Verdauungs- und Wachstumsprobleme würden jedoch binnen Kurzem aus der Welt geschafft sein, meinte die 1,45 Meter große Frau, die wenige Jahre später Lotte Ulbricht hieß und zur ostdeutschen Landesmutter avancierte.

Fotos aus der Kindheit des verträumt dreinschauenden blonden Mädchens Beate: angestrengt über Schreibheften brütend, mit den hyperaktiven Eltern in Oberhof Ski laufend, im Garten alle Natur bestaunend, vor Tischtennisplatten und Volleyballnetzen mit dem sportbegeisterten Vater hüpfend, auf der Berliner Stalinallee Hand in Hand mit der resoluten Mutter flanierend. Private Fotos als öffentliche Sinnbilder. Die neue sozialistische Musterfamilie gab sich „vergnügt und nützlich“, wie Lotte Ulbricht dem einzigen Kind ins Maximenbuch schrieb. Doch das Komplexprogramm als perfekte Tochter, perfekte Schülerin, perfekter Pionier zeigte alsbald Risse.

An der Russisch-Spezialschule in der Pankower Kissingenstraße, in die Beate Ulbricht seit 1954 ging, wurde das hochbegabte Nomenklaturmädchen von den Mitschülern strikt abgewiesen und des Öfteren heftig verprügelt. „Ich kann doch nichts dafür, dass mein Vater Walter Ulbricht ist“, wehrte es sich tapfer, um im selben Atemzug gegen die spießige Kleiderordnung, die ihm die Eltern Tag für Tag auferlegten, zu protestieren. Druck von allen Seiten, den das aufstrebende Politikerpaar Ulbricht offensiv löste, indem es den „kleinen Sputnik“ ab 1959 zum Abitur ins Mutterland des Kommunismus, genauer nach Leningrad, entsendete.

Die Umstellung fiel der mittlerweile 15-Jährigen schwer. In Pankow landeten einsame Briefe, die von ausbleibenden Freundschaften und Irritationen im Umgang mit Margarita Wladimirowna, bei der sie privat untergebracht war, berichteten. „Kopf hoch, liebes Mädel! Lass Dich nicht von vorübergehenden Schwierigkeiten bedrücken und ablenken. Alles wird gut werden“, lautete die stämmige Antwort der Eltern in die sowjetische Revolutionsstadt. Vorübergehend waren die Schwierigkeiten eher nicht, gleichwohl nabelte sich der Teenager ab und kam – nach dem Abitur studierte Beate Ulbricht Geschichte und Russisch am Leningrader Herzen-Institut – in der Fremde offenbar zunehmend besser zurecht.

Mitte 1962 erreichte Pankow die Nachricht, die Tochter habe sich heftig verliebt, und zwar in den Sohn eines italienischen KP-Funktionärs. Das war gar nicht nach dem Geschmack des Mauerbauers Ulbricht. Die Order des Staatschefs an die Tochter vom Mai 1963 ließ deshalb auch an Klarheit nichts zu wünschen übrig: „Da Dich der Staat zum Studium entsandt hat, bestimmt er auch Deinen zukünftigen Arbeitsort. Wir denken, Du machst Dir das rechtzeitig klar. Du weißt, dass gerade Du keine Ausnahme machen kannst, und Du sollst auch wissen, dass sowohl die deutschen als auch die sowjetischen Stellen unseren Standpunkt kennen. Deine Dich innigst liebenden Eltern.“

Funkstille zwischen Berlin und Leningrad, dann eine Einladung aus Berlin zum gemeinsamen Urlaub auf der Krim im Sommer 1963. Intention der Reise: Auflösung der italienischen „Tändelei“. Erneute Symbolfotos von einer „vergnügten“ Familien-Troika. Doch nach der Krim war vor der Krim. Die Tochter blieb stur, bestand auf ihrer Liebe, heiratete im Oktober 1963 Ivanko Matteoli auf dem Pankower Standesamt und sah nun in das andere Bild „innigster Liebe“: Die Eltern Matteoli erhielten kein Einreisevisum. Die Ulbrichts blieben der Hochzeit fern. Nach der ertrotzten Eheschließung hatte sich die 19-Jährige in der Produktion zu bewähren, als Löterin im VEB Stern-Radio. Kein Studium mehr, keine Königsebene, vielmehr kategorischer Kontaktabbruch. Was einmal Lieblingsprojekt war und zur Megaprojektion taugte, war in Ungnade gefallen.

Zwangsweise getrennt

Ab nun galt ein anderes Programm, das der reinsten Härte, dem die abgewiesenen Matteolis versuchten, zu entkommen. Im Februar 1965 wurde Tochter Patricia geboren, und es entstand der Plan, erneut nach Leningrad zu gehen, wo sie sich kennengelernt hatten. Ivanko Matteoli fuhr voraus, um die Übersiedlung vorzubereiten. Nur Stunden nach seiner Abreise wurde seiner Frau der Reisepass abgenommen, beider Post abgefangen, die Familie für zwei Jahre zwangsweise getrennt. In dieser Zeit bestand ihr Alltag vornehmlich aus Dauerkontroversen mit den Eltern, die die Trennung des Paares einforderten. Prompt einen Tag nachdem Beate Matteoli schließlich die Einwilligung zur Scheidung gegeben hatte, erhielt sie ihren Pass zurück. Sobald als möglich flog sie mit der Tochter nach Leningrad und fand vor, was sie befürchtet hatte: Ihr Mann war in der Stadt nicht mehr ausfindig zu machen.

