Redegewandt, umgänglich und vor allem bestens vernetzt in der EU – dies kennzeichnet den neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani.
Nach einem im Europaparlament bisher beispiellosen Wahlmarathon ist der italienische Konservative Antonio Tajani zum neuen Präsidenten der EU-Volksvertretung gewählt worden. Der 63-jährige ehemalige Industriekommissar setzte sich am späten Dienstagabend im vierten Durchgang in einer Stichwahl gegen seinen sozialistischen Landsmann Gianni Pittella durch.
Tajani, der Mitglied der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) ist, erhielt 351 Stimmen, Pittella 282.
Am vierten Wahlgang hatten 713 der 751 Europaabgeordneten teilgenommen. 80 Wahlzettel waren ungültig. Die Stichwahl war notwendig, weil in den ersten drei Wahlrunden keiner der zunächst sechs Kandidaten eine absolute Mehrheit erzielt hatte. Für diesen Fall sieht die Geschäftsordnung ein Duell zwischen den beiden bestplatzierten Bewerbern vor.
Ein „alter Hase“ in der Europa-Politik
Tajani kommt zugute, dass er sich im Europaparlament bestens auskennt – schließlich gehört er dem Parlament seit 1994 an. „Es gibt kaum einen Abgeordneten, den er nicht persönlich kennt“, sagt ein Insider. Aber auch zur EU-Kommission soll der Italiener einen guten Draht haben – von 2008 bis 2014 war er selbst Kommissar, zunächst zuständig für Verkehr, dann für
Industriepolitik.
Als Tajani am Dienstag kurz vor Beginn der ersten Wahlrunde noch einmal um Unterstützung warb, verwies er denn auch auf seinen politischen Werdegang. Der Präsident des Europaparlaments benötige eine „gewisse Erfahrung“, sagte er zu den Abgeordneten im ungewöhnlich vollen Straßburger Plenarsaal. „Ich stelle Ihnen meine Erfahrung aus 23 Jahren zur Verfügung“.
Seine politische Karriere begann Tajani, der Jura studiert und anschließend einige Jahre als Journalist gearbeitet hat, an der Seite des ehemaligen italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi. Er war Mitbegründer von Berlusconis Partei Forza Italien und bis zu seiner ersten Wahl ins Europaparlament Sprecher seines politischen Ziehvaters.
Im Straßburger Parlament gehörte Tajani, der Englisch, Französisch und Spanisch spricht, unter anderem den Ausschüssen für Außen- und Sicherheitspolitik an. Seit Mitte 2014 ist er einer der 14 Vize-Präsidenten des Parlaments. Außerdem ist er seit 2002 stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), der christdemokratische und andere konservative Parteien angehören, darunter CDU und CSU.
Ein Freund Berlusconis
Dass ausgerechnet ein enger Vertrauter Berlusconis Favorit für die Nachfolge von Martin Schulz ist, entbehrt nicht der Ironie: Denn 2003 sorgte Berlusconi für einen Eklat im Straßburger Parlament, als er den Deutschen für die Rolle eines KZ-Aufsehers in einer Fernsehserie empfahl.
Mit der verbalen Entgleisung reagierte der damalige italienische Regierungschef auf massive Kritik des SPD-Politikers – und erntete prompt empörte Reaktionen nicht nur im Europaparlament. „Tajani hat damals auf Berlusconi eingewirkt und erreicht, dass dieser sich bei Schulz entschuldigte“, erinnert sich der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber.
Seine Nähe zum Populisten Berlusconi wird Tajani freilich auch angelastet – vor allem von den Grünen und Linken. „Ein enger Wegbegleiter Berlusconis sollte nicht an der Spitze des Europaparlaments stehen“, meint etwa der deutsche Grüne Sven Giegold.
Umstritten ist auch Tajanis Rolle als ehemaliger Industriekommissar bei der Affäre um manipulierte Abgastests bei VW und anderen Autobauern. Nach einem Bericht der „Wirtschaftswoche“ vom Freitag soll der Italiener Hinweise eines Whistleblowers auf die Manipulationen ignoriert oder gar vertuscht haben.
„Wir brauchen ein starkes Europaparlament.“
Den selbstbewussten Italiener mit dem verbindlichen Lächeln bringen solche Anschuldigungen freilich nicht aus der Ruhe. Er reagiert auch gelassen, wenn selbst Parteifreunde aus der EVP seinen Vorgänger Martin Schulz als „starken Präsidenten“ loben, der dem Parlament zu mehr Einfluss und Profil verholfen habe.
Er wolle das Amt anders ausüben als Schulz, sagt Tajani. „Wir brauchen keinen starken Parlamentspräsidenten, wir brauchen ein starkes Europaparlament.“
Um Stimmen vor allem im linken Lager warb Tajani mit Kritik an den hohen Abfindungen für Ex-Kommissare. „Ich selbst habe auf meine Abfindung von einer halben Million Euro verzichtet“, versicherte er. Außerdem kündigte er an, er wolle in seinem Kabinett ebenso viele Frauen beschäftigen wie Männer.