Hüftdysplasie beim Baby: So klein und schon Hüftprobleme? | Eltern.de
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Hüftdysplasie beim Baby So klein und schon Hüftprobleme?

Babyfüße
© LeManna / Shutterstock
Eine Hüftdysplasie beim Baby ist gar nicht so selten. Eine solche Fehlbildung der Hüfte sollte unbedingt korrigiert werden. Screening und moderne Therapien helfen, Spätfolgen zu verhindern. Wie man Babys mit Hüftproblemen heute helfen kann, erfahrt ihr hier.

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Hüftdysplasie beim Baby - was ist das eigentlich?

Etwa vier Prozent der Babys kommen mit einer Fehlbildung der Hüfte zur Welt. Die so genannte Hüftdysplasie ist damit das häufigste orthopädische Problem: Die Gelenke sind nicht genug ausgeformt, die Hüftgelenkpfanne ist zu flach und kann deshalb dem Kopf des Oberschenkelknochens nicht genug Halt bieten. Bei Belastung drückt dieser Hüftkopf an den falschen Stellen gegen die Gelenkpfanne. Die Folgen spürt man je nach Schwere der Hüftdysplasie im Teenageralter, vielleicht auch erst 20 Jahre später oder in der zweiten Lebenshälfte. Durch die falsche Belastung nutzt sich der Gelenkknorpel ab. Gehen, Laufen, Rennen, Tanzen schmerzen immer mehr, bis im schlimmsten Fall nur noch ein künstliches Hüftgelenk helfen kann.
So weit muss es nicht kommen. Wird die Hüftreifestörung schon beim Baby entdeckt, bestehen beste Chancen auf Heilung. Seit 1996 ist deshalb das Hüftscreening Teil der Vorsorge. Kinderärzte sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bei jedem Baby spätestens während der dritten U-Untersuchung (U3) die Hüften per Ultraschall untersucht werden.
Warum es zu dieser Hüftreifestörung im Mutterleib kommt, ist noch nicht ganz geklärt. Man weiß jedoch, welche Kinder besonders betroffen sind: neben Mehrlingen und Babys, die im Mutterleib falsch herum saßen (Beckenendlage), vor allem Mädchen! Sie haben fünfmal häufiger eine Hüftdysplasie als Jungen. Das liegt an den Hormonen, die im letzten Schwangerschaftsdrittel den Körper der Mutter auf die Geburt vorbereiten. Auf Jungen haben sie keine Auswirkungen, bei ungeborenen Mädchen aber bewirken diese Hormone dasselbe wie bei schwangeren Frauen: Der Hüftgürtel wird weich, und die Hüftgelenkkapsel lockert sich. Dadurch fehlt es am nötigen Druck im Hüftbereich.
Ob schwach oder stark ausgeprägt: Damit die Hüften nachreifen können, müssen die Oberschenkel in die Position gebracht werden, die sie normalerweise im Mutterleib einnehmen - gebeugt und leicht gespreizt. Erreicht wird das mit Beuge-Spreiz-Schienen, die das Baby eine Zeit lang rund um die Uhr tragen muss. Aus den meisten kann man das Kind zum Wickeln, Waschen, Baden herausheben. Insgesamt gibt es mehrere 100 Varianten von Nachreifehilfen. Die bekannteste Schiene ist die sogenannte Spreizhose.

Experten-Interview zum Thema Hüftdysplasie bei Babys

Den Eltern der kleinen Patienten gefallen die Schienen alle nicht. Sie wollen, dass ihr Baby nach Herzenslust strampeln kann und nicht in so ein "Geschirr" geschnallt wird. Zwar akzeptieren sie, dass ihr Kind die Behandlung mit diesem Ding braucht. Trotzdem bleiben Sorgen und Fragen. Auf zehn der häufigsten haben wir hier die Antworten zusammen gestellt.

Hat es Folgen für die Psyche, wenn sich das Baby mehrere Monate lang nur eingeschränkt bewegen kann?

Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die diese Frage beantworten könnte. Belegt ist aber: Ohne Behandlung könnte das Kind später als Erwachsener wegen Hüftschmerzen nicht richtig laufen, tanzen, Sport treiben.

Bremst die Schiene die motorische Entwicklung meines Babys?

Nicht auf Dauer. Zwar kann sich das Baby, solange es die Schiene trägt, nur eingeschränkt bewegen. Doch sobald das Ding weg ist, holen Kinder das Versäumte schnell auf und lernen genauso rollen, krabbeln und laufen wie andere.

Kann man die Hüftdysplasie beim Baby nicht ebenso gut mit breiten Wickeln behandeln?

Viele Kinderärzte empfehlen das breite Wickeln. Einerseits, um gesunde Babyhüften zusätzlich zu stabilisieren. Andererseits als therapeutische Maßnahme bei Kindern, die laut Hüft-Ultraschall eine Art Dysplasie-Vorstufe haben. Eine echte Hüftdysplasie kann man mit breitem Wickeln jedoch nicht behandeln. Dazu bedarf es einer Hüftbeug-Spreizschiene.

Ist die Beuge-Spreiz-Schiene unangenehm für mein Baby?

