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Was Armin Laschets Lachen wirklich bedeutet

Nach dem Unwetter in Nordrhein-Westfalen Nach dem Unwetter in Nordrhein-Westfalen
17. Juli: Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, lacht während einer Rede des Bundespräsidenten Steinmeier im Flutgebiet
Quelle: dpa/Marius Becker
Dass Armin Laschet im überfluteten Erftstadt gelacht hat, hängt ihm bis heute nach. Es stimmt: Der Patzer war unprofessionell. Die Interpretation, offenbar habe Laschet keinerlei Empathie gehabt, ist aber falsch. Aus psychologischer Sicht ist das Gegenteil wahrscheinlich.

Der Kaiser hat gelacht – und das Volk war selig. Man hatte Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II. die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick berichtet, und der sonst nicht mit Humor gesegnete Monarch war wohl in olympisches Gelächter ausgebrochen, was aus der Staatsaffäre des Schusters Friedrich Wilhelm Vogt eine witzige Anekdote machte. Das Lachen lässt die Staatsmacht menschlich erscheinen.

Nicht so beim Lachen des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen neulich, als der Bundespräsident seine Betroffenheit erklärte und Armin Laschet im Hintergrund zu sehen war, wie er herzlich lachte. Eine Staatsaffäre wurde daraus gemacht: Geht gar nicht, instinktlos, unprofessionell, waren noch die harmlosesten Kommentare. Jeder wusste, dass der Mann da einen Fehler gemacht hatte, und reflexartig passierte, was neuerdings in solchen Fällen immer passiert: Vor allem der politische Gegner kann sich nicht genugtun an Entsetzen über ein solches Verhalten, unverzeihlich sei das, und dem Übeltäter bleibt gar nichts anderes übrig, als sich zu entschuldigen.

Nirgends wurde erwähnt, was zur Beurteilung der Situation wichtig war, dass nämlich Laschet zum Zeitpunkt seines Lachens den Bundespräsidenten gar nicht hören konnte. Jedenfalls sanken die Beliebtheitswerte sofort.

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Solche Automatismen sagen nichts Gutes über die politische Kultur in unserem Lande. Wir stehen vor enormen politischen Herausforderungen, national und international. Dafür brauchen wir Politiker, die starke Persönlichkeiten sind, sich wirklich kundig machen und dann nach Abwägung aller wichtigen Aspekte kluge Entscheidungen treffen, die sie mit Macht durchsetzen.

Wir brauchen keine leichtfertigen Staatsschauspieler, die sich, wie manche Konkurrenten Laschets, auf Kosten einer ernsthaften Debatte von einem medialen Knalleffekt zum nächsten hangeln und an denen reale Katastrophen abperlen, weil sie sich von nichts wirklich berühren lassen. Politikern, die sich mehr um ihr Ego und ihr Image als ums Land kümmern, wäre so etwas gewiss nie passiert.

Schon in der Corona-Krise hatte Laschet sich geweigert, primär auf seine Beliebtheitswerte zu achten und den großsprecherischen Macher und Besserwisser zu mimen. Er hatte die unsichere Datenlage transparent gemacht, auf der sich seriöserweise keine starken Sprüche aufbauen ließen, hatte nicht bloß Virologen und Epidemiologen zurate gezogen, sondern auch Pädagogen, Psychologen und Wirtschaftsexperten. Dieser besonnene Regierungsstil, der je nach neuer Datenlage auch Kursänderungen erforderte, kam freilich nicht gut an. Viele Menschen wollten in der Krise einen lautstarken Kapitän, der sagt, wo’s langgeht – selbst wenn er es auch nicht weiß.

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Der argumentative Stil von Laschet wirkte allerdings nachhaltiger und war weniger geeignet, antiobrigkeitsstaatliche Reflexe auszulösen. Auch in der Flutkatastrophe hielt er an seiner Überzeugung fest, Katastrophen nicht zur persönlichen oder parteipolitischen Profilierung zu nutzen. Es war nicht selbstverständlich, dass er sich zusammen mit seinem Konkurrenten Olaf Scholz in den Überschwemmungsgebieten sehen ließ, aber von der Sache her war es tatsächlich erforderlich, auch den Bund öffentlichkeitswirksam mit in die Verantwortung zu nehmen.

