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Die zweite Zerstörung des großen Babylon

In Berlin öffnet demnächst eine Ausstellung über die antike Stadt Babylon. Die meisten antiken Stätten vor Ort sind ruiniert oder wieder in der Wüste versunken. Schuld daran hat Saddam Hussein - aber auch die US-Truppen im Irak-Krieg gingen nicht zimperlich mit den uralten Bauten um.


2000 Jahre nachdem der letzte Herrscher durch das Ischtartor geschritten war, ratterten Panzer über die alte Prozessionsstraße in Babylon. Sie gehörten amerikanischen Truppen, die in den antiken Stätten im April 2003 ihr Camp Alpha aufschlugen. Kellogg, Brown und Root, ein Zweigunternehmen des Halliburton-Konzerns, dessen Chef lange US-Vizepräsident Dick Cheney war, planierte Erdhügel, legte einen Hubschrauberlandeplatz und Parkplätze an, zog Gräben, baute Zeltstädte, befestigte Straßen und füllte tausende Sandsäcke mit Ausgrabungsmaterial.

„Die Amerikaner und später die Polen wählten Babylon aus, weil sie dort Infrastruktur vorfanden, das Gelände wurde unter Saddam Hussein für Festivals mit vielen Besuchern genutzt“, sagt Margarete van Ess, die wissenschaftliche Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin.

Saddams Projekt „Babylon Revival“

Wer mit Google Earth Babylon unter den Koordinaten 32.5343N und 44.4303E etwa 90 Kilometer südlich von Bagdad findet, kann sich anhand der vier Jahre alten Aufnahme ein bemerkenswert klares Bild des Militärlagers machen. Auf dem Grabungsgelände stehen Zelte, viele Autos, Lastwagen. Sogar ein gutes Dutzend Hubschrauber lässt sich ausmachen.

Die Satellitenaufnahme zeigt auch unversehrte Mauern, lehmfarbene Gebäude und drei große künstliche Hügel, auf einem erhebt sich ein Palast. Iraks Diktator Saddam Hussein hatte 1979 die Antikenverwaltung angewiesen, Teile des riesigen Areals in seiner ursprünglichen Gestalt erlebbar zu machen.

Das Projekt „Babylon Revival“ wurde erst durch den Krieg im Frühling 2003 beendet. Bis dahin hatten die Archäologen den Palast von Nebukadnezar II. rekonstruiert, so wie er um 600 v. Chr. mit seinen 600 Räumen ausgesehen haben könnte. Darüber hinaus machten sie das hellenistische Theater, das in der Zeit Alexanders des Großen 300 Jahre später angelegt wurde, für Aufführungen nutzbar. Wie schon Alexander, so plante auch Saddam, den berühmten Turm von Babel wieder aufzubauen. In beiden Fällen stoppte der Tod des Despoten das Projekt. Die Rekonstruktionen sind der Grund, warum die Unesco Babylon nie unter die Welterbestätten aufnahm.

Die deutschen Grabungen zwischen 1899 und 1917

„Immerhin ist die irakische Antikenverwaltung relativ umsichtig vorgegangen. Man versicherte mir, dass zwischen die originalen Mauern und die Rekonstruktionen eine Schutzschicht gelegt wurde. Für Laien wurde ein Raumeindruck geschaffen. Aber natürlich ist es jetzt nicht mehr möglich, in tiefer liegende, frühere Schichten vorzudringen“, sagt van Ess.

Die Ausgrabungen reichten teilweise bis in vier Meter Tiefe. Um das Babylon des Hammurabi (1792-1750 v. Chr.), des ersten bedeutenden Herrschers der Stadt, erforschen zu können, waren die Archäologen noch nicht weit genug vorgedrungen. Die Reste dieser frühesten Blüte der Stadt haben wahrscheinlich unter dem Einsatz der schweren Baufahrzeuge während der Rekonstruktionsphase und später durch die von den Militärs ausgelösten Erschütterungen gelitten.


