Aygül Özkan: Hilfe, diese Muslima ist gar keine Christin - WELT
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Politik (Print DW) Aygül Özkan

Hilfe, diese Muslima ist gar keine Christin

Heute wird Aygül Özkan bestätigt, nachdem sie sich gestern vor der niedersächsischen Landtagsfraktion entschuldigt hat. Aber die CDU ist immer noch erstaunt darüber, dass ihre erste muslimische Ministerin Kreuze aus Schulen entfernen will

Doch, doch, die CDU ist immer noch eine christliche Partei. Der Beweis: Eine russische Ikone hängt im Büro von Generalsekretär Hermann Gröhe. Er ist bereit, sie Zweiflern zu zeigen. So weit ist der Streit um die Benennung von Aygül Özkan zur ersten muslimischen Ministerin Deutschlands gediehen: Während in Brüssel und Washington um das Schicksal des Euro und in Nordrhein-Westfalen um die Macht im Bundesrat gerungen wird, muss die CDU in Berlin Heiligenbildchen präsentieren.

Angela Merkel hat einfach kein Glück mit dem, was im Unionsjargon "das C" heißt: mit dem Christlichen, das ihre Politiker mal noch als ihre Werte, mal nur noch als ihre Wurzeln bezeichnen. Es ist aber auch vertrackt mit diesem "C". Wer hätte denn ahnen können, dass der Coup ihres Stellvertreters, des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, eine Identitätsdebatte in den eigenen Reihen - mitten im Wahlkampf - auslösen könnte.

Als gestern Jürgen Rüttgers, der strauchelnde NRW-Ministerpräsident, in Düsseldorf vor Parteifreunde aus der Seniorenunion tritt, warnt er zwar wie geplant vor Rot-Rot-Grün und dem Linksruck in der Partei. Das eigentliche Thema spricht aber der Chef der Seniorenunion, Otto Wulff, nach ihm an: Ein "Angriff auf die Reputation der Union" sei Özkans Forderung, Kreuze hätten als christliche Symbole in staatlichen Schulen nichts verloren. Begeistert klatschen die hier Versammelten, die zu den Treuesten der Treuen gehören.

Wer sich noch nicht am Wochenende von Özkan distanziert hat, tut das jetzt. Nach ihrem Ministerpräsidenten ist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, an der Reihe. Angela Merkel habe intern Özkans Position gleich zu Anfang der gestrigen Präsidiumssitzung deutlich verworfen, berichtet ein Teilnehmer. Generalsekretär Gröhe hingegen sagt, das Thema habe in den Gremien keine Rolle gespielt. Wie heftig der Gegenwind ist, wird in Hannover deutlich: Özkan distanziert sich von sich selbst und bittet die Abgeordneten der niedersächsischen CDU um "Entschuldigung". Sie habe das entsprechende Interview ohne ausreichende Kenntnisse des Landes Niedersachsen gegeben. Künftig werde sie die Parteiposition mittragen, die ihr Christian Wulff zuvor noch einmal sehr deutlich gemacht hatte. Kruzifixe seien in Niedersachsens Schulen erwünscht. Die 69 Abgeordneten versprechen daraufhin, Özkan heute im Landtag als Ministerin zu bestätigen. Selbst wenn das gelingt: So gedemütigt hat schon lange keine Politikerin mehr ihr Amt angetreten.

Schon vor der Krisensitzung der Fraktion war man in Staatskanzlei und Landespartei von der Phase des Krisenmanagements in die der Fehleranalyse übergegangen. Intern nahm man einen Teil der Schuld für Özkans Fehlstart auf sich: Olaf Gläseker, Regierungssprecher und engster Vertrauter des Ministerpräsidenten, habe die Kabinettsumbildung zwar glänzend inszeniert, sich dann aber etwas zu eilig in die Ferien verabschiedet. Özkan hingegen war nicht in den Urlaub oder bis zu ihrer Vereidigung abgetaucht, sondern gab Interviews. Viele Interviews. Eines zu viel.

Am Mittwochabend spricht sie mit dem Nachrichtenmagazin "Focus". Es geht um Identität und Religion und die Frage, ob es sie denn stören würde, wenn ihr Sohn von einer Lehrerin mit Kopftuch unterrichtet werden würde. Özkan antwortet, dass Kopftücher im Klassenzimmer nichts zu suchen hätte und Schule in Sachen Religion neutral zu bleiben habe. Das gelte auch für den Gebrauch christlicher Symbole.