Die Debatte über das Lachen des Armin Laschet ging deswegen in die völlig falsche Richtung. Es ist psychologisch ganz normal, dass man sich angesichts schrecklichen existenziellen Leids und nach erschütternden Gesprächen, die einem wirklich zu Herzen gegangen sind, auch mal emotional locker machen muss. Meine Tochter, die bei den Aufräumarbeiten geholfen hat, berichtet natürlich von Tränen der Betroffenheit, aber auch von fröhlichem Lachen und der Freude über so viele helfende Hände.

Niemandem ist in einer Krisensituation geholfen, wenn alle dauernd nur mit bierernster Miene durch den Schlamm stapfen. Wenn wir an der Spitze unseres Staates keine künstlichen Plastiktypen haben wollen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, dann müssen wir ihnen zubilligen, auch mal für einen Moment menschlich-allzu-menschlich zu sein. Auch Annalena Baerbock hatte ja einen solchen Augenblick, als sie nach ihrer Kandidatenrede „Scheiße“ ins noch offene Mikrofon zischte.

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Man kann ja die Freude des Journalisten verstehen, der das Lachen Laschets filmt und den Ausruf Baerbocks aufnimmt. Doch dann müsste eigentlich die journalistische Reflexion einsetzen. Wenn man den Kontext kannte, war sehr schnell klar, dass weder das Lachen Armin Laschets noch der Ausruf Annalena Baerbocks dazu geeignet sind, jemanden ernsthaft politisch zu disqualifizieren.

Bei Baerbock war die Panne technisches Pech und im Grunde gar nicht unsympathisch, unprofessionell war höchstens, dass die Erklärung, was sie damit gemeint hatte, sich um Stunden verzögerte, und auch, dass sie auf die späteren Plagiatsvorwürfe erst scheibchenweise reagierte. Da entstand der Eindruck, dass die erste grüne Kanzlerkandidatin vor lauter Beratern nicht mehr authentisch war. Schon Edmund Stoiber war daran gescheitert, dass er im Wahlkampf 2002 nicht wiederzuerkennen war, ganz neue Positionen vertrat, die angeblich der Wähler verlangte, und sich auf eine Weise präsentierte, die ganz unecht wirkte.

Armin Laschet dagegen bleibt offensichtlich er selber. Auch jetzt hat er nicht wie Gerhard Schröder dazumal mit Stiefeln und markigen Worten auf einem Deich Modell gestanden, sondern sich der verständlichen Wut und Verzweiflung der Bürger gestellt, dem Volk, dem Demos, und das ist die Königsdisziplin eines demokratischen Politikers. Dazu gehört Mut, denn er wusste, dass das kein Triumphzug werden würde.

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Die Corona-Krise und auch die Flutkatastrophe vertragen keine persönlichen Profilierungsfestspiele und parteipolitische Polarisierung um jeden Preis. Es muss getan werden, was die Lage erfordert; dazu ist es gut, wenn die Verantwortlichen sich ein persönliches Bild machen. Und wenn einen das mitnimmt, kann man auch mal eingefahrene Routinen vergessen.

Natürlich war es unprofessionell, für einen Moment nicht mitzubekommen, dass die auf den Bundespräsidenten gerichteten Kameras auch ihn im Bild haben mussten. Aber das kann man auch positiv sehen. Denn wollen wir wirklich Politiker, die immer und überall nur darauf achten, wo gerade die Kamera steht und wie sie sich gut ins Bild bringen können?

Quelle: picture alliance / JOKER

Manfred Lütz ist Psychiater, Psychotherapeut und Theologe. Außerdem schreibt er Bücher, zuletzt erschien „Neue Irre – Wir behandeln die Falschen. Eine heitere Seelenkunde“.

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