Replik auf Sascha Lobos Kolumne „Der Eiertanz der SPD um Panzerlieferungen ist absurd“

Dies ist eine Replik auf den Kolumne von Sascha Lobo, die bei SPIEGEL ONLINE unter dem Titel "Der Eiertanz der SPD um Panzerlieferungen ist absurd" am 14. September erschien.

Bild: Yannic Hinz Bild: Yannic Hinz

Aber man darf doch nach dem Widerspruch fragen, einerseits Putin alles zuzutrauen und davor zu warnen, seiner Propaganda auf den Leim zu gehen und andererseits alles wörtlich zu nehmen, was der Kreml-Herrscher so sagt. Wer weiß schon, was der Ex-Geheimdienstchef wirklich denkt.

Es gib dieser Tage wahrlich nicht viel zu lachen: Unsägliche Kriegsverbrechen im Zuge eines abscheulichen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, weiterhin viele Covid-Verstorbene und –Langzeit-Betroffene. Dazu die immer dramatischer werdende Klimakrise mit Extremwetterereignissen auf der ganzen Welt und die Folgen von Inflation, drohender Rezession und der nahende Winter mit teils absurd hohen Heizungs- und Energiekosten und möglicherweise massiven sozialen Verwerfungen.

Die Politik steht in der Verantwortung, auf alle diese Herausforderungen praxistaugliche und gerechte Antworten zu finden und für Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Da allerdings niemand, erst recht nicht Politiker/innen, verzagen und – wie Lothar Matthäus es einst so wunderbar formulierte – auf keinen Fall den „Sand in den Kopf stecken“ sollten, möchte ich zwei durchaus unterhaltsame Ausnahmen nicht unkommentiert lassen:

Ausnahme Nr. 1: Lutz van der Horst fragt Paul Ziemiak in einem Interview der „Heute Show“, wie dankbar eben dieser Armin Laschet sei, dass die CDU/CSU aufgrund der verlorenen Bundestagswahlen in diesen Tagen nicht regieren müsse. Das nun folgende verdruckste Hin- und Her-Gelächter ist bei YouTube anzuschauen und mag so manchen dunklen Herbsttag erhellen. Fairerweise jedoch – und das möchte ich ausdrücklich betonen – ist Armin Laschet an dieser Stelle in Schutz zu nehmen. Denn ob es daran lag, dass selbst der „Heute Show“ die Chuzpe fehlte oder aber auch die Öffentlich-Rechtlichen an Grenzen des Humors stoßen: Dieselbe Frage nur mit Blick auf die jüngsten Aussagen von Friedrich Merz wäre noch angebrachter gewesen. Denkt man etwa an seine Forderung eines Totalboykotts russischer Gaslieferungen schon im März oder aber das von ihm öffentlich in Erwägung gezogene Eingreifen der Nato in den Ukrainekrieg, kann man sich gruseln. In diesem Fall – wohlwollend prognostiziert – hätte Sascha Lobo seine jüngst erschienene Kolumne vermutlich frierend aus einem (hoffentlich atomar geschützten) Kellerloch heraus schreiben müssen.

Diesen schäbigen Aufguss der „vaterlandslosen Gesellen“ findet selbst Lobo schlicht zu simpel und populistisch.

Und hier landen wir direkt bei der Ausnahme Nr. 2: Die Kolumne von Sascha Lobo in DER SPIEGEL (14.09.2022, auch bei SPON). Mit einem investigativ-journalistischen Touch wähnt sich Lobo nun endlich herausgefunden zu haben, „was wirklich hinter den irrlichternden Aussagen“ des SPD-Spitzenpersonals in Bezug auf die aktuelle Debatte um Panzerlieferungen stehe. Ein kleiner Informationskrümel vorweg: Um Geld und Korruption geht es nach Lobo den Sozis nicht. Diesen schäbigen Aufguss der „vaterlandslosen Gesellen“ findet selbst Lobo schlicht zu simpel und populistisch. Das werde der SPD nicht gerecht. Immerhin. Aber was ist es dann?

Es ist – tada – die von Lobo so genannte „Putin-Durchdrehskala (PDS)“, eine „Art politische Skala der Kriegseintrittswahrscheinlichkeit je nach Waffenart“ anhand derer die SPD vermeintlich per Poster-Print an sämtlichen Bürotüren auszuloten sucht, welche Waffenlieferung Putin nun endgültig als Kriegserklärung deuten könnte und welche noch nicht. Das Problem – so sieht es Lobo – sei, dass die SPD „den hochgradig irrationalen, also unberechenbaren Putin trotzdem noch nach dem Kriterium der Rationalität“ bewerten wolle.

Dass auch Irrationalität als Teil der strukturellen Rationalitätstheorie verstanden wird, ist zu intellektuell für eine Arbeiterpartei und erst recht für diese Populismus-Debatte. Aber was bitte, möchte man fragen, ändert das Psychogramm eines Kriegsverbrechers an seinen Kriegsverbrechen?

