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Polen nennt alle Täter von Auschwitz beim Namen

8502 Personen waren an den Morden in dem KZ beteiligt, zeigt die nun veröffentlichte Datenbank. Nur knapp jeder zehnte wurde verurteilt. Heute leben nur wenige von ihnen, inzwischen sind sie Greise.
Leitender Redakteur Geschichte
Konzentrationslager Auschwitz - Stammlager 1 - Stacheldraht Elektrozaun Wachturm Foto: Martin U. K. Lengemann Uhlandstraße 41, 13158 Berlin Tel 01717474588 7% Mwst FA Berlin Friedrichshain/Prenzl. brg Kasseler Bank eG BLZ 52090000 Konto 101048500 Konzentrationslager Auschwitz - Stammlager 1 - Stacheldraht Elektrozaun Wachturm Foto: Martin U. K. Lengemann Uhlandstraße 41, 13158 Berlin Tel 01717474588 7% Mwst FA Berlin Friedrichshain/Prenzl. brg Kasseler Bank eG BLZ 52090000 Konto 101048500
Der Stacheldraht und ein Wachturm im Stammlager des KZ Auschwitz
Quelle: Martin U. K. Lengemann

Zynischer und grausamer kann eine Statistik kaum sein: Rein rechnerisch kommen auf jeden SS-Mann in Auschwitz rund 125 Tote. Jetzt hat das polnische Institut für Nationales Gedenken (IPN) eine Datenbank online gestellt, in der die Namen von 8502 Deutschen erfasst sind, die zwischen 1940 und 1945 im größten aller Konzentrationslager tätig waren.

Teilt man die Gesamtzahl der Opfer durch die Mordfabrik und im Sklavenarbeitslager von rund einer Million (die niedrigste seriöse Schätzung liegt bei 950.000, die höchste bei 1,3 Millionen), kommt man ungefähr auf 125 Menschenleben, die auf jeden Mittäter in Auschwitz kommen.

Die Wirklichkeit jedoch ist noch schlimmer. Denn in Auschwitz praktizierte die SS den Massenmord arbeitsteilig organisiert. Die Wachen, die Menschen aus ankommenden Deportationszügen zwangen, sich „selektieren“ zu lassen, sind deshalb juristisch für jeden einzelnen Insassen des jeweiligen Zuges der Beihilfe zum Mord schuldig. Ebenso der Kassierer, der die Hinterlassenschaften der ermordeten Menschen abrechnete.

Früherer SS-Mann zu vier Jahren Haft verurteilt

Prozess in Lüneburg: Der frühere SS-Mann Oskar Gröning wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Der 94-Jährige habe sich bei 300.000 Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz mitschuldig gemacht.

Quelle: N24

Deshalb wurde Hans Lipschis, bei der Ankunft von mindestens zwölf Deportationszügen in Auschwitz dabei, der Beihilfe zum Mord in wenigstens 10.510 Fällen angeklagt, das Verfahren aber wegen Verhandlungsunfähigkeit Ende 2013 eingestellt. Und deshalb erhielt Oskar Gröning 2015 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen rechtskräftig eine Freiheitsstrafe von vier Jahren; bisher musste er seine Strafe aber noch nicht antreten. Beide sind zusammen mit genau 8500 anderen in der Datenbank „SS-Mannschaft KL Auschwitz“ zu finden. Sie ist auf Polnisch, Englisch und Deutsch zu benutzen; wenn vorhanden, sind auch Fotos und Dokumente über ihre Tätigkeit eingebunden.

Erstellt hat das detaillierte Verzeichnis der Historiker Aleksander Lasik, der an der Kasimir-der-Große-Universität in Bydgoszcz lehrt, zusammen mit der IPN-Filiale in Krakau. Schon seit mehr als 35 Jahren erforscht Lasik die Geschichte des KZs Auschwitz; in seiner Doktorarbeit von 1982 analysierte er die Täter des Massenmordes.

Im Laufe der Zeit weitete er sein zunächst auf Zetteln, seit 1988 elektronisch geführtes Verzeichnis auf das Personal anderer Konzentrationslager aus, meist, aber nicht immer auf von der Wehrmacht besetztem polnischem Gebiet. Insgesamt umfasst seine Sammlung Informationen zu rund 25.000 SS-Leuten, von denen 9686 in einer Verbindung zu Auschwitz standen. Die meisten davon, eben 8502, waren auch tatsächlich in Auschwitz-Stammlager, Birkenau oder Monowitz eingesetzt.

http://truthaboutcamps.eu/th/zaloga-ss-kl-auschwitz/dokumentation-de/16824,Editorische-Vorbemerkung.html auschwitz personal
Die deutsche Startseite der IPN-Datenbank zu allen bekannten Auschwitz-Tätern
Quelle: Screenshot Die Welt

In früheren Arbeiten war Lasik noch davon ausgegangen, dass insgesamt rund 7200 Personen in Auschwitz eingesetzt gewesen waren. Von ihnen überlebten fünf Sechstel den Zweiten Weltkrieg; die relativ hohe Verlustrate ergibt sich aus der Tatsache, dass die Wachen in Auschwitz grundsätzlich der Waffen-SS angehörten und es eine gewisse Fluktuation zwischen Fronteinsatz und KZ-Dienst gab.

Nur rund 800 der gut 6000 Personen des KZ-Personals, die den 8. Mai 1945 erlebten, wurden jedoch angeklagt. Die weitaus meisten, etwas mehr als 700, wurden in Polen angeklagt und verurteilt, darunter mit Rudolf Höß und Arthur Liebehenschel zwei der insgesamt sechs Kommandanten, die beide die Todesstrafe erhielten. Von den übrigen vier wurden drei in anderen Verfahren zum Tode verurteilt und zwei hingerichtet, einer starb vor der Vollstreckung. Nur einer, Richard Baer, konnte sich verstecken und wurde erst 1960 festgenommen. Vor Beginn seines Prozesses starb er 1963 in der Haft.

Lasiks Datenbank erlaubt es erstmals, problemlos nach Namen von SS-Tätern zu suchen. Datenschutzbedenken würden eine ähnliche Veröffentlichung in Deutschland unmöglich machen, aber da die IPN-Website in Polen ansässig und dreisprachig aufgebaut ist, kann man dort problemlos suchen. Die zugehörigen Personal- und SS-Akten allerdings kann man nur dann im Bundesarchiv Berlin bestellen, wenn die betreffende Person nachweislich seit 30 Jahren tot ist. Die Novelle des Bundesarchivgesetzes, die vor wenigen Tagen im Bundestag beschlossen worden ist, wird diese Frist auf zehn Jahre nach dem Tod herabsetzen.

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Gegenwärtig weist die IPN-Datenbank noch sehr viele offene Felder auf. Doch damit steht jetzt ein wichtiges Instrument für weitere Forschungen zur Verfügung, weltweit, kostenlos und in den für das Thema relevanten Sprachen.

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