Da ist es passiert. Das passt nicht zur CDU, die in ihrem erst 2007 verabschiedeten Grundsatzprogramm den Satz hat: "Christliche Symbole müssen im öffentlichen Raum sichtbar bleiben. Sie sind ebenso zu schützen wie die christliche geprägten Sonn- und Feiertage." Es passt auch nicht zu einer CDU, die erst vor zwei Monaten gegen die Richter des Düsseldorfer Land- und Amtsgerichts zu Felde zog, weil diese Kreuze aus ihren Gerichtssälen abgehängt hatten. Damals vorneweg: Wahlkämpfer Jürgen Rüttgers und Generalsekretär Gröhe, der besonders scharf formulierte: "Ein weiteres Zurückdrängen christlicher Symbole aus dem öffentlichen Raum lehne ich strikt ab."

Welche Sprengkraft in dem Thema Kreuz und öffentlicher Raum liegt, weiß die Union spätestens seit 1995. Damals kippte das Bundesverfassungsgericht die bayerische Volksschulordnung, die Kruzifixe oder Kreuze in Klassenzimmern vorschrieb. Nicht nur die Kirchen schäumten, sondern auch die CSU. Ihr Landtagsabgeordneter Sepp Ranner drohte den Verfassungsrichtern an, sie "mit dem Dreschflegel" zu empfangen, wenn sie kämen, um Kreuze abnehmen.

Das geschah nicht. In der Praxis werden Kreuze aus Klassenräumen heute nur entfernt, wenn eine Beschwerde vorliegt. Die kommt in der Regel nicht von Schülern oder Eltern, sondern von atheistischen Lehrern. In Italien erschütterte ein weiteres Kruzifix-Urteil im vergangenen November den Schulfrieden: Der Europäische Gerichtshof sprach einer aus Finnland stammenden Klägerin 5000 Euro Schadenersatz zu, weil ihre Kinder in einer Schule unterrichtet worden waren, in der es christliche Symbole gab. Italien ohne Kreuze? Die europäische Christdemokratie erbebte.

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Wusste Aygül Özkan davon nichts? Jedenfalls autorisiert am Freitag um 15.27 Uhr ein Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums das Interview im Namen von Aygül Özkan bei "Focus". Aber am gleichen Abend ruft der Sprecher noch einmal bei dem Magazin an und drängt darauf, die Kruzifix-Passage aus dem Interview zu streichen. Der "Focus" verweigert die nachträgliche Veränderung eines autorisierten Gesprächs. Als kleines Zugeständnis wird eine weitere Frage eingefügt, sodass es so aussieht, als habe nicht Özkan selbst das Kruzifix-Thema angesprochen, sondern nur auf die Frage des Redakteurs geantwortet. Dass Özkan im gleichen Gespräch auch noch den CDU-Begriff "privilegierte Partnerschaft" für die Türkei verwirft, geht schon fast unter. Was immer sie gefragt wird in diesen Tagen, die selbstbewusste kleine Frau, weicht kaum einem Thema aus.

Dabei ist sie, acht Jahre nach ihrem Unionseintritt noch gar keine richtige Politikerin. Sie selbst empfindet sich als Seiteneinsteigerin. Und als solche ist sie ja auch gefördert worden, zunächst von der Hamburger CDU, wo sie schnell ein Mandat und den Posten der Vorsitzenden im Wirtschaftsausschuss der Bürgerschaft erhielt. Dort fiel sie dann allerdings nicht besonders auf. In zwei Jahren hielt sie fünf blasse Reden. Bei einer etwas weniger unwichtigen zur Industriepolitik in Hamburg notiert das Protokoll gähnendes Desinteresse des Plenums: "Mir ist nicht ganz erklärlich", maßregelte der Bürgerschaftspräsident das Plenum, noch während Özkan sprach, "wie so wenige Abgeordnete so viele Nebengeräusche verursachen können."

In Berlin galt sie dennoch als großes Talent. Sie hat auch wenig Konkurrenz: Die CDU hat einen chronischen Mangel an Migranten, an türkischen zumal. Kein einziger der 239 Bundestagsabgeordneten hat einen solchen Hintergrund. Auch kein einziger der aussichtsreichen CDU-Kandidaten für die Landtagswahl in NRW, wo fast eine Million Türken und türkischstämmige Menschen leben, rekrutiert sich aus dieser Bevölkerungsgruppe. Als Angela Merkel vor wenigen Wochen die Türkei besucht, wird ihr dieser Mangel eindrücklich vor Augen geführt: Türkisch-deutsche Unternehmer begleiten sie, eine Wochenzeitung schickt eine türkischstämmige Redakteurin, die Opposition solche Abgeordneten. Gewann da der Wille, auch eine vorzeigbare Türkin zu haben, die Oberhand über die Bedenken? "Werder Bremen hat Mesut Özil auch nicht wegen seines Migrationshintergrunds verpflichtet, sondern weil er gut Fußball spielen kann", hatte Ministerpräsident Wulff vor einer Woche noch behauptet. Özil hat seinen Einsatz nicht mit einem Eigentor begonnen.

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