 

Die entscheidende Frage

Lobos Glosse über die „Putin-Durchdrehskala (PDS)“ verdeutlicht aber ungewollt und auf süffisante Weise, wie sehr eine Verengung der Gesamtdebatte auf vermeintlich „einfach“ zugespitzte Buzzwörter wie „Putinversteher – Putinmissversteher“ im Sound des neuen bellizistischen Dreiklangs „Waffen, mehr Waffen, noch mehr Waffen“ von den eigentlichen Kernfragen ablenkt: Wie kann dieser Krieg ein Ende finden? Wie das Kriegsleid für die Bevölkerung in der Ukraine? Wie schaffen wir wieder Frieden in Europa und welche Rolle spielt dabei Deutschland mit seiner besonderen historischen Verantwortung ohne „Diktatfrieden“ versteht sich – wiewohl man sich schon fragt, warum die Nazi-Vokabel für den Versailler Vertrag neuerdings so en vogue ist? Dass am Ende die Ukraine souverän entscheidet, bestreitet ohnehin niemand außer der rechtsradikalen AfD und Sahra Wagenknecht.

Ich habe ja bekanntermaßen großen Sinn für Humor und Lobos Polemik ist auch witzig. Im Übrigen darf Satire bekanntlich alles, auch wie in diesem Fall haarscharf an den Fakten vorbei.

Aber man darf doch nach dem Widerspruch fragen, einerseits Putin alles zuzutrauen und davor zu warnen, seiner Propaganda auf den Leim zu gehen und andererseits alles wörtlich zu nehmen, was der Kreml-Herrscher so sagt. Wer weiß schon, was der Ex-Geheimdienstchef wirklich denkt. Vielleicht ist es ja doch das Beste – so oder so vorsichtig und umsichtig zu denken, zu reden und zu handeln. Politik ist mehr als kühle Analyse aus der Ferne.

Politische Verantwortung bedeutet nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos zu kalkulieren, sondern auch die potentielle Schadenshöhe zu bedenken.

Es gibt nämlich einen großen Unterschied zwischen Journalist/innen und Wissenschaftler/innen, die kühl, professionell distanziert, auch polemisch analysieren können und dürfen und Politiker(inne)n. Politik ist mehr als kühle Analyse aus der Ferne. Politische Verantwortung bedeutet nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos zu kalkulieren, sondern auch die potentielle Schadenshöhe zu bedenken.

Ehrlich gesagt bin nicht nur ich, sondern die meisten Menschen, die ich auf der Straße treffe, gerade in diesen unsicheren Zeiten sehr froh, wie insgeheim vermutlich auch Paul Ziemiak, dass ein Kanzler mit hanseatischem Temperament die Ampel-Regierung führt und nicht der irrlichternde Sankt Florian und Frisuren-Kritiker aus Nürnberg oder der selbst fliegende Weltökonom aus dem Sauerland.

Lobo sieht einen „absurden Eiertanz der SPD“ und ihre vermeintliche pazifistische „Bremsseele“ und sagt, wir wollten die „Zukunft aus der Lage hingeworfener Hühnerknochen bewerten“ und erhofften uns damit „eine Logik, wo es keine gibt“.

Möchten wir Sozis wirklich „Garantien haben, die es nicht geben kann“?

 

Die richtige Strategie

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Besteht die eigentliche Hühnerknochen-Logik nicht gerade darin, in Panzern und immer schwereren und größeren Waffen die Garantie für schnellen Frieden zu finden? Nicht vorzugeben, alle Eventualitäten zu kennen und besonnen zu formulieren und zu handeln, das ist doch gerade in diesen Zeiten eine große Tugend.

Statt der unzähligen Schar von Hobby-Epidemiologen und ebenso vielen frisch ertüchtigten Hobby-Waffen- und Militärexperten lobe ich mir doch die Hunderttausenden Bundestrainer, die jetzt wieder auf den Plan treten, wenn bei der Fußballweltmeisterschaft im neuen Energieparadies in Katar im Advent der Ball rollen wird.

Wenn aber diese verengte Waffenlieferungsdebatte immer weiter neu entfacht und fortgeführt wird, sind bald schon, so vermute ich, an den Bundestagstüren zwei neue Symbole finden: Die ausgedruckte Putin-Durchdrehskala (PDS) oder aber das Bild einer bis unter die Flügel bewaffnete Friedenstaube (budFbF).

Und während im Kanzleramt der Bundeskanzler stoisch unbeeindruckt und die Türen glücklicherweise gänzlich unbedruckt bleiben, möchte ich in Anlehnung an Willy-Brandt sagen: Lasst uns mehr deliberative Demokratie wagen, lasst uns mehr gemeinsamen Austausch, mehr gemeinsame Lösungen wagen! Denn dieser Krieg, das zumindest ist meine feste Überzeugung, wird weder militärisch durch Panzer noch durch Alleingänge – auch hier gilt das „You never walk alone“ – zu beenden sein. Und erst recht nicht dadurch, dass wir unsere Zeit darauf verwenden uns gegenseitig niederzuschreiben. Üble Zeiten. Außer, wenn man trotzdem lacht.

Die Kolumne “Der Eiertanz der SPD um Panzerlieferungen ist absurd” von Sascha Lobo ist hier bei SPIEGEL ONLINE abrufbar.