Die Erfahrung zeigt, dass die Kleinen die Schiene sehr schnell akzeptieren. Die Eltern tun sich damit viel schwerer. Kein Erwachsener kann sich vorstellen, zwei Monate lang in so einem Plastikapparat zu stecken oder gar in einem Gips. Babys jedoch gewöhnen sich ruck, zuck daran, schlafen, trinken, lachen und weinen genauso wie ohne Schiene. Nur strampeln können sie nicht so lebhaft, wie sie es sonst täten. Den Eltern hilft es, sich immer wieder klarzumachen, dass die Schiene ihrem Kind spätere Schmerzen und Operationen erspart.

Wann darf die Schiene wieder runter?

Je jünger das Kind, desto schneller kann man die Behandlung abschließen. Es gilt die Faustformel "Therapiedauer = Alter des Kindes bei Therapiebeginn mal drei". Ist das Baby zu Beginn der Behandlung beispielsweise vier Wochen alt, kann man drei Monate später die Schiene wegnehmen. Bei leichteren Dysplasien dauert die Behandlung kürzer.

Bedeutet die Schiene nicht auch eine Belastung für die Hüftgelenke?

Das kommt auf die Art der Schiene an. Ein zu starkes Spreizen der Beine beeinträchtigt die Durchblutung des Hüftkopfes. Deshalb gehen immer mehr Ärzte dazu über, leicht spreizende Beugeschienen zu verwenden statt Spreizschienen beziehungsweise Spreizhosen, die die Babybeinchen relativ weit auseinanderdrücken.

Unser Kind bekommt demnächst eine Gipsschiene, mit der es dann nicht mehr in den Kinderwagen passt. Zum Tragen ist es aber mit Gips zu schwer - und jetzt?

Für Babys, die in Beuge-Spreiz-Stellung behandelt werden, gibt es spezielle, extra breite Kinderwagen, Autositze und Auto-Babyschalen zum Ausleihen (www.sotev.com). Frag am besten den Arzt oder die Ärztin, ob er euch ein Rezept dafür ausstellt, und klärt mit eurer Krankenkasse, welchen Anteil der Leihgebühr sie übernimmt.
Auf Antrag könnt ihr beim zuständigen Versorgungsamt außerdem einen befristeten Schwerbehindertenausweis für euer Kind bekommen. Mit dem dürft ihr dann zum Beispiel auf Behindertenplätzen parken.

Ich habe hüftkranke Verwandte und hatte selbst als Säugling eine Spreizhose. Wäre es besser, bei meinem Baby den Hüftultraschall schon vor der U3 machen zu lassen?

Unbedingt! Bei Kindern aus Risiko-Familien sollten die Hüften so früh wie möglich untersucht werden, damit die eventuell nötige Behandlung frühzeitig beginnen kann. In den ersten sechs Lebenswochen sind die Babyhüften nämlich besonders formbar.
Über den richtigen Ultraschall-Zeitpunkt bei Kindern ohne familiäre Vorbelastung sind sich die Orthopäden jedoch uneins. Die einen finden die vierte bis siebte Lebenswoche, also das Zeitfenster der U3, früh genug. Ihr Argument: Eine noch frühere Untersuchung würde teilweise unnötige Behandlungen nach sich ziehen – bei Kindern, deren Hüften einfach noch ein bisschen Zeit bräuchten.
Andere Orthopäden halten die U3 für einen zu späten Zeitpunkt. Sie vertreten die Meinung, je später die Behandlung einsetze, desto schlechter würde sie wirken.
Tatsache ist: Die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen die Kosten für den Hüftultraschall nur, wenn er im Rahmen der dritten Vorsorgeuntersuchung, sprich: der U3, gemacht wird. Ausnahmen sind Risiko-Kinder. Sprich: Mädchen und Jungen, in deren Familie bereits Hüftprobleme aufgetreten sind.

Stimmt es, dass ohne Hüftschaden geborene Babys später noch einen bekommen können?

Ja, die Hüftgelenke von Babys sind noch so weich, dass sie sich unter falschem Einfluss verformen können. Wird ein Baby häufig so gehalten und gebettet, dass seine Beinchen gestreckt sind, erhöht sich sein Risiko für eine Hüftdysplasie. Hierzulande ist die Zahl der Hüftdysplasie-Kinder zurückgegangen, seit die Babys vermehrt auf den Rücken gelegt werden. In der Rückenlage können die Kinder ihre Beinchen spreizen, in der Bauchlage haben sie sie meist gestreckt. Mit anderen Worten: Alles, was dafür sorgt, dass die Beinchen und Hüften des Babys häufig gestreckt werden, fördert die Fehlstellung des Hüftkopfes, auch, wenn diese zunächst nicht angeboren war.

Was ist mit Tragetuch und Tragebeutel?

In Kulturen, in denen die Mütter ihre Babys die meiste Zeit breitbeinig auf der eigenen Hüfte oder in einem Tuch vor dem Bauch beziehungsweise auf dem Rücken herumtragen, ist die Hüftdysplasie praktisch unbekannt. Denn die Beuge-Spreiz-Stellung, die die Kinder dabei einnehmen, fördert das Ausreifen der Hüftgelenkpfannen. Tragt also euer Baby ruhig, sooft ihr wollt, in einem Tuch oder im Beutel. Damit tut ihr eurem Kind etwas Gutes.

Fachliche Beratung: Dr. Oliver Eberhardt, Oberarzt in der Orthopädischen Klinik im Klinikum Stuttgart-Olgahospital und Dr. Wolfgang Remus, Orthopäde in München.

ELTERN

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