Stattdessen begegnete sie einem alten Schulfreund: Juri Polkownikow. Versuchte Nähe aus Verzweiflung. Er wurde zum Notanker, sie erneut schwanger. Im März 1968 heirateten sie. Auf dem Hochzeitsfoto wieder der verträumte Kinderblick einer mittlerweile sehr schönen Frau. Sie vor einer überdimensionalen Lenin-Büste stehend, ein bisschen verloren wirkend. Im Januar 1969 wurde Sohn André geboren. Familie Polkownikow bezog eine Wohnung auf dem Moskauer Prospekt, mitten in Leningrad.

Keine Erwähnung im Testament

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Sie nahm ihr Studium wieder auf, er trank und schlug sie. Als die Tochter Patricia 1971 wegen einer Lungenkrankheit zur Behandlung in die DDR geschickt wurde, fuhr die Mutter mit. Vorsichtige Stippvisiten, kurze Treffen mit den Ulbrichts, sich erneuernde Ängste. 1972 schrieb sie an die Mutter, sie könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Eltern sie loswerden beziehungsweise enterben wollten. Lotte Ulbricht wehrte vehement ab. Als Walter Ulbricht im Sommer 1973 starb, stand in seinem Testament nichts von einem Erbe an die Tochter. Ihr Name kam schlichtweg nicht vor.

Noch im selben Jahr, 1973, ließ sich Beate Polkownikowa scheiden, hieß nun wieder Matteoli und kehrte in die DDR zurück. Eine Frau Ende 20, allein mit zwei kleinen Kindern, in einer winzigen Mietwohnung in der Rummelsburger Straße in Friedrichsfelde, ohne Studienabschluss, ohne jede Unterstützung, allein mit viel Alkohol. Während der Zwangstrennung von Ivanko Matteoli hatten die Schwiegereltern aus Italien kistenweise Trost-Wermut nach Ost-Berlin geschickt. In Leningrad wurde der Wermut gegen Wodka ausgetauscht.

Wieder in Ost-Berlin gab es von allem: Wermut, Wodka, rumänischen Kognak, bulgarischen Rotwein und Sekt in rauen Mengen. Die Alkoholika wechselten und auch die Arbeitsstellen. Beate Matteoli arbeitete im Ministerium für Kultur, im Epidemiologischen Zentrum der staatlichen Hygieneinspektion Potsdam, in der Schuhproduktion VEB Goldpunkt, im Ministerium für Wissenschaft und Technik, im Zentralinstitut für Information und Dokumentation und als Übersetzerin bei der Nachrichtenagentur ADN.

Nirgends fasste Matteoli Fuss

Nirgends blieb sie länger, nirgends fasste sie mehr Fuß und wollte es vermutlich auch gar nicht mehr. Meist saß sie am Abend nach der Arbeit in der „Solidarität“ oder in der „Sonja“. Ost-Berlin Mitte der Siebzigerjahre: das Wüten der sozialistischen Schimäre, das Anhäufen toter Zeit. Ihr Leben in dem, was die Genossen Eltern für „unsere Menschen“ erschaffen hatten. Der Versuch der Tochter, das aufgezwungene Perfektprogramm in sich zu löschen. Ihre Irrwege in all den abgeschnittenen Geografien. Doch war etwas anderes als das Antiprogramm zum elterlichen allseits „vergnügt und nützlich“ überhaupt möglich? Wo hätte sie hingekonnt, vor allem gemusst, um sich zu schützen? Ende der Siebzigerjahre wurde Beate Matteoli von den Behörden das Sorgerecht für ihre beiden Kinder entzogen. Anfang der Achtzigerjahre ordnete man für das in den Parteibrunnen gefallene Ulbricht-Kind eine psychiatrische Untersuchung im Fachkrankenhaus Lichtenberg an. War da nichts Pathologisches? Konnte man den so deutlich vom Weg abgekommenen Politnachwuchs nicht endlich wegsperren? Wer oder was entschied letztendlich dagegen?

Denn Beate Matteoli lebte in diesen Jahren mehr und mehr auf der Straße, beschaffte sich Geld durch Gelegenheitsarbeiten, traf sich mit Trinkerfreunden in Kneipen und Parks. Jedes Jahr landete eine nichtssagende Karte auf dem Geburtstagstisch der Mutter, mit Worten zur Mädchenschrift hinpoliert. Dass es ihr gut gehen solle, dass sie vergnügt feiern solle, dass sie lange leben solle, wünschte die Tochter brav. Lapidare Zeichen oder Hilferufe? Worte, die kein Missfallen erregen sollten – als das letzte Band? Gab es Reaktionen von Lotte Ulbricht? Freute sie sich darüber, wo die Tochter doch ansonsten eisern beschwiegen wurde?

Herbst 1989. Von Beate Matteoli und dem, was sie in den Wochen der Revolution in Berlin sah und lebte, ist kaum etwas bekannt. Wie immer zog sie mit ihren Trinkerfreunden um die Ecken, wie immer schrieb sie die Jahreskarte an die Mutter, wie immer brauchte sie Geld. Im Spätherbst 1991 gab die 47-Jährige dem Boulevardblatt „Super“ ein ausführliches Interview, in dem sie sich erstmals über das äußerte, was sie an Zwang, Fluchten und Einsamkeiten in der Familie Ulbricht erlebt hatte. Für das Gespräch erhielt sie, wie es hieß, ein ansehnliches Honorar. Kurz darauf, in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1991, wurde Beate Matteoli in ihrer Lichtenberger Wohnung erschlagen aufgefunden. Die Umstände des Todes wurden nie aufgeklärt. Lotte Ulbricht blieb der Beerdigung ihrer Tochter am 21. Dezember 1991 fern.

Die Autorin ist Schriftstellerin und Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch“. Der Text ist dem Buch „Black Box DDR. Unerzählte Leben unterm SED-Regime“ von Ines Geipel und Andreas Petersen entnommen, das im September beim Marix Verlag Wiesbaden erscheint

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