„In dieser Epoche wurde hauptsächlich mit Lehmziegeln gebaut, durch die Verdichtung des Bodens zerfielen viele dieser unter der Oberfläche liegenden Ziegel“, sagt van Ess. Als alle Grabungen 2002 gestoppt wurden, sei erst ein Bruchteil des Areals erforscht gewesen: „In Babylon wartet noch Arbeit für die nächsten 500 Jahre auf uns.“


Saddams Rekonstruktion der Südburg Nebukadnezars orientierte sich an den Plänen des deutschen Archäologen Robert Koldewey, der Babylon zwischen 1899 und 1917 ausgegraben hatte. Koldewey brachte die Fragmente des Ischtartores ins Berliner Pergamonmuseum. Eine Kopie der Berliner Rekonstruktion steht auch in Babylon. Seit den frühen Achtziger Jahren schritten alljährlich die Besucher des „Babylon Festivals“ hindurch. Margarete van Ess war einige Male dabei: „Es gab nur geladene Gäste, aber die Stimmung war ausgelassen und entspannt. Die Theateraufführungen hatten natürlich starke politische Bezüge und stellten Saddam in bestem Licht dar.“

Saddam-Stempel auf 60 Millionen Steinen

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Saddam Hussein sah sich in der Nachfolge Nebukadnezars und damit als Repräsentant einer großen Kulturnation. Wie der antike Herrscher, so ließ auch er seinen Namen auf jeden der 60 Millionen Backsteine stempeln, mit denen der Palast wiederaufgebaut wurde. Zusätzlich ließ er drei Hügel mit einem Durchmesser von je 300 und einer Höhe von 30 Metern aufschütten, die Erdlöcher füllten sich mit Wasser. Auf einem dieser Hügel erhebt sich heute ein Palast Saddams. Um den Sinn der anderen Hügel ranken sich Legenden, die einen sehen auf ihnen Residenzen für Saddams Söhne, andere wollen sie als Fundamente einer Seilbahn erkennen, die Touristen einmal über Babylon hätte schweben lassen sollen.

Durch seine Präsenz in Babylon untermauerte Saddam seinen unbedingten Herrschaftsanspruch. „Dass die irakischen Museen und die babylonischen Relikte nach dem Sturz Saddams auf so brutale Weise geplündert wurden, hat sicher auch psychologische Gründe, die mit Saddams Verehrung für die vorislamischen Epochen zu tun haben“, erklärt van Ess. Möglicherweise sahen die Irakis, die eigentlich stolz sind auf ihre Vergangenheit, in den Relikten die Vorhut von Saddams Unrechtsregime.

Vor dem Eintreffen der Koalitionstruppen ging im Winter 2003 das Museum in Babylon in Flammen auf, zuvor wurde es geplündert. Der Verlust der Artefakte ist zu verschmerzen, da kaum Originale ausgestellt waren. Schwerer wiegt die Vernichtung aller irakischen Grabungsunterlagen. Viele Erkenntnisse sind damit wieder im Wüstenboden verschwunden. Schäden entstanden auch an den Vorgängerbauten des Ischtartors. Diese zierten bereits die charakteristischen Stiere und Fabelwesen mit Schlangenköpfen. Zu Beginn des Kriegs, wahrscheinlich im Winter 2002/03, wurden sie zum Teil herausgebrochen.

Das Gelände wird jetzt nicht untersucht

Seit sich die letzten Truppen im Herbst 2004 zurückgezogen haben, ist nicht viel passiert in Babylon. Grabungen gibt es nicht, Maßnahmen zum Erhalt der Substanz werden kaum ergriffen, immerhin wird nicht mehr geplündert. Kritisch sehen die Archäologen Bestrebungen des Gouverneurs der Stadt Hilla, das Gelände wieder für Festivals zu nutzen: „Das ist derzeit mit der Zentralregierung noch nicht ausreichend besprochen“, sagt van Ess. Es ist anzunehmen, dass hier auch die Machtgelüste der föderalistisch oder separatistisch orientierten Gouverneure eine Rolle spielen – Babylon ist ein Ort mit Symbolwert.

Die Babylon-Schau im Pergamonmuseum wird eine der größten, die es zu diesem Thema je gegeben hat. Gleichzeitig trifft sich ein Unesco-Komitee mit Experten in der Hauptstadt, um über Zustand und Zukunft des Grabungsareals zu beraten. Dabei sollen Dossiers von italienischen, deutschen, polnischen und britischen Archäologen zu einem Schadensbericht vereinigt werden.

Margarete van Ess nimmt an dem Treffen teil und plädiert dafür, pragmatisch zu handeln: „Saddams Rekonstruktionen sollen bleiben, sie gehören zur Geschichte. Die von den Militärs aufgerissenen Hügel sollten wir untersuchen, an den Schnittwänden können wichtige Erkenntnisse über verschiedene Zeitschichten abgelesen werden.“

„Babylon. Mythos und Wahrheit“, 26. Juni bis 5. Oktober im Pergamonmuseum Berlin

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